Bettler, Minnesänger, waffenstarrende Söldner: Die mittelalterlichen Gassen von Zug füllen sich mit Leben. Aber passt der Mittelaltermarkt wirklich zum Crypto Valley?
Zum wiederholten Male dieses Jahr steht in Zug ein Grossanlass vor der Tür. Strassen der äusseren Altstadt sind gesperrt, die Organisatoren weisen die Schausteller ein, die sich für das am Smastag beginnende Mittelalterfest Zug einrichten.
Mittelalter-Anlässe sind in den letzten Jahren in der Schweiz wie Pilze aus dem Boden geschossen. Und auch das Fest in Zug ist relativ neu – es ist die dritte Auflage des zweijährlich stattfindenden Anlasses, der aber schon viele Freunde gefunden hat.
Ähnliche Schausteller, wechselndes Publikum
Bei Mittelalter-Events trifft sich oft eine immer gleiche Szene aus Geschichtsdarstellern, Marktfahrern und Freaks. Esoteriker sind auch nie weit.
In Zug aber scheint es gelungen, einen offenen Anlass zu etablieren, der viele Familien und Aussenstehende anspricht und auch professionelle Geschichtsvermittler zufriedenstellt.
«Werde auch hingehen»
Dafür spricht die grosse Besucherzahl von jeweils 20'000 Schaulustigen. Dafür spricht sich aber auch die Historikerin Dorothea Hintermann vom Museum für Urgeschichte(n) aus, das auf gelebte Geschichte spezialisiert ist. «Ich bin positiv überrascht vom Mittelaltermarkt in Zug», sagt sie.
«Zug hat Wurzeln, die bis in Hochmittelalter zurückreichen.»
Urs Raschle, Zuger Stadtrat (CVP)
Doch passt eine solche kunterbunte Veranstaltung mit Jahrmarktcharakter zu einer Businessstadt wie Zug, die sich gern mit dem Prädikat Crypto Valley schmückt? «Zug hat Wurzeln, die bis ins Hochmittelalter zurückreichen», sagt der frühere Tourismusdirektor Urs Raschle, der nun als Stadtrat für die Bewilligung von Grossanlässen zuständig ist.
Das Fest passe sehr gut in die Umgebung der äussern Altstadt, meint er und fügt hinzu: «Ich werde am Wochenende sicher auch hingegen.»
Für alle, die sich das auch vorstellen können, hier das grosse ABC zum Mittelaltermarkt Zug mit seinen Sehens- und Merkwürdigkeiten.
A wie Archäologie
Die Zuger Archäologie beziehungsweise das Museum für Urgeschichte(n), wo die Funde der Archäologen ausgestellt sind, ist mit einem Stand am Mittelalterfest Zug vertreten. Das Museum veranstaltet seit langem jedes zweite Jahr ein eigenes Freiluftfest bei der Athene.
«Wir stellen jedes Mal eine andere Epoche vor», sagt Sprecherin Dorothea Hintermann. Davon gibts einige, denn das Museum kümmert sich um die Geschichte des Kantons Zug seit der ersten Besiedlung durch Menschen um 17'000 vor Christus bis zum Ende des Frühmittelalters um 800 nach Christus.
2015 war Keltenfest, 2017 feierte man das 20-jährige Bestehen des Museums. Heuer verzichtete man mit Rücksicht aufs Mittelalterfest, das «Eidgenössische» und die andern Grossanlässe in Zug auf eine eigene Veranstaltung. «Wann das nächste Museumsfest folgt, ist derzeit noch ungewiss», sagt Hintermann.
B wie Burg Zug
Das grösste Gebäude im Festperimeter. Die ältesten Funde stammen aus der Zeit zwischen 750 und 1050. Aus einem herrschaftlichen Hof entstand im Hochmittelalter eine steinerne Burg, in der Neuzeit wurde sie zum Patriziersitz.
Heute beherbergt die Burg ein Museum, dass die Zuger Geschichte vom Jahre 800 bis heute abbildet – also auch das Mittelalter. Sie ist Dreh- und Angelpunkt zwischen der Verpflegungszone auf dem Burgbachplatz und dem Markt in der Kirchenstrasse.
C wie Corvi Montis
Corvi Montis ist eine Reenactment-Gruppe aus Ausserschwyz, die sich fürs Heerlager in Zug angekündigt hat. Auf ihrer Website schreibt sie: «Hüte Dich, unser Lager ohne Erlaubnis zu betreten, dann sei dir der nächste Baum als Gastgeber gewiss.» Also aufpassen!
D wie Dudelsack oder Drehleiher
Zwei Folk-Bands spielen während des Mittelalterfests: Meril ist mit einem Dudelsack instrumentiert, die Band Varda hat eine Drehleiher dabei. Daneben treten auch einige Sänger auf.
E wie Essen
Die Verpflegung darf bei keinem Fest fehlen. Auf dem Burgbachplatz steht die Verpflegungsmeile mit diversen Ständen. Ein Mittelalter-Gasthof bietet Spanferkel und anderes an. Dem modernen Geschmacksempfinden und den Hygienevorschriften wird laut Veranstalter Rechnung getragen. Beim Pulverturm gibts Risotto.
F wie Finanzen
Rund 90'000 Franken beträgt das Budget für die zweitägige Sause. Die Stadt Zug unterstützt den Anlass mit einem wesentlichen Betrag, daneben gibt es einige Dutzend weitere Gönner und Sponsoren.
Die Marktfahrer entrichten Standgebühren. Dennoch wird von den Organisatoren auch viel unentgeltliche Arbeit geleistet. «Grundsätzlich geben wir nur soviel Geld aus, wie wir haben», sagt OK-Präsident Roger Theiler.
G wie GAUR
GAUR steht für «Grosser, Allmächtiger und Unüberwindlicher Rat von Zug». Das klingt wie ein Witz und war ursprünglich auch so gemeint.
Der GAUR übernimmt heuer erstmals das Patronat des Zuger Mittelalterfests. Auch einige der Organisatoren stammen aus seinen Reihen. Der Rat unterhält ein Vereinslokal im historischen Pulverturm und hat die Aufgabe, die Lokalität zu betreuen. Denn diese kann von der Öffentlichkeit gemietet werden.
Die Ursprünge der Mittelalter-Gesellschaft liegen in der fasnächtlichen Tradition der Innerschweiz. Schon früher war es üblich, sich über Obrigkeiten und bekannte Personen an der Fasnacht lustig zu machen. Eine solche Persiflage liefert auch der GAUR, dessen Amtsträger sich mit überzeichneten Titeln wie «Reichsschultheiss» und Ähnlichem schmücken.
Der GAUR taucht am Ende des Mittelalters erstmals in den Quellen auf, verschwindet dann und wird gegen Ende der Neuzeit wieder vermehrt aktenkundig. «Seine Geschichte ist wissenschaftlich schlecht erforscht», sagt der Zuger Stadtarchivar Thomas Glauser.
Sicher ist: 1795 brannte die Trinkstube des Rats ab, wenige Jahre später marschierten napoleonische Armeen in die Schweiz ein. Das war das Ende des GAUR. 1977 wurde die Gesellschaft von einigen Mittelalter-Enthusiasten neu gegründet.
H wie Heerlager
So bezeichnet man das Gelände der Reenactors (siehe R) im Daheimpark. Verschiedene Gruppen stellen das Leben um die Jahre 1200, 1250 und 1480 dar. Es gibt einen Hufschmied, der Einblick gibt in ein selten gewordenes Handwerk. Auch ein Katapult fährt auf. Dieses kann indes nicht bedient werden. Interaktive Elemente für die Besucher gibts dennoch – in Form von Axtwerfen etwa.
I wie interessant
Der Verein für Stadtführungen bietet Wissensvermittlung an: Während 60 Minuten kann man sich die Zuger Altstadt zeigen lassen oder sich über die ehemaligen Mühlen am Burgbach weiterbilden. Das Angebot ist kostenpflichtig
J wie Jubel
Jubiliert wird gleich zu Beginn der Veranstaltung, wenn sie morgens um 10 Uhr von den Turmbläsern eröffnet wird. Dahinter verbergen sich Mitglieder der Musikgesellschaft Risch-Rotkreuz, die vor wenigen Wochen bereits zur Eröffnung des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests (ESAF) 2019 die Nationalhymne begleitete. «Darauf freue ich mich besonders», sagt OK-Präsident Roger Theiler.
K wie Kinder
Kinder sind eine der Hauptzielgruppen der Veranstalter. «Ziel des Mittelalterfests ist es, den Besuchern, und vor allem den Kindern, das Leben vor unserer Zeit nahezubringen», schreiben sie. Wenig überraschend gibt es Zauberer, Märchenerzähler eine Schminkstelle und anderes mehr. Exotisch ist die Gelegenheit zum Mäuseangeln.
L wie Luzerner Mittelaltermarkt
Auch in Luzern gibt es seit einigen Jahren eine Veranstaltung, die ähnlich wie das Mittelalterfest Zug funktioniert, aber kleiner ist.
Allerdings findet der Luzerner Mittelaltermarkt nicht in der Stadt, sondern auf der grünen Wiese statt – auf dem Obergütsch. Durchgeführt wird er im Frühjahr, was Wetterrisiken birgt. Heuer schneite es zum Beispiel. Die nächste Auflage ist am 4. und 5. April 2020 geplant.
M wie Marktfahrer
Ein wichtiger Teil jedes Mittelalterfests. In Zug sind auf dem Markt gut 60 Aussteller anwesend. Neben Kunst und Krempel gibt es altes Handwerk zu entdecken. So sind etwa mehrere Schmiede, ein Schwertfeger, ein Seifensieder, ein Drechsler oder ein Sattler zugegen.
N wie Neu
Erstmals mit dabei ist ein Fassmacher: Die Küferei Suppiger aus Küssnacht am Rigi ist eine der letzten Betriebe in der Schweiz und zeigt Weinliebhabern, wie man ein Barrique herstellt.
O wie Organisatoren
Das Organisationskomitee besteht aus sieben Personen. OK-Präsident Roger Theiler ist für die Bewilligungen und den Kontakt zu den Behörden zuständig und behält den Überblick.
Theiler leitet eigentlich die Logistikabteilung einer Handelsfirma, betreibt aber mit seiner Frau in Buonas auch einen Handel mit Drachen und anderen mythischen Figuren. «Ein Hobby aus meiner Kindheit», sagt er. Als Marktfahrer sei er mit der Welt des Mittelalters in Berührung gekommen und habe sie lieb gewonnen.
P wie Parkplätze
Besuchern wird empfohlen, mit dem öffentlichen Verkehr anzureisen. «Spazieren oder mit dem Velo kommen wäre auch eine gute Idee», sagt OK-Präsident Roger Theiler. Es gibt zwei Parkhäuser in der Umgebung mit begrenzter Kapazität.
Einige Gassen der Altstadt sind gesperrt. Ausserdem mussten die Organisatoren die 150 Fahrzeuge der Aussteller in der Umgebung unterbringen – eine logistische Herausforderung. «Das sind oft genug Kleinbusse oder Laster, die Überhöhe haben», so Theiler.
Q wie Quarkini
Nicht alle Mittelalterfans sind Fleischesser. Für die Vegetarier gibt es im Verpflegungsbereich etwa Quarkini oder Hanfgebäck. Noch besser bedient sind sie mit Getränken. Aus unerfindlichen Gründen wird Met (Honigwein) oder Beerenwein von vielen mit dem Mittelalter in Verbindung gebracht.
R wie Reenactor
Neudeutsch für Geschichtsdarsteller. Leute, die sich in ihrer Freizeit originalgetreue Kostüme schneidern, Rüstungen und Waffen nachbauen und sich damit stolz auf Veranstaltungen zeigen oder Schlachten nachspielen. Die Lust zum Rollenspiel ist unabdingbare Voraussetzung. Viele Reenactors interessieren sich auch für alte Techniken und versuchen ihre Ausrüstung mit originalen Methoden herzustellen. Die in Zug anwesenden Gruppen tragen seltsame Namen wie «Fryhe Muot» oder «Gewappnete Freyen».
S wie Spielleute
Neben den Marktfahrern, den Geschichtsdarstellern und den Besuchern die vierte Gruppe, die für ein erfolgreiches Mittelalterfest unabdingbar ist. In Zug zu sehen sind Bänkel- und Minnesänger, eine Gruppe namens Helle-Barden hat sich auf das Genre der Landsknecht-Lieder spezialisiert.
T wie Tradition
Das Zuger Mittelalterfest findet nach 2015 und 2017 zum dritten Mal statt. Tradition geworden ist der Anlass also noch nicht. Aber er bezieht sich auf die Tradition, respektive auf das 700-Jahre-Jubiläum der Schlacht am Morgarten, das 2015 gefeiert wurde.
«Zusammen mit Tom Landtwing habe ich damals die Eingabe für ein Zuger Mittelalterfest gemacht», erinnert sich OK-Präsident Roger Theiler. «Wir dachten, der Ort passt. Denn von der Burg Zug aus brach Herzog Leopold damals nach Morgarten auf», sagt er. Später sei man von begeisterten Besuchern ermuntert worden, das Fest erneut zu veranstalten.
U wie Unicon
Unicon heisst das Fest für Fantasy- und Science-Fiction-Fans, das heuer im Juni in Zug stattfand. Mit den Reenactors teilen die Cosplayer die Leidenschaft zum Verkleiden. Ausserdem gibts auch im Bereich Fantasy eine Schnittmenge – treiben sich doch bei Mittelalter-Events immer auch Elfen und Fabelwesen herum.
Vorerst ist der Anlass für Cosplayer aber ungleich kleiner . Ihre Community passte in den Burgbachsaal, das Mittelalterfest aber nimmt einen grossen Teil der äusseren Zuger Altstadt in Beschlag.
V wie Veranstalter oder VMFZ
Das Kürzel steht für die Veranstalterin des Anlasses, den Verein Mittelalterfest Zug. Der Verein arbeitet nicht profitorientiert. Das muss er auch, denn die Stadt Zug richtet keine Beiträge an Vereine aus, die mit ihrer Tätigkeit Vermögen anhäufen. Dem Ornithologischen Verein Zug etwa, der dies trotzdem getan hat, will der Zuger Stadtrat in Zukunft die Beiträge kürzen.
W wie Wachstum
Das Mittelalterfest Zug 2019 wird in etwa gleich gross wie die beiden ersten Austragungen 2015 und 2017. «Wir können gar nicht wachsen», sagt Roger Theiler, «und das ist vielleicht auch gut so». Das Festgelände in der äusseren Altstadt könne nicht beliebig erweitert werden.
X und Y
Dazu fällt uns nichts ein. Denk Dir etwas Schönes aus.
Z wie Zukunft
Wenn es nach den Organisatoren ginge, würden sie wohl gern schon das Zuger Mittelalterfest 2021 ankündigen. Zwei Sachen lässt sie zögern. Zum einen müsse der Geschäftsverlauf des bevorstehenden Fests abgewartet werden, sagt OK-Präsident Theiler.
Zweitens sei auch jedes Mittelalterfest mit Einschränkungen und Immissionen für die Anwohner verbunden. «Wir sind auf ihren Goodwill angewiesen», sagt Theiler, «und müssen ihn uns immer wieder aufs Neue erarbeiten.»