Trotz eingestelltem Strafverfahren gegen Spiess-Hegglin

Studie zu Hasskommentaren im Netz wurde vom Nationalfonds gestoppt

Die Universität Zürich löschte die Daten von Netzcourage, ohne den Abschluss des Strafverfahrens abzuwarten. (Bild: Frank Brüderli)

Der Verein «Netzcourage» hat heikle Daten zu Forschungszwecken an die Universität Zürich weitergegeben. Obwohl er damit aus Sicht der Staatsanwaltschaft Zug nicht gegen den Datenschutz verstiess, wurden die Unterlagen gelöscht – auf Druck des Schweizerischen Nationalfonds.

Juristisch ist der Fall für die Zuger Staatsanwaltschaft klar: Jolanda Spiess-Hegglin hat sich keiner Widerhandlung gegen das Datenschutzgesetz schuldig gemacht. Sie machte im Juni 2019 zwar der Universität Zürich die Kontaktinformationen von Personen zugänglich, die in Zusammenhang mit Hasskommentaren im Internet in ein Strafverfahren verwickelt waren. Damit wurde aber keine Straftat begangen (zentralplus berichtete).

Die mediale Berichterstattung und die Strafanzeigen zeigten trotzdem Wirkung. Wie die Universität Zürich auf Anfrage bestätigt, wurde die Studie sistiert, als die Vorwürfe an die Öffentlichkeit gelangten. «Im Anschluss an den Artikel in 20 Minuten wurde die Arbeit an der Auswertung unterbrochen, bis der Sachverhalt geklärt wurde», schreibt Uni-Sprecher Kurt Bodenmüller auf Anfrage.

Nach dem Medienbericht wurden alle Daten gelöscht

Der Schweizerische Nationalfonds (SNF), der die Studie finanziert, forderte die Studienverantwortlichen umgehend auf, sämtliche Daten sofort zu löschen, die sie von Netzcourage erhalten hatten. In vorauseilendem Gehorsam hatten die Forschenden dies nach dem «20 Minuten» -Bericht bereits getan. «In der Tat wurden diese Daten von den Studienverantwortlichen bereits vollständig gelöscht, bevor das Schreiben des SNF eintraf», so Uni-Sprecher Bodenmüller.

Vier Interviews hatten die Studienverantwortlichen zu dem Zeitpunkt allerdings bereits geführt – die betroffenen Personen hatten hierzu schriftlich eingewilligt. «Sowohl der Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich wie auch der SNF waren einverstanden, dass diese Daten für das Forschungsprojekt verwendet werden dürfen.»

Was von der Studie übrigblieb, wird 2020 veröffentlicht

Seitdem laufen die Auswertungen dieser Interviews. «Diese sind weniger statistischer, sondern eher inhaltlicher Art. In der erwähnten Studie geht es darum, qualitative Interviews mit Personen durchzuführen, die wegen ihrer Online-Kommentare angezeigt wurden», erklärt Bodenmüller. Die Studie ist Teil eines grösseren Forschungsprojekts, das sich mit dem Kommentierverhalten im Internet beschäftigt. Die Ergebnisse dieses Projekts sollen im Laufe der Jahre 2020 und 2021 publiziert werden.

Angebliche Vertreterin der Anzeigesteller taucht auf

Nachdem zentralplus am Donnerstag über die Einstellung der Strafverfahren gegen Jolanda Spiess-Hegglin berichtete, meldete sich in einem Kommentar zum Artikel eine Frau, die sich als Vertreterin mehrerer Personen ausgab, die Netzcourage wegen Verstössen gegen das Datenschutzgesetz angezeigt hatten.* Ob das stimmt, ist fraglich.

Denn üblicherweise werden Einstellungsverfügungen den Anwälten der Anzeigesteller per Post geschickt. In den acht Fällen, über welche die Zuger Staatsanwaltschaft entschieden hat, ging jedoch in keinem einzigen der Fälle eine Kopie an die besagte Frau.

«Der SNF hat sich voreilig von den Anzeigeerstattern beeindrucken lassen und damit gegen die Unschuldsvermutung verstossen.»

Jolanda Spiess-Hegglin

Der Rechtsdienst des Nationalfonds hinterfragte die Legitimation der Rechtsvertreterin allerdings nicht und informierte die Frau, dass die Forscher bereits angewiesen worden seien, die von Netzcourage bezogenen Daten vollständig zu löschen.

«Gemäss unserer rechtlichen Beurteilung hätte Netzcourage die Daten ohne Einwilligung gar nicht liefern dürfen. Insofern ist eine Datenrechtsverletzung von Netzcourage zu verantworten», heisst es in dem Schreiben des SNF. Anders als die Zuger Staatsanwaltschaft – die für die juristische Beurteilung des Falls zuständig ist – erblickt der Schweizerische Nationalfonds im Verhalten von Jolanda Spiess-Hegglin also eine Straftat.

SNF entscheidet unabhängig vom Strafverfahren

Wie kann es sein, dass der Schweizerische Nationalfonds ein Forschungsprojekt stoppt, noch ehe die rechtliche Situation geklärt ist, beziehungsweise das entsprechende Strafverfahren abgeschlossen wurde? Wie kann es sein, dass der SNF gegenüber einer angeblichen Vertreterin der Anzeigesteller die Unschuldsvermutung schlicht ignoriert?

Auf Anfrage schreibt SNF dazu: «Das rechtmässige Vorgehen bei der Durchführung von Forschungsprojekten ist eine grundlegende Bedingung der Beitragsgewährung durch den SNF. Vor diesem Hintergrund hatte der SNF die Situation der Verwendung von Personendaten, die ohne Zustimmung der Betroffenen zu den Forschenden gelangt waren, zu beurteilen.»

«Wenn man nur genug Radau macht, lassen sich sogar etablierte Institutionen wie die Universität Zürich einschüchtern.»

Jolanda Spiess-Hegglin

«Dies geschah unter Berücksichtigung der für die Forschenden geltenden Vorschriften und unabhängig von einem Strafverfahren in einem anderen Kanton», heisst es in der SNF-Stellungnahme weiter. Der zuständige Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich habe das Vorgehen zu diesem Zeitpunkt bereits als nicht zulässig eingestuft. «Der SNF hat entsprechend ein rechtmässiges Vorgehen verlangt. Das heisst: keine Datenverwendung ohne Einwilligung.»

Vorwurf der Datenschutzverletzung ist widerlegt

Die Frage, ob die Datenweitergabe rechtmässig war oder nicht, wird vom Zürcher Datenschutzbeauftragten demnach anders beurteilt als von der Zuger Staatsanwaltschaft. Jolanda Spiess-Hegglin, Geschäftsführerin von Netzcourage, reagiert darauf konsterniert. «Es ist wahnsinnig, dass es so funktioniert: Wenn man nur genug Radau macht, lassen sich sogar etablierte Institutionen wie die Universität Zürich und der Schweizerische Nationalfonds einschüchtern und ziehen sich zurück.»

Die Äusserung, dass sich Netzcourage einer Datenschutzverletzung schuldig gemacht habe, sei mit der Einstellung der entsprechenden Verfahren nun widerlegt und daher rufschädigend. «Der SNF hat sich voreilig von den Anzeigeerstattern beeindrucken lassen und damit gegen die Unschuldsvermutung verstossen, die in unserem Land gilt», so Spiess-Hegglin.

Dass die Studie nun teilweise gestoppt und die Löschung der Daten angeordnet worden ist, sei ein fatales Zeichen: «Es wäre für die Prävention von Hasskommentaren im Netz wichtig gewesen, dass man die breite Masse von Kommentierenden hätte interviewen können – und nicht nur vier», so Spiess-Hegglin.

*Die Kommentatorin legt Wert auf die Feststellung, dass sie gegenüber der Universität Zürich die Interessen von Personen vertreten hat, die sich mit Jolanda Spiess-Hegglin aussergerichtlich geeinigt hatten – und nicht diejenigen der Anzeigesteller, wie dies in ihrem Kommentar zum Artikel impliziert wurde. Sie tat dies nicht als Fürsprecherin mit Anwaltspatent, sondern in der formlosen Funktion einer Interessenvertreterin.

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