Nachruf von Alt-Stadtrat Ruedi Meier

Ursula Stämmer: eine gute Politikerin und eine noch bessere Kollegin

Ursula Stämmer-Horst mit Urs W. Studer und Ruedi Meier auf einem Wahlflyer. (Bild: zvg)

Die langjährige Luzerner Stadträtin Ursula Stämmer-Horst ist am letzten Samstag nach einer schweren Krebserkrankung verstorben. Ein Nachruf von Ruedi Meier, ehemaliger Stadtrat und Freund der SP-Politikerin.

Ich bin nicht in Luzern aufgewachsen. Daher hatte ich auch keine Gelegenheit, am Rande einer Jugend-Party in einem Pfadi-/Pfarreiheim Ursula zu küssen. So wie es ein Kollege tat und mir nach ihrer Wahl einmal stolz anvertraut hat. Viel später hat sie mir das auf Nachfrage lachend bestätigt.

Unsere gemeinsame Zeit begann vor rund 30 Jahren, als Ursula mit ihrem Ehemann Bruno und ihren zwei Töchtern Laura und Giulia aus der Ostschweiz, wo die Familie eine Zeitlang gelebt hatte, nach Luzern zurückkehrte.

Damals steckten wir beide mitten drin in der Familienphase mit kleinen Kindern. Aber mindestens ebenso tief steckten wir im politischen Engagement. Sie für und bei der SP, ich im Grünen Bündnis. Wir mochten uns auf Anhieb sehr gut. Dabei haben uns zwei Aspekte verbunden: Wir beide engagierten uns nebst der Parteipolitik auch gewerkschaftlich, im VPOD, eine gemeinsame Leidenschaft also. Und wir wussten: Dies bedeutete Zusammenarbeit, Ziehen am gleichen Strick, trotz der unterschiedlichen Parteizugehörigkeit.

Wir beide schätzten dieses Denken und Agieren über den Tellerrand hinaus sehr. Diese grosse Stärke von Ursula zeigte sich auch nach ihrer Stadtratszeit, als Präsidentin der Reformierten Landeskirche. Respekt und Offenheit gegenüber anderen Konfessionen und Religionen waren die Grundlage ihres Engagements. Dies erfuhr ich als politischer Berater der Islamischen Gemeinde Luzern (IGL) immer wieder. Wenn es besonders schwierig wurde, war sie zur Stelle.

Eine fortschrittliche Mehrheit

Die Nomination für die Stadtratskandidatur war in beiden Parteien sehr umstritten. Ich erinnere mich gut, als sie mir im Hotel/Restaurant Löwengraben zu meiner Nomination gratulierte – sie war bereits nominiert. Wir beide spürten und wussten: Jetzt sind wir gemeinsam gefordert, in der Stadt Luzern zwei linke Sitze im Stadtrat zu sichern.

Und zusammen mit dem parteilosen, sozialliberalen Stadtpräsidenten Urs W. Studer – der unter anderem von SP und Grünen unterstützt wurde – eine rot-grün-sozialliberale Mehrheit im Stadtrat zu schaffen. Dies gelang bekanntlich im Frühsommer 2000.

Ein wichtiges Zeichen für die Frauen

Bei der Direktionsverteilung gerieten wir uns nicht in die Haare. Als Sozialdemokratin und Pflegefachfrau war Ursula eigentlich prädestiniert für die Sozialdirektion, die nach der Fusion mit der Bürgergemeinde neu geschaffen wurde. Sie aber wollte nicht immer in den Topf der Krankenschwester geworfen werden.

Polizei, Feuerwehr, Sicherheit, Umwelt das sei auch ein Ding, geführt durch eine Frau erst recht; ein wichtiges politisches Zeichen. An diesem Entscheid hatten nicht alle Freude, und sie bewies ein erstes Mal ihr eigenständiges Profil. Vor allem die SP bedauerte, dass Ursula als Sozialdemokratin nicht die neu entstandene Sozialdirektion übernommen hatte. Aber sie hielt Wort: Sie schaute immer mit kritischen, vor allem auch sozialen und fachlichen Augen auf die Politik, die unser Team in der Sozialdirektion entwickelte. Da bekamen wir sehr viel, Inputs, Knowhow, Unterstützung, und wir wussten ihren Goodwill zu schätzen.

Das Team war wichtig

Ähnlich hielt sie es mit den anderen Direktionen. Sie mischte sich ein, brachte zusätzliche fachliche und politische Aspekte ein. Das war wichtig, war sie doch das zentrale Bindeglied zur grossen und prinzipientreu agierenden Fraktion der SP. Und das war auch nicht immer leicht. Im Zweifelsfall liess sie das Stadtratsteam nicht hängen. Das wussten wir sehr zu schätzen. Und wir Kollegen versuchten, dies mit unseren Fraktionen und Parteien gleich zu halten.

«Am Jodlerfest bewies Ursula einmal mehr, über welch enorme Integrationskraft sie verfügte.»

Nun eben, diese «Eigen-Stämmer-igkeit» ... manchmal hatte sie den Hang zu eigenständigen, wenn nicht sogar einsamen Lösungen. Die Polizeiaktion 2007 gegen eine unbewilligte Demo mit Massenverhaftungen und Arrestierung im Sonnenberg kam bei vielen im eigenen politisch-gesellschaftlichen Umfeld gar nicht gut an. «D’Stämmer – diä gämmer!», so die subkulturelle Losung. Andere – nicht wenige – aber applaudierten, «d’Stämmer, diä wämmer!».

Lebensgefühl öffentlicher Raum

In der Tat, der Umgang mit dem öffentlichen Raum prägte die ersten Jahre der Amtszeit von Ursula sehr. Es entwickelte sich mehr und mehr die sogenannte Ausgeh- und 24-Stunden-Gesellschaft mit allen Folgen: Tolle menschliche Begegnungen, Freude, Ausgelassenheit, good business, aber auch viel Alkohol und Lärm, Littering, Drogenszene, Gefühle der Unsicherheit. Die Politik war gefordert.

Ursula skandalisierte diese Entwicklung nicht. Sie erkannte deren Lebensqualität und agierte als Moderatorin, gut unterstützt von Baudirektor Kurt Bieder: Der öffentliche Raum wurde neu mit Bars und Restaurants bespielt, damit viel attraktiver gemacht und die Verantwortung an die Betreiber-Teams delegiert. Die neu geschaffene SIP agierte im Vorfeld der Polizei und setzte aufs Gespräch. Und die Polizei intervenierte erst dann, wenn diese Moderation nicht funktionierte.

Ursula musste sich damals einiges anhören. Dabei war die Abqualifizierung der SIP als sogenannte «Penner-Polizei» nicht das Schlimmste. Aber Ursula hielt durch. Wenn Sie sich heute – liebe Leserinnen und Leser - also wohl und sicher fühlen im öffentlichen Raum und die aufgestellte Stimmung geniessen: Da steckt sehr viel Ursula Stämmer drin!

Energie-Pionierin und Ober-Jodlerin

Die ökologische Offenheit des Stadtrat-Teams machte es Ursula möglich, die Energiepolitik in Richtung mehr Nachhaltigkeit und Effizienz voranzutreiben. Und sie packte zusammen mit ihren Mitarbeitenden diese Chance und legte ein Programm auf, das Luzern zur Energie-Stadt mit Gold-Label machte. Ihr Präsidium im schweizerischen Verein Energie-Stadt war Ausdruck ihres ökologischen Engagements.

«Sie hörte zu, sie redete, sie lachte – manchmal auch bei einem Glas oder einer Zigarette, allenfalls einer Pirouette zu viel.»

Eine gute Portion «Eigen-Stämmer-igkeit» steckte in ihrer Interpretation als OK-Präsidentin des Eidgenössischen Jodlerfests 2008. Wir Stadtratskollegen genossen den Anlass und schätzten das Engagement, wie auch jenes von Franz Müller als OK-Präsident des Eidgenössischen Musikfestes 2006. Aber Stapi Urs Studer war nun echt nicht der Jodler und die restlichen drei Stadtratskollegen auch nicht. Da sprang Ursula in die Bresche und machte auch als SP-Frau in Tracht beste und echte Figur.

Grosse Integrationskraft – eine aussergewöhnliche Stärke

Damit bewies Ursula einmal mehr, über welch enorme Integrationskraft sie verfügte. Sie konnte verschiedenste politische und gesellschaftliche Milieus einander näher bringen, sie hatte Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen, etwa von Kanton und Gemeinden. Dies, weil sie sich im echten Sinne für «Land (und Stadt) und Leute» interessierte, weil sie die Leute mochte und Verständnis hatte auch für unterschiedliche Rollen.

Sie hörte zu, sie redete, sie lachte – manchmal auch bei einem Glas oder einer Zigarette, allenfalls einer Pirouette zu viel, sie lachte und nahm die Anliegen, die Kontakte und Beziehungen mit und brachte diese ein, was hiess: in ihre Direktion, in ihre Geschäftsleitung, in den Stadtrat. Bei Gesprächen zwischen den Direktionen wurden grosse und kleine Aspekte, operative Anliegen oder strategische Überlegungen zum Thema gemacht. Manchmal war es fast etwas viel, wenn sie begann: «Du Ruedi, ich sage dir! Du solltest noch, ihr müsst unbedingt; warum habt ihr nicht?»

Ach, wie Ursula uns fehlt!

Nach meinem Rücktritt aus dem Stadtrat 2012 vermisste ich vieles und viele, einiges und einige aber nicht. Ursula fehlte mir stark. Sie war nicht nur eine gute Kollegin, sondern eine Freundin geworden. Die Kontakte aber blieben rar, sie steckte noch immer im Management-Job als Stadträtin, da ist Zeit ein rares Gut. Mit ihrem Rücktritt 2016 kam sie quasi zurück in unseren Kreis, nun halt ebenfalls als Ehemalige.

Ihre Erkrankung war für uns alle ein Schock, ausgerechnet unsere Jüngste, ausgerechnet Ursula mit ihrer enormen Tatkraft! Aber sie mobilisierte viel Energie und Optimismus. Der Krankheitsverlauf dann war rasant. Und trotzdem: Die Todesnachricht hat mich und auch meine Kolleginnen und meine Kollegen schwer getroffen. Ich kann es noch immer kaum fassen. Immer wieder befällt mich eine grosse Trauer.

Es bleibt die Erinnerung an eine aussergewöhnliche Frau und eine aussergewöhnliche Zeit. Und mithin wird sie da oben auf meiner Erinnerungswolke regelmässig dabei sein, zum Beispiel beim Nachcorona-Spaziergang im öffentlichen Raum, in einer der Sommerbars oder aktuell im Homeoffice oder dereinst im Kreise der Ehemaligen nach der Quarantäne. Dann möchten wir gebührend Abschied nehmen von ihr.

Zum Autor: Ruedi Meier war der erste grüne Stadtrat von Luzern. Der 68-Jährige amtete von 2000 bis 2012 als Sozialdirektor, in dieser Zeit leitete Ursula Stämmer-Horst die Sicherheitsdirektion.

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