Zwei Sterbebegleiterinnen im Porträt

Theres Bossert: «Was bleibt, sind Erinnerungen»

Theres Bossert (links) und Monika Stöckli begleiten schwerkranke Menschen. (Bild: Marjana Ensmenger)

Sie begleiten sterbende Menschen auf ihrer letzten Reise: Theres Bossert (60) und Monika Stöckli (67) aus Luzern. Die Frauen arbeiten als freiwillige Mitarbeiterinnen für die Begleitung Schwerkranker – Luzern und Horw. Eine herausfordernde Arbeit, die aber auch «unbeschreiblich bereichernd» ist.

Wenn Theres Bossert oder Monika Stöckli einen Telefonanruf von der Geschäftsstelle der Sterbebegleitung Horw und Luzern erhalten, sind sie aufgeregt. Wo werden sie am nächsten Abend gebraucht? Wer wird die Person sein, die sie auf ihrer letzten Reise begleiten?

Seit zwölf Jahren begleitet Theres Bossert Männer und Frauen auf ihrem letzten Weg; Monika Stöckli ist seit einem Jahr im Einsatz. Sie werden aber nicht nur als Sterbebegleitung angefragt. «Ab und zu werden wir auch angerufen, um eine Person, die kürzlich eine Operation hatte, in ihren ersten Tagen zu Hause zu begleiten», erklärt Stöckli. Dann übernehmen sie eine Überbrückungsaufgabe, damit sich die Betroffenen zu Hause wieder richtig einleben können.

Welche Aufgabe zwischen 22 Uhr abends bis 6 Uhr morgens auf sie wartet, erfahren sie aus einem kurzen schriftlichen Rapport oder am Telefon. Weitere Informationen bekommen sie vor Ort in den Heimen von Pflegefachpersonen oder von Angehörigen zuhause bei der Person, die bald sterben wird.

Jedes Mal, wenn Theres Bossert die Türe zu einer Wohnung öffnet, fühle sich das für sie an, als öffne sich ein Buch für sie. «Wenn ich mich dann umschaue, merke ich, wie sehr dieser Ort gelebt hat», erzählt Bossert.

«Für aussenstehende Personen klingt das vielleicht komisch, aber genau nach solch schwierigen Nächten fühle ich mich wieder viel lebendiger.»

Theres Bossert, Sterbebegleiterin

«Einmal war ich in einer Wohnung, in welcher die Angehörigen über jeden Stuhl einen besonderen Schal der Mutter gehängt haben, weil sie wussten, welche Erinnerungen die Mutter mit diesen Halstüchern verband», erzählt Monika Stöckli. Ein anderes Mal begleitete sie einen neunzigjährigen Herr im Altersheim in seinen letzten Stunden. «Er hat mir die ganze Nacht Anekdoten aus seinem Leben erzählt und mich derart zum Lachen gebracht, dass wir vom Pflegepersonal verwarnt wurden.»

Nur zwei Stunden, nachdem sie das Vaterunser miteinander gebetet und sie nach Hause gefahren sei, habe sie einen Anruf erhalten, dass der Mann nun friedlich eingeschlafen sei. Es sind Erinnerungen, die für immer bleiben.

Der Austausch in Gruppen

Danach gefragt, ob die beiden Frauen auch schlechte Erfahrungen machen, antworten sie unisono: «Es gibt zwar herausfordernde Nächte, aber keine schlimmen.» Von Abgrenzung sprechen die Sterbebegleiterinnen in diesem Zusammenhang nicht. Weil der Tod eines Menschen genauso zum Leben gehöre wie dessen Geburt.

«Für aussenstehende Personen klingt das vielleicht komisch, aber nach solch schwierigen Nächten fühle ich mich wieder viel lebendiger», sagt Stöckli. Weil sie dann fühle, wie wichtig ihre Arbeit für einen Menschen war. Einfach, weil sie da war. Sollten die Sterbebegleiterinnen eine Erfahrung nicht alleine bewältigen können, können sie an den dreimonatlich stattfindenden Austauschgesprächen von ihren Erfahrungen zu erzählen.

Oft helfe es bereits, wenn sie einen Rapport schreiben, wie der Abend für sie verlaufen ist. Um den Abend Revue passieren zu lassen.

Der Tod ist unsichtbar in unserer Gesellschaft

Wie schnell es zu Ende gehen kann, hat Theres Bossert vor rund drei Jahren persönlich erfahren. Damals war ihr Mann eines Nachts völlig unerwartet friedlich eingeschlafen. Diese Erfahrung hat ihre Sicht auf das Leben und den Tod nochmals verändert.

Bossert findet es bedenklich, dass für viele Menschen der Tod heute gedanklich nicht mehr zum Leben gehört. Er wird von vielen bewusst ignoriert oder verdrängt. «Das ist falsch: Der Tod ist und bleibt Teil unseres Lebens», findet Bossert. Den Grund dafür, den Tod zu ignorieren, sieht Bossert aber nicht nur bei den Menschen selbst.

Dass Tod zu einem gesellschaftlich tabuisierten Thema hochstilisiert wurde, zeige sich daran, dass die Sichtbarkeit des Todes aus dem Leben der Menschen verbannt wurde. «Noch vor dreissig Jahren sah man regelmässig Bestattungswagen durch die Stadt fahren.» Diese sind nun vollständig von der Bildfläche verschwunden. Das beeinflusse auch unser Verhältnis zum Tod.

«Die Art und Weise zu sterben, soll – sofern möglich – immer von der sterbenden Person selber getroffen werden.»

Theres Bossert und Monika Stöckli, Sterbebegleiterinnnen

Neben der Sichtbarkeit haben Theres Bossert und Monika Stöckli auch festgestellt, dass sich das Thema Sterben grundsätzlich verändert hat. Das betreffe vor allem Menschen, die zwischen 40 und 70 Jahre alt sind. Sie haben Mühe, Entscheidungen zu akzeptieren, die von den Sterbenden selbst getroffen werden. «Die Art und Weise zu sterben, soll – sofern möglich – immer von der sterbenden Person selber getroffen werden», finden sie.

Manchen fällt das Loslassen schwer

Monika Stöckli erzählt: «Ich habe auch schon erlebt, dass Menschen über mehrere Tage hinweg weiterleben, obwohl sie seit Tagen weder etwas gegessen noch getrunken und mit dem Leben eigentlich abgeschlossen haben», erzählt sie. In diesem Augenblick frage sie sich, ob solche Menschen noch etwas erledigen müssen.

In solchen Momenten legt Theres Bossert oft ihre Hand neben das Bett des Sterbenden und bietet an, ihre Hand zu ergreifen, wenn sie wollen. Denn letztlich geht jeder Mensch anders mit dem Tod um. Jeder Mensch benötigt anderes.

Auch wenn Theres Bossert und Monika Stöckli nur eine kleine Rolle in dem Buch des Lebens der Menschen spielen, die sie begleiten. Sie sind dankbar dafür, in einem Kapitel, auf einer einzigen Seite, in einem Satz Platz erhalten zu haben.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Theres Bossert und Monika Stöckli
  • Website über die Begleitung Schwerkranker
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