Tiernotfälle: Durchgehende Versorgung in Zug gefährdet
Seit kurzem können tierische Notfälle nicht mehr ausschliesslich im Kanton Zug behandelt werden. In die Tierkliniken der angrenzenden Kantone reisen muss man insbesondere nachts und am Wochenende.
Der Hund hat das Bein einer Barbie-Puppe verschluckt und ist nun auffällig lethargisch. Das Büsi hat sich überschätzt, ist vom schmalen Balkongeländer im vierten Stock gefallen und humpelt zünftig. Der Leguan im grossen Terrarium wirkt plötzlich wie gelähmt und schleppt seine Hinterbeine nach. Dies alles sind Situationen, die als tiermedizinische Notfälle gelten. Sie müssen so schnell wie möglich behandelt werden. Bloss: Nicht selten passiert solch Unvorhergesehenes spätabends oder am Wochenende. Wer nun jedoch mit dem Auto in Richtung Hünenberg losdüst, ist schlecht beraten.
Auf der Startseite der dortigen Ennetseeklinik für Kleintiere liest man derzeit folgende Information: «Aufgrund eines derzeitigen Fachkräftemangels können wir keinen 24h-Notfalldienst mehr anbieten. Weitere Informationen werden in den nächsten Tagen an dieser Stelle mitgeteilt.»
Weiterlesen, sonst verpasst du:
warum es einen Fachkräftemangel in der Veterinärbranche gibt
wo man kranke Tiere am Wochenende und in der Nacht behandeln lassen kann
warum das Problem nicht am Desinteresse der Studierenden liegt
Drei ausserkantonale Spitäler teilen sich den Notfalldienst
Bei der Ennetseeklinik äussert man sich wie folgt: «Früher hat die Ennetseeklinik alle Notfälle während 24 Stunden an 365 Tagen aus dem Kanton abgedeckt. Das ist mit dem aktuellen Personal und den arbeitsrechtlichen Vorgaben nicht mehr möglich.» Andrea Linnemöller, die Co-Klinikmanagerin der Ennetseeklinik sagt: «Entsprechend müssen sich alle tiermedizinischen Praxen am Notfalldienst beteiligen. Doch auch für die ist das personell schwierig.» Aus diesem Grund sei eine Kooperation mit drei ausserkantonalen Kliniken entstanden, welche bereit seien, den Notfalldienst zu übernehmen.
Es handelt sich dabei um die Tierklinik Marigin in Feusisberg, Bessys Kleintierklinik in Regensdorf und die Tierklinik Aarau West in Oberentfelden.
Linnemöller betont: «Nach wie vor hat der Notfall der Ennetseeklinik montags bis freitags zwischen 6 Uhr morgens und 23 Uhr abends offen. Das ist ein vergleichsweise guter Service.» Auch am Samstag steht die Klinik zwischen 8 Uhr morgens bis mittags um 12 Uhr für Notfälle bereit. «Ziel ist es, dass die Notfallabdeckung wieder ausgeweitet werden kann. Die Ennetseeklinik bleibt auch in Zukunft der ideale Partner für Grundversorgung von Kleintieren mit einem interdisziplinären Spezialistenteam und ergänzende Notfallversorgung im Tagebetrieb.»
Die Behandlung von Tieren muss sich für Praxen finanziell lohnen
Das Besondere an tiermedizinischen Praxen: Anders als in der Humanmedizin werden diese von der öffentlichen Hand nicht unterstützt. «Eine Tierklinik muss demnach rentieren.» Und der Erhalt eines Rund-um-die-Uhr-Notfalldienstes benötige grosse Ressourcen. Die Co-Managerin gibt zu bedenken: «In der Nacht respektive frühmorgens kommen Notfälle jedoch nur vereinzelt vor.»
Nicht nur in Hünenberg, sondern auch in der Tierklinik Feusisberg kennt man das Problem mit dem Fachkräftemangel. Marianne Häuptli, CEO von Marigin, äussert sich wie folgt: «Tatsächlich haben wir im zweiten Quartal des letzten Jahres gemerkt, dass es auch bei uns eng wird mit den Fachkräften.» Sofort habe das Unternehmen reagiert: «Wir konnten der Situation entgegensteuern, indem wir einige Leute eingestellt haben. Das klappte, da wir in unserer Klinik viele Menschen ausbilden; dies in unterschiedlichen Fachrichtungen. Diese bleiben auch oft nach ihrer Ausbildung bei uns.»
Entsprechend habe das Zentrum für Tiermedizin Marigin den Personalengpass rechtzeitig abwenden können. Davon profitiert nun auch der Kanton Zug. «Mittlerweile sind wir eine der drei offiziellen Notfallvertretungen der Tierärztinnen im Kanton Zug», sagt Häuptli. «Dass die Ennetseeklinik den Notfalldienst nicht mehr vollumfänglich anbieten kann, spüren wir hier. Entsprechend haben wir explizit begonnen, das Personal an den Wochenenden aufzustocken.»
Numerus clausus bringt Tierarztpraxen ins Schwitzen
Gemäss der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) stecken hinter dem Fachkräftemangel mehrere Gründe. «Einer davon ist sicher, dass die Zahl der Studienplätze begrenzt ist.» Nicht nur in der Humanmedizin, sondern auch bei den Veterinärmedizinern kennt man die Zulassungsbeschränkung Numerus clausus. Jährlich schliessen an den Universitäten Bern und Zürich insgesamt etwa 115 Personen das Studium der Veterinärmedizin ab. Weiter heisst es: «Am Interesse liegt der Fachkräftemangel nicht. Die Statistik zeigt, dass die Nachfrage nach Studienplätzen in der Veterinärmedizin die verfügbaren Plätze bei weitem übersteigt.» Im Februar 2024 meldeten sich an der Universität Bern 291 Leute für ein Studium an. Die Kapazität lag jedoch bei 82.
Dazu komme, dass der Bedarf an Tiermedizinerinnen nicht gänzlich durch Fachkräfte aus dem Ausland gedeckt werden könne. «Dies unter anderem aufgrund der Sprachbarriere, aber auch wegen anderer Ausbildungsstandards», heisst es bei der GST weiter.
Mehr Viecher, mehr Arbeit
Ein bedeutender Faktor in der vorliegenden Situation ist ausserdem die Zunahme von Haustieren in der Schweiz. Gemäss der Website Identitas, welche die Entwicklung der Haustiere in der Schweiz festhält, hat allein die Zahl der Hunde in den letzten Jahren massiv zugenommen. Lebten 2017 in der Schweiz noch knapp 490’000 Hunde, waren es Ende 2024 bereits 552’500 Tiere. Im Kanton Zug liegt die Zahl derzeit bei fast 6200. Ende 2017 waren es knapp 4600 Hunde. Weniger repräsentativ ist die Statistik über die Entwicklung des Katzenbestands in der Schweiz. Dies, da längst nicht alle Katzen gechipt und demnach registriert sind. Bei Hunden besteht hingegen eine Registrierungspflicht.
Das Problem der Abdeckung der Tierarzt-Nachfrage bestehe jedoch sowohl bei Klein- als auch bei Nutztieren. «Bei Nutztieren besteht das Problem insbesondere in Randregionen. Wenn dort ein Tierarzt aufhört, ist es oft schwierig, die Stelle neu zu besetzen», heisst es bei der GST, die sich schon seit längerem mit der Problematik befasst.
Tierärzte-Gesellschaft stellt Forderungen
In einer Medienmitteilung zum Fachkräftemangel äusserte sich die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte im November vor einem Jahr wie folgt: «Der Verband ist zurzeit daran, unter Einbezug von Partnern wie der Vetsuisse-Fakultät, den kantonalen Hochschulämtern Bern und Zürich und den betroffenen Bundesämtern Lösungen abzuklären.»
Die Aufgabe sei komplex und müsse auf verschiedenen Ebenen angegangen werden. «Die GST fordert in einem Massnahmenkatalog zusätzliche Studienplätze in der Veterinärmedizin, um dem gestiegenen Bedürfnis nach geregelten Arbeitszeiten und Teilzeitstellen in der jungen Tierärzteschaft zu begegnen», heisst es weiter. «Zudem schlage sie vor, die Zulassungsbedingungen zum Studium zu überprüfen und im agrarpolitischen Netzwerk Anreizsysteme für die Nutztiermedizin in Randregionen zu schaffen.»
Journalistin und langjährige Autorin bei zentralplus. Schreibt über politische Querelen, aufregende Bauprojekte und gesellschaftlich Bewegendes. Am liebsten jedoch schreibt sie über Menschen. Und natürlich Hunde.