:focal(1280x854:1281x855)/www.zentralplus.ch/wp-content/uploads/2022/11/2022_Velostation_Teilnehmer_Service_Bildquelle_Caritas_Luzern-scaled.jpg)
Wer in den vergangenen Tagen sein Velo in der Velostation Luzern abgestellt hat, hat sie gesehen: Die Flyer, auf denen ein Mann mit Namen genannt und mit Bild angeprangert wird. Er soll Velos gestohlen haben. Die Betreiberin der Velostation erklärt sich, eine Rechtsprofessorin ordnet ein.
«Hausverbot» steht in roter Computerschrift auf weissen Papieren. Auf diesen steht, dass Dennis* – er wird mit Vor- und Nachnamen aufgeführt – Hausverbot hat. Er darf das gesamte Areal der Velostation Luzern nicht betreten. «Grund: Diebstahl, Sachbeschädigung.» Wer die Person sehe, solle die Polizei rufen. Darunter sind drei Bilder gelistet – Aufnahmen von Überwachungskameras – unverpixelt.
Hinter den Aushängen steckt die Caritas Luzern. Diese betreut im Auftrag der Stadt die Velostation (zentralplus berichtete).
Mehrere Diebstähle bei der Velostation Luzern
Wie Reto Stalder, Mediensprecher der Caritas Luzern, erklärt, hätten die vergangenen Wochen ein oder mehrere Diebe ihr Unwesen rund um die Velostation getrieben. Die Täter haben die Schiebetüren zum geschützten Bereich geöffnet, sich unerlaubt Zutritt zum abgesperrten Bereich verschafft und nachts mehrere Diebstähle begangen.
Reto Stalder, Mediensprecher Caritas Luzern«In der Vergangenheit gab es vereinzelte Diebstähle, die Anhäufung in den letzten Wochen war aussergewöhnlich.»
Ein Diebstahl betraf die Caritas selbst. Jemand habe ein frisch gewartetes Velo einer Kundin samt Werkzeug gestohlen.
Hinzu kommen gemäss Stalder «zahlreiche Diebstähle und Sachbeschädigungen», die nicht zu einer Anzeige führten. Velofahrerinnen erzählten der Caritas, dass Schlösser und ähnliches gestohlen worden seien. Zudem seien in den letzten Wochen immer wieder Ladezubehör des Veloverleihers Nextbike oder Türschlösser aufgebrochen worden. «In der Vergangenheit gab es vereinzelte Diebstähle, die Anhäufung in den letzten Wochen war aussergewöhnlich», so Stalder.
In den vergangenen vier bis fünf Wochen haben fünf Diebstähle zu einer Anzeige bei der Polizei geführt, schreibt Stalder in einer Mail.
Drei Personen haben Hausverbot
Die Velostation, die hinter dem Uni-Gebäude zur Seite des Bahnhofs steht, ist videoüberwacht. Die Aufnahmen liegen nun bei der Polizei, erklärt Stalder. «Aufgrund der Videodaten haben wir jedoch – in Rücksprache mit der Polizei und der Stadt Luzern – für drei Personen ein Hausverbot verhängt.» Die Polizei ermittle derzeit.
Reto Stalder«Ziel des Aushangs war es, die Mitarbeitenden auf das Hausverbot hinzuweisen. Dass der Aushang öffentlich sichtbar war, war jedoch unsensibel.»
Doch wie kams, dass die Caritas Dennis öffentlich als mutmasslichen Dieb «geoutet» hat? Wie rechtfertigt die Caritas diesen drastischen Schritt?
Warum die Caritas öffentlich auf einen Dieb aufmerksam macht
«Ziel des Aushangs war es, die Mitarbeitenden auf das Hausverbot hinzuweisen. Dass der Aushang öffentlich sichtbar war, war jedoch unsensibel», gibt Stalder darauf angesprochen zu. Insgesamt habe die Caritas sechs Aushänge aufgehängt – die seit Dienstag weg sind.
Dass die Aushänge öffentlich sichtbar waren, sei der «betrieblichen Realität» geschuldet.
In der Velostation arbeiten gemäss Aussagen des Mediensprechers rund 20 bis 25 Festangestellte der Arbeitsintegrationsprogramme. Ziel dieser Arbeitsintegration ist es, erwerbslosen Personen den Berufseinstieg und damit ein ökonomisch unabhängigeres Leben zu ermöglichen.
An der Velostation herrsche unter den Mitarbeiterinnen viel Bewegung, zudem gebe es aufgrund des Formats der Arbeitsintegration viele Wechsel in der Belegschaft.
«Wir wollten, aufgrund der wiederholten und stark ansteigenden Anzahl an Diebstählen und Sachbeschädigungen ein Hausverbot durchzusetzen. Dieses Vorgehen ist legitim und im Sinne der Nutzenden der Velostation, die ein sicheres Abstellen ihrer Velos erwarten», so Stalder.
Das ist eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung, sagt die Privatrechtsprofessorin
zentralplus hat Regina Aebi-Müller, ordentliche Professorin für Privatrecht an der Universität Luzern, um eine rechtliche Einschätzung gebeten.
Regina Aebi-Müller, ordentliche Professorin für Privatrecht an der Universität Luzern«Mit dem Aushang, der die betroffene Person mit vollem Namen und Bild zeigt und ihm Sachbeschädigung/Diebstahl unterstellt, verletzt Caritas die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen.»
Ihrer Meinung nach sind solche Aushänge durchaus problematisch. Es verletze das Recht am eigenen Bild von Dennis und vor allem dessen Ehre. «Mit dem Aushang, der die betroffene Person mit vollem Namen und Bild zeigt und ihm Sachbeschädigung und Diebstahl unterstellt, verletzt Caritas die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen.»
Verstösse gegen das Persönlichkeitsrecht könnten zivil- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen und bis zu Schadenersatzforderungen führen.
Darum liegt kein überwiegendes Interesse vor
Eine öffentliche Anprangerung sei nur mit einem überwiegenden Interesse zu rechtfertigen – und ein solches liegt laut Aebi-Müller in diesem Fall nicht vor.
Sie führt aus: Auch wenn es stimmen würde, dass Dennis in der Velostation Sachbeschädigungen und Diebstählenbegangen hat, wäre das gewählte Vorgehen – das Aufhängen der Ausdrucke – nicht erforderlich, um die Räume und Velos zu schützen. «Insbesondere müsste der Name nicht genannt werden. Auch auf die konkreten Vorwürfe müsste nicht eingegangen werden, der Hinweis auf ein Hausverbot würde ausreichen.»
Die Caritas hätte die Mitarbeiter auch anderweitig informieren können, sagt die Professorin. Ausserdem müsste man gemäss Aebi-Müller prüfen, ob man nicht schon mittels des Zugangssystems Unbefugte daran hindern könnte, das Areal zu betreten.
Die Caritas hat tatsächlich den Zutritt schon eingeschränkt. Wer das Velo in der Velostation abstellen will, kann diese nur mittels Badge oder App betreten – auch tagsüber. Die Wohltätigkeitsorganisation scheint auch aus der Sache gelernt zu haben. Die Aushänge sind weg – erneut würde die Caritas ähnliche nicht mehr aufhängen. Reto Stalder schreibt: «Künftig werden wir Informationen für Mitarbeitende ausschliesslich in einem für Mitarbeitende zugänglichen Bereich aushängen.»
Ruhe kehrt in der Velostation jedoch vorerst noch nicht ein. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurde ein E-Bike gestohlen.
Hinweis: Zum Schutz des Betroffenen hat zentralplus den Namen anonymisiert.
- Input von Leserreporterin
- Augenschein vor Ort
- Schriftlicher Austausch mit Reto Stalder, Mediensprecher der Caritas Luzern
- Schriftlicher Austausch mit Regina Aebi-Müller, ordentliche Professorin für Privatrecht an der Universität Luzern