Letzte Botschaften im Luzerner Friedental

Was Grabsteine über die Menschen, den Tod und das Leben verraten

Ein Ort zum Nachdenken: Bank auf dem Friedhof Friedental in Luzern. (Bild: ber)

Was bleibt von einem Menschen, wenn er diese Welt verlässt? Eine gute Erinnerung, hoffentlich. Im Friedental zeigt sich, wie unterschiedlich Verstorbene im Gedächtnis behalten werden sollen – und was das über unsere Stadt und Gesellschaft aussagt.

Es ist eine letzte Botschaft, die ans Herz geht. «Meine liebe Maria, warum bist du weg von mir?», ist auf dem Grabstein zu lesen, der auf dem Friedhof Friedental steht. Sie stammt von einem Mann, der seine Frau vor mehr als 30 Jahren verloren hat.

Als Kind war die Sache mit dem Tod für mich ganz einfach. Wenn jemand stirbt, geht er wieder dorthin, wo er hergekommen ist. Nach Hause, zurück zum Ursprung, zurück zur Geborgenheit. Ich fand nichts Schlimmes daran. Dass diese Menschen weiterleben, war für mich als Siebenjährige völlig klar. Mit der gleichen Gewissheit war ich davon überzeugt, dass es Zwerge, Heinzelmännchen und Kobolde gibt.

Inzwischen ist das schwieriger geworden. Ich habe gelernt, dass der Tod anderer ein unendlich schmerzhafter Verlust ist. Aus der Gewissheit auf ein Wiedersehen nach dem Tod ist eine Hoffnung geworden.

Der zurückgelassene Ehemann jedenfalls hat darauf gesetzt. «Ich glaube, wir sehen uns wieder», liess er als zweiten Satz auf den Grabstein seiner Geliebten meisseln. Kaum ein Jahr später folgte er seiner Frau – und liess sie und die Nachwelt dies wissen. «Maria ich bin nun da», heisst es nun dort. Und ich muss zugeben: Die Vorstellung, dass die beiden wieder zusammen sind, hat für mich durchaus etwas Tröstliches.

Impressionen vom Friedhof Friedental. (Bild: ber)

Was auch immer passiert – es endet in einem Garten

Über einen Friedhof zu laufen, finde ich schön. Nicht nur an Allerheiligen. Es sind schöne Orte. Und gerade, wenn im Leben – wie jetzt – alles drunter und drüber geht, finde ich es beruhigend, zu wissen, dass alles mal hier enden wird: In einem grossen Garten mit wunderschönen Bäumen.

Der Blick über das Friedental relativiert alles. Plötzlich kommt es mir gar nicht mehr so wichtig vor, ob ich meinen geplanten Journalismus-Workshop nächste Woche oder erst nächstes Jahr durchführen kann. Die Menschen, die hier liegen, haben ganz anderes erlebt. Den Ersten Weltkrieg. Und den Zweiten.

Manche wurden vielleicht von der Spanischen Grippe dahingerafft, die heute im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wieder diskutiert wird. Damals gab es keine chirurgischen Masken, keine Tests und moderne Desinfektionsmittel, um sich zu schützen. Millionen von Menschen starben weltweit. Ja, ich finde, das relativiert so manchen Ärger unserer Zeit.

Ein Stück Stadtgeschichte

Die Grabsteine führen vor Augen, dass manche Familien unsere Stadt seit Generationen prägen. Natürlich ist da die berühmte Patrizierfamilie Pfyffer, nach deren Mitglieder teilweise sogar Strassen benannt sind. Zu finden sind aber auch die Familien Blättler und Doggwiler, seit Generationen die Metzgermeister in unserer Stadt. Oder die Gübelins, ihres Zeichens Gemmologen, die seit Generationen ein Juweliergeschäft am Schwanenplatz führen. Auch die Wirtenfamilie Galliker ist seit mehr als einem Jahrhundert hier vertreten – und fast ein jeder hat seinen Beruf als Gastgeber in den Grabstein eingraviert.

Mich berührt es, wie stark sich manche Verstorbenen mit dem identifizieren, was sie in ihrem Leben gearbeitet haben. Da sind Männer, die Stadtpräsidenten waren, und solche, die waren Staatsanwälte oder Bahndirektoren. Es hat aber auch zahlreiche Buchbinder und Baumeister, einen Gärtner, einen Offset-Drucker und sogar einen Hypothekarschreiber.

Der Beruf – eine Berufung

Auf jüngeren Grabsteinen findet man solche Vermerke nur noch selten. Die Zeit, in der man auf so innige Weise mit seinem Beruf verbunden war, scheint vorbei zu sein. Ich kenne zum Beispiel nur einen Luzerner Journalisten, der seinem Arbeitgeber seit mehr als 40 Jahren treu ist. Alle anderen angeln sich von Job zu Job, viele mit einem Wechsel in die Kommunikationsbranche im Hinterkopf.

Der Mensch ist heute mehr als sein Beruf. Und das ist gut so. Es ist schön, dass der persönlichen Entfaltung heute ein grösserer Stellenwert zukommt, dass wir uns immer weiterentwickeln, verändern und dazulernen. Doch es hat auch was Schönes, wenn sich Menschen mit Kopf und Haar einer Aufgabe verschreiben, wenn der Beruf eine lebenslange Liebe ist.

Ich für meinen Teil würde zwar nicht drauf wetten, dass auf meinem Grab dereinst «Lena Berger, Journalistin» steht. Aber ausschliessen mag ich es nicht.

Eine ruhige Bank im Friedhof Friedental. (Bild: ber)
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Libero
    Libero, 01.11.2020, 12:35 Uhr

    Gratuliere, Lena Berger
    zu diesem für heute sehr passenden Bericht mit den guten Bildern.
    Ein Spaziergang durch den Friedhof Friedental lohnt sich.
    Ein herzlicher Dank auch an die Stadtgärtnerei und die Friedhofverwaltung,
    die für uns diese Anlage das ganz Jahr pflegt.

    ps) Der Literat Carl Spitteler
    war der Erste, der in Luzern kremiert wurde.

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