150 bewerben sich auf eine Wohnung in Zug

Verzweifelte Suche nach einer Wohnung für Obdachlose

Walter Frei ist Betreuer beim Verein «Ein Bett für Obdachlose» in Zug. (Bild: ida)

Wohnung verzweifelt gesucht: In Zug setzt sich der Verein «Ein Bett für Obdachlose» dafür ein, Obdachlose in Wohnungen unterzubringen. Es ist eine Herkules-Aufgabe.

Sie sind unsichtbar – und doch da: Obdachlose im Kanton Zug (zentralplus berichtete). Der Verein «Ein Bett für Obdachlose» holt diese unsichtbaren Menschen von der Strasse. Im Kanton Zug vermietet der Verein Wohnungen an obdachlose Menschen.

Walter Frei ist Betreuer des Vereins. Er kennt die Menschen auf der Gasse und ihre Sorgen im Kanton Zug wie kein Zweiter. Als Gassenarbeiter ist er auch beim Fachzentrum Punkto Zug tätig.

Das letzte Mal, als wir mit Walter Frei in Zug unterwegs waren, begegneten wir einer jungen Frau, die seit ein paar Wochen obdachlos war. Frei gibt Entwarnung: Sie ist untergebracht. Junge obdachlose Frauen seien eher eine Ausnahme. Zum Glück, wie er anfügt. «Denn sie sind massiv gefährdet auf der Gasse. Auch wegen sexuellen Missbrauchs.» Dass jemand sie beispielsweise bei sich schlafen lassen würde gegen Sex. «Deswegen ist es wichtig, solche Menschen so schnell wie möglich aufzufangen und unterzubringen.»

Zurzeit hat der Verein vier Wohnungen gemietet – die meisten sind Wohngemeinschaften. Hier wohnen sechs Personen, die zuvor kein festes Dach über dem Kopf hatten. Sie schliefen auf der Gasse oder hangelten sich Nacht für Nacht durch, um bei Freunden oder Bekannten einen Schlafplatz zu bekommen.

Die Wohnungen sind für Obdachlose fast unerreichbar

Frei würde sich noch mehr Wohnungen wünschen. Etwa doppelt, wenn nicht dreimal so viele Wohnungen. Doch an diese zu kommen, sei fast ein Ding der Unmöglichkeit. «Es ist sehr schwierig, im Kanton Zug an Wohnungen zu gelangen, die wir unserem Klientel untervermieten können.» Es brauche viel Zeit, Geduld und Beziehungen, um überhaupt zu den «richtigen» Menschen zu gelangen. Die Menschen, welche Wohnungen besitzen. Und jene, die jemandem eine Chance geben wollen, der bei den meisten Verwaltungen und Genossenschaften durch das Raster fällt.

«Der freie Wohnungsmarkt ist für obdach- oder wohnungslose Menschen zu hochschwellig», sagt Walter Frei. «Die meisten von unseren Klienten haben Betreibungen, keinen sauberen Leumund oder sie fallen durchs Raster, weil die Miete ein Drittel ihres Einkommens sprengt.»

«Von 100 Bewerbungen klappt es vielleicht bei einer Wohnung.»

In seiner Funktion als Gassenarbeiter bei Punkto Zug vermittelt er oft zwischen Klienten und Verwaltungen – um möglichst zu verhindern, dass jemandem mit finanziellen Problemen die Wohnung gekündigt wird. Das hat eine hohe Priorität. Freis Meinung nach müsste es eine Stelle für solche Menschen geben, wo man sich melden kann, wenn man die Wohnung verloren hat. «Da alleine wieder rauszukommen, ist enorm schwierig.»

Die Wohnungen sind in Zug rar

Kommt hinzu: Der bezahlbare Wohnraum ist rar im Kanton Zug. Letzthin hat sich Walter Frei auf eine Wohnung beworben, er hatte 150 Mitkonkurrenten. Wie viel Büez steckt dahinter, bis der Verein an eine Wohnung gelangt? «Puuuh», Walter Frei pfeift hörbar aus. «Enorm viel.» Und er denkt nach. «Letztes Jahr haben wir für unsere Klienten keine einzige Wohnung gekriegt. Dieses Jahr haben wir eine geschafft.» Über den Daumen gepeilt würde er sagen: «Von 100 Bewerbungen klappt es vielleicht bei einer Wohnung.»

Wie oft spielen Berührungsängste und Vorurteile gegenüber Randständigen eine Rolle? Frei sucht nach den richtigen Worten. Und er sagt dann: «Wenn man bis zu 100 Bewerbungen hat, so entscheidet man sich wohl für das beste und vielversprechendste Dossier. Und in Zug haben die Verwaltungen nun mal die Wahl.»

Housing First: Darum ist eine feste Bleibe wichtig

Dass Menschen ohne Dach über dem Kopf wieder eine feste Bleibe erhalten, hat oberste Priorität, sagt Walter Frei. Er spricht das Housing First an – ein Ansatz in der Obdachlosenhilfe. Dabei geht es im Kern darum, Obdachlosen eine Wohnung zu geben, ohne dies an bestimmte Bedingungen zu knüpfen.

«Wie will jemand einen Entzug machen, wenn er sich jeden Tag darum kümmern muss, wo er schlafen kann?»

So ist es auch bei den Wohnungen des Vereins «Ein Bett für Obdachlose». Die Menschen müssen also beispielsweise nicht Drogen-abstinent leben oder an einer bestimmten Behandlung teilnehmen. «Es geht darum, dass sie zuerst einfach mal ankommen und zur Ruhe kommen. Dabei geben sie den Takt an.»

Das heisst, sie sagen, was sie in ihrem Leben verändern wollen und wie oft sie sich mit Walter Frei treffen wollen. Frei unterstützt sie als Betreuer – ohne Druck aufzubauen. Er hilft ihnen bei ihren Besuchen auf dem Sozialamt, beim Vermitteln an Psychiatrien oder bei Jobbewerbungen.

Randständige geben den Takt vor

«Ziel ist es, dass das Leben unserer Klienten und Klientinnen stabiler wird, indem wir ihnen einen festen Platz geben, an dem sie schlafen und ihre Grundbedürfnisse stillen können. Denn wie will jemand zum Beispiel einen Entzug machen, wenn er sich jeden Tag darum kümmern muss, wo er schlafen kann?»

Der Verein gibt auch keine Zeitlimite an: Die Menschen können so lange bleiben, wie sie wollen. Die einzige Bedingung: Sie müssen sich beim Sozialamt melden, die Miete muss bezahlt werden – und sie müssen sich an die Hausordnung halten sowie eine Hausratversicherung abschliessen.

Auf dem richtigen Weg

Im letzten Jahr hat es nur wenige Wechsel gegeben in den Wohnungen, die der Verein Obdachlosen zur Verfügung stellt. «Alle anderen leben seit Jahren in den Wohnungen. Das zeigt, dass sie eine gewisse Stabilität in ihr Leben bringen konnten.» Einige konnten in normale Wohnungen umziehen, andere sind von den Drogen losgekommen und haben im Arbeitsmarkt Fuss gefasst.

Walter Frei erzählt von einem jungen Mann mit Suchtvergangenheit, der obdachlos wurde, nachdem er auch aus Heimen geworfen worden war. Schliesslich hat ihn der Verein aufgenommen und ihm ein Zimmer gegeben. Von sich aus wollte der Mann aufhören mit den Drogen. Heute zahlt er seine Betreibungen ab und hat eine Lehre begonnen. «Er ist auf gutem Weg», blickt Walter Frei zuversichtlich in die Zukunft.

Einige Dutzend Betroffene

Es ist unklar, wie viele Menschen im Kanton Zug obdachlos sind und auf eine Wohnung angewiesen wären. In Zug gibt es dazu keine offiziellen Zahlen. Frei schätzt, dass es ein paar Dutzend sind. «Eigentlich spielt es für mich ja auch keine Rolle, wie viele es sind: Denn jeder einzelne Mensch hat eine Geschichte, zumeist eine verzweifelte und der Mensch befindet sich in einer Not.» Hier möchte der Verein ansetzen.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Walter Frei
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Vreni
    Vreni, 30.05.2022, 13:19 Uhr

    Container wäre eine gute Lösung

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  • Profilfoto von Rudolf 1
    Rudolf 1, 30.05.2022, 05:32 Uhr

    Obdachlose? Eine Brücke oder der Eingang einer Bank sind sprachlich ein Obdach.

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