Luzerner Philosoph zum Tod des Extrembergsteigers

«Ueli Steck hat das Leben gelebt – mit allen Konsequenzen»

Der Mensch und der Berg: Dimensionen, die Extrembergsteiger Ueli Steck kannte wie kein anderer.

(Bild: Homepage/Ueli Steck)

Der Tod von Ueli Steck erschüttert die Öffentlichkeit. Der tragische Vorfall polarisiert aber auch, weil er ein kritisches Licht auf die bitteren Folgen von Extremsport wirft. Wie sind solche Grenzerfahrungen zwischen Leben und Tod zu bewerten? Roland Neyerlin (64), der sich in den letzten Jahren intensiv mit den Fragen um Alter, Lebensende und Sterben auseinandergesetzt hat, gibt Antworten.

Der Tod des 40-jährigen Extrembergsteigers, der am Sonntagmorgen am Nuptse auf 6600 Metern abgestürzt ist, schockiert auch Nichtbergsteiger. Ueli Steck war immer auf der Suche nach neuen unvorstellbaren Rekorden. Unter anderem «rannte» er die Eigernordwand in knapp zweieinhalb Stunden hoch, bestieg alle 82 Viertausender in den Alpen in nur 61 Tagen. Ein Verrückter?

Nun wollte er sich bekanntlich im Himalaja auf eine neue Wahnsinnstour vorbereiten, während der er in 48 Stunden sowohl den Mount Everest, den höchsten Berg der Welt mit 8848 Metern Höhe, als auch den Lhotse, einen weiteren Achttausender, ohne Sauerstoff besteigen wollte. Das Schicksal liess dies nicht mehr zu.

zentralplus: Herr Neyerlin, welche Gedanken waren Ihre ersten, als Sie vom Tod Ueli Stecks erfahren haben?

Roland Neyerlin: Ich habe zuerst an seine Frau und andere Angehörige gedacht. Das passiert mir oft bei Todesnachrichten von Menschen, die mir nicht gänzlich unbekannt sind. Und der Mensch Ueli Steck hat mich immer wieder beschäftigt. Überrascht war ich nicht. Es hätte mich eher überrascht, wenn er hochbetagt zuhause im Bett gestorben wäre.

zentralplus: Der Bergsteiger war einer der Besten seinesgleichen und ein Extremsportler. Warum suchen und brauchen Menschen heutzutage derartige Herausforderungen?

«In Erlebnisgesellschaften sind die Eventjunkies dauernd auf der Suche nach dem nächsten Kick.»

Neyerlin: Extreme Herausforderungen gehören zum Menschsein. Das Leben fordert uns heraus – oft bis zur Überforderung. Die Menschen sind seit ihren Anfängen mit Herausforderungen konfrontiert. Wir können sie suchen, oder sie finden uns! Unsere Existenz ist eine einzige Herausforderung. Neu ist, je mehr wir vom Überlebenskampf entlastet sind, desto mehr suchen und kreieren wir Herausforderungen. In Erlebnisgesellschaften sind die Eventjunkies dauernd auf der Suche nach dem nächsten Kick.

zentralplus: Machen extreme Erfahrungen, so wie sie Ueli Steck erlebt hat, in gewisser Weise süchtig, und gibt es deshalb letztlich kein Entrinnen auf dieser Suche nach immer neuen Extremen und neuen Kicks?

«Er hat alles gut überlegt, gut vorbereitet. Das ändert aber nichts daran, dass er eine höhere oder zumindest hohe Dosis brauchte.»

Neyerlin: Zweifellos haben wir es hier mit einer Suchtstruktur zu tun. Der Zwang bestimmt, der Entzug ist grausam und nicht auszuhalten. Das heisst nicht, dass Süchtige keine plausiblen Erklärungen für ihr Tun haben. Ueli Steck war ein sehr reflektierter Mensch, kein Desperado. Er hat alles gut überlegt, gut vorbereitet. Das ändert aber nichts daran, dass er eine höhere oder zumindest hohe Dosis brauchte. Nicht jede Sucht ist ein Spiel um Leben und Tod. Extremsportarten aber bewegen sich an der ultimativ letzten Grenze.

zentralplus: Sind solche Extrem-Bergsteiger, angefangen von Hillary über Messner bis Steck, die letzten Helden unserer Gegenwart? Oder ist das nur ein kitschiger Mythos?

Neyerlin: Für viele Menschen sind sie Helden, für andere Spinner oder einfach ein Rätsel. Wir machen diese Ausnahme-Menschen zu Mythen. Helden haben nur diejenigen, die welche brauchen! Ich verstehe das Faszinosum Ueli Steck, obwohl mir eine solche Lebensweise total fremd ist. Die völlige Hingabe an eine Sache schaffe ich nie ganz.

Der Luzerner Philosoph Roland Neyerlin.

Der Luzerner Philosoph Roland Neyerlin.

(Bild: rob)

zentralplus: Was glauben Sie, ist das Faszinierendste für einen Bergsteiger, der nach Strapazen und körperlichen Entbehrungen den Gipfel erklommen hat?

Neyerlin: Darüber können wir nur spekulieren. Solche Extremerfahrungen sind letztlich nicht kommunizierbar. Ich habe Ueli Steck oft zugehört, wenn er darüber geredet hat. Es war immer das gleiche Problem, wir finden keine adäquaten Worte mehr. Die Mystiker kennen das. Ich bin mir gewiss, dass wir in diesem Zusammenhang getrost von spirituellen Erfahrungen reden können.

Egal, wie es der Einzelne erlebt, es müssen unglaublich intensive Erregungs- und Bewusstseinszustände sein. Die christlichen Mystiker reden in diesem Zusammenhang von «mysterium tremendum et fascinosum». Die Schau des Göttlichen ist beides zugleich: anziehend und abschreckend, fesselnd und bedrohlich.

zentralplus: Könnte man aus philosophischer Sicht sagen, für einen wie Steck, der etwa von der unglaublichen Stille nach der Besteigung des Makalu schwärmte, verschmelzen irgendwann Himmel und Erde?

«Die intensivsten Erfahrungen und intimsten Gestimmtheiten gehören nur uns allein. Der andere Mensch bleibt immer ein Anderer.»

Neyerlin: Möglich auch, dass sich beides auflöst. Wir wissen es nicht! Die intensivsten Erfahrungen und intimsten Gestimmtheiten gehören nur uns allein. Der andere Mensch bleibt immer ein Anderer.

zentralplus: Es gibt Menschen, die sagen: Steck hat es übertrieben, war letzten Endes unverantwortlich und musste irgendwann einmal abstürzen. Sein Tod war quasi vorhersagbar. Es gibt andere Menschen, die sagen: Wenigstens hat er all das erlebt, was er erleben wollte, und hat für sich erfahren, was Glück bedeutet. Welcher Position stehen Sie näher?

Neyerlin: Eher der Letzteren der beiden. Ueli Steck hat das Leben nicht verschoben, er hat es gelebt mit allen Konsequenzen. Das glückliche, gute Leben hängt nicht an verlorenen oder zukünftigen Paradiesen. Die Bewährungsprobe ist die Gegenwart. Und er hat mit dem Bewusstsein gelebt, dass Leben risikobehaftet ist. Wir leben zusehends prophylaktisch, vermeiden möglichst alles, was gefährlich sein könnte. Wir unternehmen alles, um möglichst alt zu werden. Vielleicht bringen wir uns gerade damit um die Glückserfahrungen.

«Die Überlebenden aber haben es schwerer als die Toten.»

zentralplus: Zwischen Ruhm und Tragik von Extrembergsteigern befinden sich, wie auch im Fall von Steck, trauernde Familienangehörige. Welcher Trost bleibt ihnen am Ende?

Neyerlin: Ich empfinde es immer als Anmassung, wenn wir Trauernden respektive Überlebenden sagen, was das Tröstliche zu sein hat. Was Menschen tröstet, folgt keiner Rezeptur. Zuerst ist nie der Trost, sondern die Trauer, der Schmerz, die Verzweiflung, die Fragerei, die Anteilnahme oder das Beistehen. Die Überlebenden aber haben es schwerer als die Toten.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von kurt_heller bluewin.ch
    kurt_heller bluewin.ch, 02.05.2017, 20:10 Uhr

    Leider hat er auch noch eine Frau. Egoisten sterben einsam, und was die Überlebenden betrifft, interessiert es sie nicht.

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