«Auffangbecken von Suchtbetroffenen»

Sucht und Sorge: So kämpft das Babel-Quartier gegen Drogen

Im Babel-Quartier prallen Welten aufeinander. (Bild: ida)

Nirgends in Luzern sollen Drogen so präsent sein wie im Babel-Quartier. Anwohner kritisieren, dass Suchtkranke aus dem Zentrum vertrieben werden – und in der Baselstrasse landen. So gehen Bewohnerinnen, Polizei und Treffpunkte damit um.

Blaue Real-Säcke und leere Bier- und Weinkartons stapeln sich. Dreckige Matratzen und ein Lattenrost stehen an eine Wand gelehnt, und ein Holzstuhl, auf dem ein offener, bordeauxroter Rucksack liegt, steht davor. Der Motorenlärm der parallel verlaufenden Baselstrasse schlägt einem entgegen. Hier, beim Lädeliplatz in Luzern, am Ende der Lädelistrasse, siehts an diesem Donnerstagmittag wild aus.

Der Lädeliplatz. (Bild: ida)

Nach der Neugestaltung, die 2011 abgeschlossen wurde, erhoffte sich die Stadt, dass sich Leute hier begegnen und Quartierfeste veranstalten. Doch gemäss Anwohnerinnen kommen hier viel eher Leute zusammen, um Drogen zu konsumieren.

Das besorgt die Quartiervereinigung Babel. Insbesondere beim Lädeliplatz, in der Lädelistrasse sowie im Dammgärtli seien Hotspots. «Es wird vermehrt sehr offen konsumiert», schreibt Julia Rettenmund, die Geschäftsstellenleiterin des Vereins.

Suchtkranke fallen mehr auf

Für Familien mit Kindern ist die Situation nicht einfach. Rettenmund erzählt, dass diese sich öfters bei ihnen melden würden, weil sie den Drogenkonsum miterleben und Süchtigen begegnen würden. Sogar in Hauseingängen werde konsumiert. «Auch höre ich von Familien, für deren Kinder solche Begegnungen bereits ‹normal› sind, dies führt schlimmstenfalls zu einer Normalisierung von Drogenkonsum.» Suchtgefährdete Jugendliche kenne sie nicht direkt. «Wir hören aber von jungen Erwachsenen, dass das Aufwachsen schwierig ist, wenn Drogen sehr leicht zu bekommen sind.»

Auch Bewohnerinnen und Ladenbesitzer erzählen ihr, dass ihnen vermehrt Menschen mit Suchthintergrund auffallen würden. Das bestätigt Karin Hilty, Gastgeberin des «Absacker-Stübli» seit 2022 (zentralplus berichtete) und Anwohnerin. Drogenkonsumenten verweigert sie den Eintritt. «Solange sie draussen sind, geht es schon. An den Wochenenden ist ein Security-Mitarbeiter in der Baselstrasse unterwegs – sollte es brenzlig werden, können wir ihn rufen.»

Das sei glücklicherweise erst zweimal vorgekommen. Doch Hilty erzählt auch von Gästen, die auf dem Nachhauseweg bestohlen und bedroht worden seien. Sie selbst fühle sich auf der Strasse teilweise unwohl. «Ich habe oft ein mulmiges Gefühl.»

Karin Hilty vor ihrem «Absacker-Stübli» in der Baselstrasse. (Bild: cbu)

Auch der Sentigarten beim Sentitreff, der sich als «offener Treff für alle Menschen verschiedener Herkunft und Generationen» versteht, wird relativ häufig von Drogenkonsumierenden aufgesucht. «Grundsätzlich sind wir verständnisvoll», sagt Raphael Meyer, der Koordinator des Treffs. «Auch schon haben wir Kaffee in den Garten gereicht. Bei uns sind alle willkommen – wir wären die Letzten, welche bestimmte Teile der Bevölkerung ausschliessen würden.»

Wenn aber Abfall liegen bleibe oder Menschen teilweise ein wenig laut oder ausfällig würden, sei das unschön. Zudem würden sie die wachsenden Sorgen von Eltern spüren. Dass das Thema den Sentitreff beschäftigt, zeigt auch ein Blick in den Veranstaltungskalender: Am 20. November, zum internationalen Tag der Kinderrechte, lädt der Sentitreff zu einer Podiumsdiskussion ein, um über Drogenprobleme im Quartier zu sprechen.

Abhilfe schafft der Kindernachmittag des Sentitreffs. Zweimal wöchentlich – im Winter einmal wöchentlich – lädt der Treffpunkt Kinder und Jugendliche zum gemeinsamen Basteln, Theater- und Fussballspielen, Kochen und Schlitteln ein. Regelmässig findet der Kindernachmittag auch im öffentlichen Raum statt, insbesondere auf dem Spielplatz Dammgärtli. «Das gibt den Kindern die Sicherheit, sich im öffentlichen Raum im Quartier zu bewegen.» Zudem würden sie Kinder altersgerecht über die Folgen von Drogen aufklären.

Anderswo wäre der Aufschrei grösser

Meyer und Rettenmund sind überzeugt, dass die Stadt in anderen Quartieren schon längst aktiver wäre.

«Der Schutz in allen Quartieren sollte gleich hoch gewichtet werden – unser Quartier ist nicht das Auffangbecken von Suchtbetroffenen der ganzen Stadt.»

Julia Rettenmund, Verein Babel

Menschen mit Suchtproblemen würden aus dem Stadtzentrum wie dem Bahnhof und der Altstadt vertrieben – und dann im Babel-Quartier landen. Die Polizei sei zwar präsent, «aber die Wurzel des Problems wird so leider nicht behoben». Rettenmund kritisiert: «Der Schutz in allen Quartieren sollte gleich hoch gewichtet werden – unser Quartier ist nicht das Auffangbecken von Suchtbetroffenen der ganzen Stadt.»

Die Situation im Babel-Quartier hat jüngst auch Politikerinnen auf den Plan gerufen. Grüne-Grossstadträte fordern vom Luzerner Stadtrat, Kinder besser vor Drogen zu schützen, sie über die Folgen aufzuklären sowie suchtgefährdete Jugendliche aufzufangen. Dazu soll ein umfassendes Konzept her (zentralplus berichtete).

Verein fordert mehr Konsumräume

Der Verein Babel und auch der Sentitreff stehen hinter den Forderungen der Stadtluzerner Grünen. «Uns geht es darum, Formen des Zusammenlebens zu finden, sodass allen wohl ist», sagt Raphael Meyer. Ohne Drogenkonsumentinnen zu vertreiben.

Gerade das Babel-Quartier sei eines der kinderreichsten Quartiere, die ein «sicheres und drogenfreies Umfeld» verdient hätten, so Julia Rettenmund. «Mehr tun bedeutet auch nicht nur mehr Polizei und Repression, sondern aufsuchende Sozialarbeit, Belebung und Bespielung von sozialräumlichen Hotspots, sowie auch mehr Konsumräume – damit der Konsum nicht mehr auf der Strasse und somit im Quartier stattfindet», so Rettenmund.

Auch der Spielplatz Dammgärtli ist gemäss dem Verein Babel ein Drogen-Hotspot. (Bild: ida)

Drogen gehören zum Alltag

zentralplus sprach mit mehreren Luzernern, die im Babel-Quartier wohnen oder gewohnt haben. Alle sagen unisono: Der Konsum und der Handel sind sichtbar. Im Quartier, aber manchmal sogar in den Häusern.

«Viele konsumieren nicht mehr so im Versteckten.»

Yann, früherer Bewohner des Babel-Quartiers

Yann hat mehrere Jahre im Quartier gelebt, unter anderem in der Damm- und in der Bernstrasse. Abends habe er oft bei den Bänken an der Reuss Leute gesehen, die Crack rauchten. «Sobald man die gläsernen Pfeifen sieht, weiss man direkt, was da abgeht», sagt er. In seinem Wohnblock habe eine Nachbarin im Winter einmal Spritzen und Bargeld gefunden, weil jemand wohl die Tür nicht richtig verschlossen hat. «Viele konsumieren nicht mehr so im Versteckten», sagt Yann. Der Stadt spiele das wohl in die Karten, für sie sei es wohl angenehmer, wenn die Drogenabhängigen «da hinten» unterwegs seien.

Crack knistert beim Rauchen. (Bild: ida)

Samuel wohnt seit vier Jahren in der Baselstrasse, «direkt oberhalb eines Drogenumschlagplatzes». Im Alltag begegne er oft Menschen, denen er ansehe, dass sie «im Seich» seien. Die Gesichter seien eingefallen, die Hektik stehe den Menschen ins Gesicht geschrieben, sie seien kaum ansprechbar. Auch in seinem Haus habe vermutlich ein Dealer gelebt, da reges Kommen und Gehen geherrscht hätten. Kein Tag vergeht ohne Kastenwagen der Polizei. «Die Polizei markiert eine sehr hohe Präsenz, sie ist sowohl im Quartier als auch in unserem Haus.»

Die Luzerner Polizei kann nicht sagen, ob sie wegen Drogendelikten öfter ins Babel-Quartier ausrücken muss als in andere Quartiere. Mediensprecher Yanik Probst schreibt, dass sie an Brennpunkten stark präsent sei. Und die Baselstrasse gehört definitiv dazu. Auch die Stadt kann sich derzeit aufgrund des hängigen Vorstosses nicht zum Thema äussern.

Bewohner fühlen sich trotzdem wohl

Yann und Samuel fühlen sich trotz allem wohl. Es ist das «echte Leben» – nichts wird hier geschönt, es pulsiert. Sie betonen, dass die Drogenabhängigen nicht einfach weggeschickt werden sollten. Sie sollten ihren Platz haben. Samuel fände eine verstärkte Repression deswegen falsch. Allerdings findet er, dass die Stadt mehr für die Sicherheit von Kindern machen müsse – und für deren Schulweg etwa Lotsen zur Verfügung stellen könnte.

Dass Süchtige ihren Platz in der Stadt haben sollten, findet auch Charlie. Er wohnt seit 40 Jahren im Bügeleisenhaus, das zwischen Basel- und Bernstrasse eingeklemmt ist, direkt beim Kreisel Kreuzstutz (zentralplus berichtete). «Gegenüber früher hat sich die Situation deutlich verbessert», sagt er. Dennoch sieht auch er immer wieder, wie Leute Drogen konsumieren oder dealen. Und das direkt vor seiner Haustür.

Auf der Treppe wird die Crackpfeife hervorgekramt

So befinden sich bei der kleinen Treppe, welche Basel- und Bernstrasse miteinander verbindet, immer wieder Drogenkonsumenten. Just an diesem Tag hantiert eine Frau mit einer metallenen Pfeife, sie «based» wohl.

Vor Wochen sah Charlie auf ebendieser Treppe eine junge Frau, die sich eine Spritze in den Arm setzte. Charlie spricht von einem Dilemma. Irgendwie möchte er den Menschen helfen, sie aber auch einfach sein lassen. Angst hat er nie gehabt, «diese Menschen sind total für sich».

Hier bei dieser Treppe halten sich gemäss Anwohnern regelmässig Drogenkonsumentinnen auf. (Bild: ida)

Alexander wohnte ebenfalls im Bügeleisenhaus und kennt die Szenen bei der Treppe. Einmal habe wohl jemand versucht, in die Kellerabteile einzubrechen. Es hätte dann nach Urin im Keller gerochen, eine Schlafmatte sei ausgerollt dagelegen. Vermutlich habe jemand in den kalten Winternächten da gehaust. Die Polizei sei nicht so schockiert gewesen wie die Anwohner des Hauses. «Für die gehört das wohl zum Tagesgeschäft.»

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Julia Rettenmund, Verein Babel
  • Telefonat mit Samuel
  • Persönliches Treffen mit Charlie
  • Telefonat mit Yann
  • Telefonat mit Alexander
  • Telefonat mit Karin Hitly, «Absacker-Stübli»
  • Telefonat mit Raphael Meyer, Sentitreff
  • Website des Sentitreffs und Infos zur Podiumsdiskussion
  • Schriftlicher Austausch mit Yanik Probst, Luzerner Polizei
  • Schriftlicher Austausch mit Christian Wandeler, Sicherheitsmanager der Stadt Luzern
  • Augenschein vor Ort
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