Tierasyl Hübeli: Hier haben vergessene Tiere eine zweite Chance
Tierasyl-Gründerin Rita Tubbs und Tierarzt Arash Shahabpour mit zwei von insgesamt 37 Katzen. (Bild: wia)
Seit über 40 Jahren führt die Luzernerin Rita Tubbs ein Tierasyl. Nun plagen die 85-Jährige jedoch nicht nur Geld-, sondern auch Personalsorgen. Ein Besuch bei einer Pionierin am Fusse des Napfs.
Allein der Weg zum Tierasyl Hübeli in Hergiswil bei Willisau ist ein Abenteuer. Je ländlicher die Gegend nahe dem Napf, desto tierischer wird sie. Hofhunde laufen hier frei auf der Strasse. Auf dem Feldweg, der zum abgelegenen Gnadenhof führt, bewegen sich Schweine, Gänse, Enten frei umher.
Will man weiter bis zum Bauernhaus, dem Herzstück des Hofs, müssen Besucher durch zwei Pferde-, Esel- und Pony-Gehege sowie vorbei an Hühnern, die gemeinsam mit mehreren Hähnen friedlich zusammenleben. Daneben gibt es hier auch Ziegen, Schafe und Hasen. Dabei wird man begleitet von einer Katze, die geradezu um Streicheleinheiten bettelt.
Im Tierasyl Hübeli leben insgesamt 37 Katzen. Die älteste von ihnen, eine Glückskatze, hat bereits 21 Lenze auf dem Buckel. Dass Tiere hier die Hauptrolle spielen, wird schnell ersichtlich, sobald man den gemütlichen Essraum des Hauses betritt.
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Schon als Kind hatte sie den Wunsch nach einem Leben mit Tieren
«Eigentlich dürfen die Katzen nicht auf den Tisch. Das ist der Bereich, den wir gerne nur für uns hätten», sagt Rita Tubbs, während sie einen Kater vom Esstisch hievt. Wenige Sekunden später sucht eine weitere Katze auf dem Tisch ihr Glück und wird liebevoll herunterspediert. Die Tiere akzeptieren ihr vorläufiges Schicksal, lassen sich sittsam auf Stühlen, Bänken und dem Schoss der Journalistin nieder. Und die 85-Jährige beginnt zu erzählen.
«Ich bin eine Pionierin. Das Tierasyl, das ich 1985 gründete, war das erste in der Schweiz.» Die gebürtige Stadtluzernerin nippt an ihrem türkischen Kaffee und sagt: «Schon immer fühlte ich mich der Natur viel stärker verbunden als der Stadt. Verbrachten wir Zeit im Grünen, war ich glücklich und erfreute mich an jedem Tierchen.» Von klein auf habe sie den Wunsch gehegt, dereinst «in Ruhe mit ein paar Tieren zu leben».
Als Esel zum Spass gehalten worden
Nachdem sie drei Jahre in den USA gelebt hatte und dort auch viel Zeit mit Ureinwohnern verbracht hatte, reiste Tubbs mit ihrem späteren Ehemann zurück und gründete eine Familie. «Wir lebten in einem Einfamilienhaus mit einem Hund und zwei Katzen. Immer wieder gab es deshalb Reklamationen aus der Nachbarschaft.» So beschloss das Ehepaar, sich einen eigenen Bauernhof in Mehlsecken bei Reiden zu kaufen. Lange blieb dieser nicht leer. Zunächst zogen ein Pferd und ein Esel in den Stall ein. Nachdem die Tierfreundin einem Eselverein beigetreten war, wurden es rasch mehr.
In den 80ern sei es «Mode» gewesen, einen Esel zu halten, erzählt Tubbs. Dies, obwohl viele Menschen nichts davon verstanden hätten. Die Tiere seien teilweise irgendwo in einem Hinterhof gestanden und wurden allein gehalten. «Man darf nicht vergessen: Esel werden bis zu 50 Jahre alt und haben spezifische Bedürfnisse», sagt Tubbs. «Wir übernahmen also mehr und mehr dieser schlecht gehaltenen Tiere. Am Schluss lebten bei uns mehr als 30 Esel.» Dazu kamen auch einige andere Tiere, die Tubbs bei sich aufnahm.
Der ganze Hof ging in Flammen auf
Zehn Jahre später, im Winter 1995, folgte ein grosser Schicksalsschlag: Der Gnadenhof brannte komplett ab. Ein Hund und eine Katze starben beim Unglück, alle anderen Lebewesen, sowohl Menschen als auch Tiere, überlebten. Jedoch ohne Dach über dem Kopf. «Da wusste ich wirklich nicht, wie weiter», erinnert sie sich. Sie mieteten einen Wohnwagen und lebten ein Jahr lang neben dem abgebrannten Hof. Den Tieren schufen sie mit Verschlägen und Blachen ein temporäres Zuhause, bis sie wussten, wie es weitergeht.
«Ich sagte mir, dass es weitergehen muss, dass wir aufstehen müssen», sagt die Tierasyl-Gründerin. Einen starken Willen habe sie schon immer gehabt. «Die Monate, die ich davor mit der Urbevölkerung in den USA verbracht habe, haben mir diesbezüglich den letzten Schliff verliehen.»
1997 zog der ganze Karneval der Tiere auf den heutigen Hof, der zwischen sanften Hügeln liegt und über viel Umschwung verfügt. Ausser dem holprigen Zufahrtsweg gibt es in der Nähe keine Strasse. Die Tiere, von denen die meisten frei auf dem Hof herumspazieren, sind hier sicher. Dies in mehrerlei Hinsicht. Tubbs’ Umgang mit den Tieren ist liebevoll. Vom Pony bis zur Katze wirken hier alle zufrieden. Letztere besetzen an diesem kalten Januartag praktisch alle Sitzflächen im Wohnzimmer. Die Frage, ob neben den Tieren auch der Mensch Platz finde, beantwortet sie mit einem Schulterzucken. «Wir müssen halt zusammenrücken.»
Rita Tubbs gibt alles für ihre weit über 100 Tiere. Diese finden auf unterschiedliche Art den Weg hierher. Sie werden abgegeben, eigenhändig von ihr gerettet oder purzeln ihr vor die Füsse. Wie etwa das junge Rind, das beim Nachbarsbauern ausbüxte. «Wir kauften es ihm ab, und dazu gleich noch ein zweites. Doch haben wir hier die Kapazität nicht, um zwei grosse Bullen unterzubringen.» Deshalb leben die Munis nun auf einem anderen Gnadenhof ein gutes Leben.
Die 85-Jährige möchte ein ruhigeres Leben führen
Seit 40 Jahren arbeitet Tubbs täglich auf dem Hof, schaut zum Rechten und schreibt Bettelbrief um Bettelbrief. «Zahlen sind nicht meine Sache, deshalb übernimmt jemand anders die Buchhaltung. Dafür schreibe ich gerne.» Jeden Brief verfasst sie von Hand. Wie viele es jährlich sind, vermag sie nicht zu sagen. Die Briefe sind für den Gnadenhof überlebenswichtig.
«Wir leben von Spenden und von Stiftungen, die uns unterstützen. Doch allein im letzten Jahr sind gleich vier davon abgesprungen. Deshalb sind unsere Geldsorgen heute grösser als noch vor ein paar Jahren.» Dies insbesondere, da eine grosse Investition ansteht. Das Holz der Umzäunung ist nach 27 Jahren morsch und muss ersetzt werden.
Auch fehlt es dem Tierasyl Hübeli an Personal. «Wir sind auf freiwillige Helfer und Helferinnen angewiesen, da wir keinen Lohn, sondern nur Kost und Logis anbieten können.» Derzeit zählt der Gnadenhof eine Handvoll Helfer respektive Praktikantinnen. Fix im Team mit dabei ist seit zwei Jahren auch der Tierarzt Arash Shahabpour, ein gebürtiger Iraner, der viele Jahre in der Ukraine lebte, bevor er vor zwei Jahren vor dem Krieg fliehen musste. «Ich wünsche mir, dass Arash den Betrieb bald übernimmt. Dann könnte ich kürzertreten.»
Journalistin und langjährige Autorin bei zentralplus. Schreibt über politische Querelen, aufregende Bauprojekte und gesellschaftlich Bewegendes. Am liebsten jedoch schreibt sie über Menschen. Und natürlich Hunde.