Luzerner Soziologin über das permanente Online-Sein

Sophie Mützel: «Das Handy ist eine Aufmerksamkeits-Absaugmaschine»

Soziologin Sophie Mützel sagt: «Kinder finden es unglaublich störend, wie viel Zeit ihre Eltern an Smartphone und Computer verbringen.» (Bild: ida)

Mit dem Smartphone haben wir alles an einem Ort: Freunde, Termine, Fotos, Navi, Notizen. Zu jeder Zeit. Das hat zwar viele Vorteile – kann aber auch zum echten Beziehungskiller werden, sagt die Luzerner Soziologin Sophie Mützel.

88 Mal am Tag aktivieren wir das Handy. 35-mal, um auf die Uhrzeit zu gucken oder abzuchecken, ob man eine Nachricht erhalten hat. 53-mal zum Surfen und Chatten. Alle 18 Minuten gucken wir auf unser Handy, wie Forscher der Universität Bonn herausgefunden haben.

Das Smartphone weckt uns am Morgen, erinnert uns an den Arzttermin, führt uns als Navi durch unbekannte Gassen, ermöglicht den Kontakt zur Familie und unseren Freunden. Offline sind wir nur noch selten.

Aber was macht das Smartphone mit uns und unseren Beziehungen? Antworten darauf hat die Soziologin Sophie Mützel von der Universität Luzern.

zentralplus: Jugendliche schätzen ihre Online-Zeit auf zweieinhalb bis drei Stunden täglich, wie die Schweizer James-Studie zeigte. Schockiert Sie das?

Sophie Mützel: Eigentlich schockiert mich, dass es nur so wenig ist! Ich würde behaupten: Die Leute verbringen viel, viel mehr Zeit am Smartphone. Schliesslich wird alles, was wir sehen, jeder freie Moment mit dem Blick aufs Smartphone verbunden.

zentralplus: Woher kommt dieser Gedanke, permanent online zu sein und uns mit anderen austauschen?

Mützel: Wir alle sind soziale Lebewesen und tauschen uns gerne mit anderen aus. Gerade für Jugendliche in der Identitätsfindung ist es wichtig, sich von den Eltern abzunabeln und sich mit Leuten zu umgeben, die so sind wie sie. Die Online-Gemeinschaften ermöglichen einen Austausch mit Gleichgesinnten, der sehr wertvoll ist.

zentralplus: Wir sitzen am Familientisch, das Smartphone liegt auf dem Tisch. Es vibriert, wir gucken drauf, nehmen es zur Hand und schreiben zurück. Ist das unhöflich?

Mützel: In allen Beziehungen kommt's immer mal wieder vor, dass der Partner einen bittet, das Handy auf die Seite zu legen. Ich glaube, dass es zum Streitpunkt werden kann. Schliesslich ist das Handy ein Störfaktor und der Partner kann beleidigt sein, wenn ich dem Smartphone zu viel Aufmerksamkeit schenke.

«Wenn jemand in dieser Online-Welt verschwindet und nicht mehr ansprechbar ist, wird es unglaublich anstrengend für eine Beziehung.»

zentralplus: Kann der ständige Blick aufs Smartphone eine Beziehung zerstören?

Mützel: Wenn jemand in dieser Online-Welt verschwindet und nicht mehr ansprechbar ist, wird es unglaublich anstrengend für eine Beziehung. So wie immer, wenn in der Beziehung jemand nicht zuhört und nicht mehr anwesend ist.

zentralplus: Braucht es klare Regeln in Familien? Etwa Zeiten, in denen das Handy Tabu ist?

Mützel: Wir alle müssen lernen, mit diesen Geräten, die permanent unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, umzugehen. Das Aufploppen einer Nachricht, der Blick darauf, ist eine Unterbrechung, keine Frage. Und irgendwas wird gestört. So wie früher beim Mittagessen das Festnetztelefon geklingelt hat und man sich einigen musste, dass man da nicht rangeht, so muss man auch jetzt vereinbaren, ob man beim Zusammensein vom Smartphone gestört werden will oder nicht.

zentralplus: Was müssen Kinder lernen?

Mützel: Sie müssen lernen, zu merken, wann es okay ist, ans Telefon zu gehen und wann es fürs gemeinsame Miteinander als störend empfunden wird.

«Kinder finden es unglaublich störend, wie viel Zeit ihre Eltern an Smartphone und Computer verbringen.»

zentralplus: Und was können Eltern tun?

Mützel: Eltern müssen als Vorbilder agieren. Hilfreich ist, wenn Eltern gerade ihren kleinen Kindern sagen, was sie da tun. Es gibt Studien, die zeigen: Kinder finden es unglaublich störend, wie viel Zeit ihre Eltern an Smartphone und Computer verbringen. Am besten ist es, darüber zu kommunizieren, was man gerade tut, zum Beispiel: «Ich schaue kurz nach dem Wetter, damit wir wissen, was wir uns anziehen sollen.»

zentralplus: Und wie findet man zurück zur Face-to-Face-Kommunikation?

Mützel: In Familien können abgemachte Zeiten, in denen das Handy zur Seite gelegt wird, helfen. Auch ist es nicht ratsam, das Kind mit dem Smartphone zu beschäftigen, wenn man mal ungestört sein möchte.

zentralplus: Weshalb?

Mützel: Klar: Es ist einfach, Kindern ein Smartphone in die Hand zu drücken und als Babysitter einzusetzen. Alle haben ihre Ruhe, aber wir zahlen dafür einen Preis. Die Kinder sind abgelenkt und abgetaucht, haben ihre Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Welt rundum gerichtet.

zentralplus: Sie sind Mutter von zwei Kindern. Wie regeln Sie die Nutzung des Smartphones in Ihrem Familienalltag?

Mützel: Wir haben klare Regeln: Beispielsweise muss das Smartphone um 22 Uhr aus dem Zimmer des Grösseren sein. Auch wir Eltern legten unsere Handys an diesen Ort in der Nacht. Kinder können sich selbst sehr schlecht Grenzen ziehen. Die wenigsten Kinder gamen eine Stunde lang am Smartphone und legen es dann selbstständig zur Seite. Wie in allen Familien ist dies eine alltagsbestimmende Unterhaltung und nicht einfach!

«Da ist etwas bei uns, das immer nach unser Aufmerksamkeit schreit – eine super-aufmerksamkeitsraubende Maschine.»

zentralplus: Weshalb?

Mützel: Schwierig ist der Verzicht deshalb, weil wir die ganze Zeit Filme, Memes und Geschichten konsumieren. Ab und zu soll aber einfach mal nichts passieren. Unser Gehirn muss damit umgehen können. Das ist einfacher gesagt, als getan.

zentralplus: Müssen wir das neu lernen?

Mützel: Total. Da ist etwas bei uns, das immer nach unser Aufmerksamkeit schreit – eine super-aufmerksamkeitsraubende Maschine. Klar ist das toll. Ich habe alle meine Freunde die ganze Zeit in meiner Hosentasche, kann sie jederzeit hervorholen und alles, was in meinem Leben geschieht, mit ihnen teilen und besprechen.

zentralplus: Bei Ihnen in den Seminaren fordern Sie die Studierenden auch mal auf, den Laptop zuklappen und das Handy in der Tasche zu verstauen. Das haben wohl nicht alle immer cool gefunden …

Mützel: Zu jedem Semesterbeginn ist da eine Skepsis und ein Gemurmel. Aber am Ende des Semesters sagen die Studierenden, dass sie es schätzen, dass sie die eineinhalb Stunden, die wir gemeinsam verbracht haben und diskutieren konnten, offline waren.

zentralplus: Was macht es mit mir, wenn da ein Gerät ist, das permanent nach meiner Aufmerksamkeit verlangt?

Mützel: Diese permanente Aufmerksamkeits-Absaugmaschine macht Sie nervös! Da ist eine Sorge, was zu verpassen. Wir sprechen von der «FOMO», der Fear of Missing out. Wir konsumieren Nachrichten von Orten, an denen wir gar nicht leben, von Menschen, die wir gar nicht persönlich kennen und die permanent auf uns einprasseln.

zentralplus: Wir bezahlen aber auch mit unseren Daten. Weshalb sind diese so wertvoll?

Mützel: Damit können wir von Werbetreibenden gezielt angesprochen werden. Ich bin nicht mit all meinen Daten als Person Sophie Mützel wertvoll, sondern mit den unterschiedlichen Elementen meiner Datenspur. Also, wie ich mich zum Beispiel in früheren Konsumentscheidungen verhalten habe, beeinflusst die mitangezeigte Werbung von heute. Wenn ich gestern einen Wintermantel bei einem Onlinehändler gekauft habe, werden mir demnächst Anzeigen von Stiefeln gezeigt, die dazu passen. Das ist nicht nur schlecht, denn schliesslich muss ich selbst nicht mehr danach suchen.

zentralplus: Trotzdem ist es unheimlich. Können wir uns dagegen wehren?

Mützel: Nein, Daten über uns werden die ganze Zeit gesammelt. Eigentlich wissen wir, worauf wir uns einlassen. Es gibt aber wenig Alternativen. Wir müssten uns aus unseren sozialen Netzwerken ausklinken, uns und unsere gesamten Freundschaftsbeziehungen in die Offline-Welt bringen. Das ist schwierig. Wir könnten aber auch zu Firmen wechseln, die versprechen, unsere Daten nicht zu sammeln oder nichts mit diesen zu machen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie das funktionieren soll.

zentralplus: Sind Sie dafür, dass wir mehr offline leben?

Mützel: Ja. Wenn ich am Schreibtisch sitze und mich mit meinen Arbeiten oder denjenigen von Studierenden beschäftige, kann ich mich nicht konzentrieren, wenn mein Telefon immer wieder brummt oder eine E-Mail aufploppt. Um in diese Deep-Work-Phase zu kommen, müssen wir unser Smartphone auch einfach mal ausschalten. Aber ich bin mir bewusst, dass nicht jeder dieses Privileg hat.

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