Frauen, die in der Schweiz leben, haben im Durchschnitt 1,3 Kinder. Schweizerinnen gebären durchschnittlich 1,2 Kinder, Ausländerinnen 1,6 Kinder. Die Geburtenrate ist damit so tief wie noch nie. Tendenz abnehmend.
Doch es gibt auch Ausnahmen. Frauen, die 4, 5 oder 6 Kinder haben. Eine von ihnen ist Tetiana Dzhurynska. Die Ukrainerin flüchtete im März 2022 mit ihrem Mann und ihrer Familie inklusive Hund in die Schweiz, wo sie zunächst in Cham eine Bleibe fand. Seit rund einem Jahr lebt sie in Unterägeri.
Wer die Familie in ihrer Wohnung besucht, wird zunächst sehr überschwänglich von Familienhund Albus begrüsst. Dann kommen auch die siebenjährige Sascha und die sechsjährige Anna zur Tür. Die vier älteren Kinder Mischa (8), Vanja (10), Nikita (13) und Maxim (14) sind ausgeflogen. Schliesslich ist es Mittwochnachmittag, sie treffen sich mit Freunden oder zum Sport.
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Kinder als Möglichkeit, sich selbst zu entwickeln
«Das Leben ist schön, egal welchen Weg man wählt; ob mit vielen Kindern oder allein», sagt Tetiana Dzhurynska. Und weiter: «Als Kind träumte ich immer davon, irgendwann ein Waisenhaus zu eröffnen und in einem Haus voller Kinder zu leben. Nun sind es einfach meine eigenen Kinder.»
Aus ihrer Sicht werden Kinder aus Liebe geboren. «Und davon haben mein Mann und ich reichlich zu geben.» Auch sieht sie in ihren Söhnen und Töchtern eine Möglichkeit, selber zu wachsen. «Kinder halten einem immer wieder den Spiegel vor die Augen. Das kann anstrengend sein, ist aber jeweils eine Chance, sich zu hinterfragen und zu entwickeln. Und ich habe es schon immer gemocht, zu lernen.»
Das Interview mit zentralplus ist der beste Beweis dafür. Die Ukrainerin meistert das Gespräch souverän auf Hochdeutsch. Und das, obwohl Dzhurynska kein Wort Deutsch sprach, bevor sie in die Schweiz kam. Bis vor Kurzem besuchte sie den Intensivdeutschkurs von Pro Arbeit. Nun fährt sie «nur» noch dreimal die Woche dafür nach Zug. Zeitlich geht das nur auf, weil sie ein Auto hat. Nach dem Kurs müsse sie so schnell wie möglich nach Hause, um das Mittagessen vorzubereiten.
Die Kinder helfen mit, wo es geht
Dass es in der Schweiz Usus ist, dass Kinder am Mittag zu Hause essen, hat die sechsfache Mutter zunächst sehr überrascht. «Eltern können so ja gar nicht arbeitstätig sein!» Den Mittagstisch der Schule kann sich die Familie nur an zwei Tagen leisten. Doch mittlerweile hat sich Dzhurynska an die Umstände gewöhnt.
«Die Kinder helfen mit, so gut sie können. Mein Sohn etwa geht mit dem Hund spazieren. Und heute, als ich vom Deutschkurs nach Hause kam, war die Küche aufgeräumt. Meine siebenjährige Tochter Sascha hatte das erledigt. Sie fand, es sei wichtig, dass ich Zeit für mich habe.» Das passiere zwar nicht jeden Tag, doch ab und zu.
Viel Selbstdisziplin und Lernwillen
Jeder Tag hat für jeden Menschen nur 24 Stunden. Man könne diese nutzen oder verschwenden, egal ob man sechs Kinder oder keine habe, sagt Dzhurynska. Sie etwa nutze die frühen Morgenstunden, bevor alle wach seien, um zu lernen.
Auch abends nach dem gemeinsamen Nachtessen und den Hausaufgaben nehme sie sich gern Zeit für sich. «Ich mag das Wasser. Ab und zu gehe ich ins Ägeribad und geniesse es, dort zur Ruhe zu kommen. Wenn es dafür nicht reicht, nehme ich einfach zu Hause ein Bad», sagt sie und lacht.
Auch sei es für sie sehr wichtig, genügend Zeit mit ihrem Partner Oleksandr einzuplanen. «Bewusst nehmen wir uns zwei Abende in der Woche Zeit für uns, trinken ein Glas Wein und schauen einen Film. Beziehungen sind harte Arbeit, vor allem, wenn man Kinder hat.» Es sei einfach, dabei zu vergessen, dass man in einer Partnerschaft sei. Sie ist überzeugt: «Wenn die Eltern unglücklich sind, sind es auch die Kinder. Darum ist es sehr wichtig, dass wir gemeinsam kleine Dinge unternehmen.»
2300 Franken Sozialgeld für die achtköpfige ukrainische Familie
Auch in der Ukraine sei es ungewöhnlich, so viele Kinder zu haben. Insbesondere wenn man aus der Stadt komme, so wie die Familie Dzhurynska. «Keine meiner Freundinnen hat sechs Kinder», sagt sie selbst.
Das könne sie nachvollziehen. Eine Grossfamilie bedeute viel Arbeit. Doch das sei ihr Weg. Doch definiere sie sich nicht allein über ihre Familie. «Ich habe immer schon gearbeitet. In der Ukraine hatte ich eine gute Anstellung als HR-Managerin und war zudem in verschiedene Freiwilligenprojekte involviert.»
Während die Familie Dzhurynska in der Ukraine dank eines kleinen eigenen Geschäfts und des guten Gehaltes der Mutter gut lebt, ist das Leben in der Schweiz für sie heute schwieriger. «Wir haben den Schutzstatus S. Damit haben wir Anspruch auf Sozialgelder, die unseren Grundbedarf decken. Für acht Personen entspricht dies 2300 Franken.»
Dazu kommen 600 Franken vom Lohn, den ihr Mann in einer Schreinerei verdient. Es handelt sich um den sogenannten Einkommensfreibetrag. «Den Rest des Lohnes muss er dem Kanton abgeben», erklärt sie. Es ist quasi eine Rückzahlung der bezogenen Sozialhilfegelder.
Dafür hat sie Verständnis. «Doch finanziell ist es schwierig. Die Kinder brauchen Winterkleider und Schuhe, zu essen, Znüni und Zvieri. Aber: Bis jetzt schaffen wir es. Und obwohl es sehr hart ist, sind wir der Schweiz und dem Kanton Zug sehr dankbar.»
Auch seien sie von mehreren Familien stark unterstützt worden. Dafür sei sie sehr dankbar. «Insbesondere die Familien Worthington, Fuchs, Weber und Yurchenko haben uns bei der Suche nach Wohnraum und im Alltag sehr geholfen. Ohne die Hilfe dieser wunderbaren Menschen hätten wir es definitiv nicht geschafft.»
Das Ziel: Finanzielle Unabhängigkeit
Das Ziel der Familie: finanziell völlig unabhängig zu werden. Derzeit sind sie und ihr Mann mit dem Aufbau einer kleinen Teppich- und Möbelreinigungsfirma namens «Fleck Weg» beschäftigt.
Nicht nur die Eltern, auch die Kinder der ukrainischen Familie sind gut beschäftigt. Dies nicht nur mit der Schule und Mitgliedschaften in verschiedenen Sportvereinen, sondern auch mit dem Lernen für die ukrainische Schule. Gemäss der Mutter haben sie zwar keinen eigentlichen Unterricht, doch bekommen sie Aufgaben, die sie im Selbststudium erarbeiten.
Zweimal jährlich hätten sie Onlineprüfungen, für die sie beispielsweise etwas schreiben oder vortragen müssten, erzählt Tetiana Dzhurynska weiter. «Wir machen das, weil der Status S unsicher ist. Wir wissen nicht, wie es weitergeht und können nicht planen. Anna hat nun schon ihr halbes Leben in der Schweiz verbracht.» Sollte die Familie wieder in die Ukraine zurückkehren, sei es wichtig, dass die Kinder in der Schule mithalten könnten.
«Wir wissen zwar nicht, wie die Zukunft aussieht, doch wenn man positiv bleibt, kann man auch die schwierigen Phasen meistern», sagt Tetiana Dzhurynska. Sie weiss, wovon sie spricht.
Journalistin und langjährige Autorin bei zentralplus. Schreibt über politische Querelen, aufregende Bauprojekte und gesellschaftlich Bewegendes. Am liebsten jedoch schreibt sie über Menschen. Und natürlich Hunde.
Grosses Kompliment an die Familie Dzhurynska. Sie zeigen, wie man sich in Zufriedenheit üben kann, wenn man dankbar ist und versucht das Beste aus der Situation zu machen, statt ständig zu jammern.