Wenn Dyson ins Altersheim kommt, fliessen auch mal Tränen
Dyson lässt sich gern von allen flattieren. (Bild: wia)
Sozialhunde werden in Schulen oder Heimen eingesetzt. Nicht selten sorgen sie dafür, dass die Besuchten aufblühen. Eine bewegende Reportage aus dem Altersheim.
«Nei, aber au», murmelt die ältere Dame jedes Mal, als Dyson an ihr vorbeispaziert. «So herzig», wiederholt die offensichtlich demente Frau immer und immer wieder gerührt. Dyson, in diesem Fall kein Staubsauger, sondern ein mittelgrosser, flauschiger und auffällig gutgelaunter australischer Labradoodle, buhlt gerade erfolgreich um die Gunst mehrerer Altersheimbewohnerinnen.
Die demente Dame streckt die Hand nach dem Tier aus, dieses lässt sich bereitwillig streicheln. Dann beginnt die Frau plötzlich zu weinen. Dyson setzt seine Pfoten auf das Knie der Frau. Er würde am liebsten zu ihr auf den Schoss springen.
Dass er das jedoch nicht darf, gibt ihm seine Halterin Marina zu verstehen. Erst als die Altersheimbewohnerin dem näheren Kontakt schluchzend zustimmt, hebt Marina ihren Hund näher an die Bewohnerin heran.
Ein kleiner Parcours fordert nicht nur den Hund, sondern auch den Alterheimbewohner. (Bild: wia)
Dass Dyson noch in der Ausbildung zum Sozialhund ist, liest man zwar auf dem Bandana, das er um den Hals trägt. Er selbst hingegen wirkt, als hätte er nie etwas anderes in seinem Leben gemacht. Als sei er dafür geschaffen, dort zu sein, wo es ihn braucht.
Die Szene spielt sich im Altersheim Heideweg in Brunnen ab. Dyson ist nicht der einzige Hund an diesem Nachmittag. Fünf Mensch-Hund-Teams der Zuger Hundeschule Wolfsrudel sind mit ihren Vierbeinern vor Ort. Hier geht es mal nicht um die viel besprochene Leinenpflicht oder das richtige Auftreten in der Öffentlichkeit – hier werden Sozialhunde ausgebildet.
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Regelmässige Einsätze in Altersheimen
Die Teams besuchen einmal im Monat Institutionen wie diese, um Zeit mit Bewohnern zu verbringen. Während einer Stunde können diese in Kontakt treten mit den Hunden, sie dürfen sie streicheln, mit ihnen spielen, und werden dabei aufgefordert, selber aktiv zu werden. Den Wurfbeutel wegzuschmeissen, den Dyson bereitwillig zurückbringt, ist für viele der Altersheimbewohnerinnen motorisch anspruchsvoll. Doch sie alle schaffen es, egal, ob nun vier oder nur einen halben Meter.
Eine Win-Win-Win-Situation
Unweit von Dyson liegt Buddy auf dem Rücken. Der Australian Shepherd lässt sich den Bauch von einem Bewohner kraulen und scheint sich äusserst wohl zu fühlen. Seine Halterin Mirella steht nebenan, lächelt und beobachtet. Sollte ihr Hund Anzeichen von Unwohlsein oder Überforderung zeigen, schreitet sie ein. «Im Fall von Buddy würde das bedeuten, dass er aufzudrehen beginnt. Dann nehme ich ihn aus der Situation heraus und gebe ihm eine Aufgabe, bei der er konzentriert arbeiten muss. Das beruhigt ihn.» Zu tun bekommt Buddy etwas später auch ohne Überforderung.
Ein Mann, der im Rollstuhl sitzt und offensichtlich einen Narren an Buddy gefressen hat, muss ein paar Hundeguetsli in einem sogenannten Schnüffelteppich verstecken, der aus unzähligen Fransen besteht. Den Teppich legt er sich auf den Schoss und Buddy beginnt auf Kommando zu schnüffeln. Es ist eine Win-win-win-Situation. Der ältere Herr stärkt seine feinmotorischen Fähigkeiten, Buddy erhält Arbeit und Snacks, und Mirella bekommt einen ausgelasteten Hund zurück.
Die Halterinnen müssen ihre Tiere lesen lernen
Zurück zu Dyson. Nachdem diese eine Weile bei der weinenden Frau stand, tritt Nadine Bründler dazu und fordert Halterin Marina auf, den Hund auf seine Decke zu schicken. Bründler ist in der Ausbildung zur Sozialhundtrainerin und überblickt an diesem Tag als eine der Verantwortlichen den Einsatz. Buddy trottet etwas widerwillig auf seine Decke. Jeder Hund verfügt über seinen eigenen Rückzugsort, zu dem er jederzeit hin darf, um sich auszuruhen.
Das sei ein sehr wichtiger Aspekt der Sozialhundausbildung, erzählt Bründler. Die Menschen lernen, ihren Hund sehr genau zu lesen. Was sind seine Anzeichen von Überforderung? Wann ist er müde? Wann braucht er eigentlich Rückzug, wird jedoch vom eigenen «will to please» davon abgehalten? Mehrmals äussert Bründler beim Einsatz die Aussage: «Schützt eure Hunde. Ihr müsst klar kommunizieren.»
Der Sozialhund muss nichts
Beim Training im Altersheim bewegen sich die Hunde frei. Das ist eines der wichtigen Merkmale bei Sozialhunden. Sie dürfen in Kontakt treten und mit Menschen spielen, aber sie müssen nicht. Suchen sie ihre Matte auf, bleiben sie dort, bis sie wieder Energie getankt haben. Dyson jedoch scheint gar keine Lust auf Ruhe zu haben. Er will interagieren und spielen. Was für den Labradoodle so natürlich scheint, ist für Halterin Marina anspruchsvoll. Denn es ist erst das zweite Spezialtraining, an dem das Zweierteam teilnimmt. «Ich arbeite als Ärztin und bin es gewohnt, selber zu agieren. Hier muss ich Dyson selber machen lassen. Daran muss ich mich noch gewöhnen.»
Bewusst hat sie sich eine Hunderasse ausgesucht, die sich gut eignet für Sozialeinsätze. «Der Australian Labradoodle wurde explizit dafür gezüchtet, den Menschen zu erfreuen. Er hat keinen Beschützerinstinkt und ist, da er nicht haart, auch für Allergiker geeignet.» Marina fährt fort: «Bereits meine Mutter war früher mit unserem Hund in Altersheimen zu Gast, zu einer Zeit, als das noch überhaupt nicht üblich war.»
In einem Nebenzimmer haben sich mehrere Bewohnerinnen mit der französischen Bulldogge Kuro, seiner Halterin Ursina sowie mit der siebenjährigen Labradordame Mila und ihrem Menschen Robert eingefunden. Hier geht es deutlich ruhiger zu und her als auf dem Gang. Auch wenn Kuro, ein kräftiger Wirbelwind, sofort zur Stelle ist, wenn jemand auch nur Andeutungen macht, ihn streicheln zu wollen. Kuro liebt alle Menschen.
Manchmal beginnen die Menschen zu erzählen
Die Spiele, die hier bereitliegen, sind praktisch unangetastet. Vielmehr führt die Anwesenheit der Hunde dazu, dass die Bewohnerinnen, die anfangs in sich gekehrt wirkten, aufzublühen beginnen. Sie fangen an, Fragen zu stellen und eigene Geschichten zu erzählen. Nicht zwingend geht es dabei um Tiere.
Die Stunde ist rasch vorbei. Dass der Einsatz zeitlich überschaubar bleibt, ist gerade für die Hunde wichtig. Diese sind nach so viel Interaktion, Schnüffeln, Ballholen und Slalomspazieren nudelfertig.
Draussen vor dem Eingang trifft sich das Social-Dog-Team nochmals zur Feedbackrunde. Hier können Unsicherheiten geäussert und Fragen gestellt werden. Das Fazit ist grundsätzlich sehr positiv. Die emotionale Reaktion der dementen Frau hat einige berührt. Alle waren ausserdem überrascht, wie viele Altersheimbewohner beim Anlass teilgenommen haben.
«Es waren deutlich mehr, als wir dachten», sagt Jacqueline Meier, die administrative Leiterin, schmunzelnd. Das Bedürfnis für Anlässe wie diesen scheint sehr gross zu sein. Vielleicht ist es der Wunsch, einem lieben Hund durchs Fell zu streichen, der die Bewohner aus ihren Zimmern lockt. Vielleicht auch das Bedürfnis, eigene Geschichten von früher zu teilen. Vielleicht sucht man aber auch nur einen Farbtupfer im sonst eintönigen Alltag.
Journalistin und langjährige Autorin bei zentralplus. Schreibt über politische Querelen, aufregende Bauprojekte und gesellschaftlich Bewegendes. Am liebsten jedoch schreibt sie über Menschen. Und natürlich Hunde.