Luzerner Gasthaus für Einsame und Arme

So macht die «Stube der Stadt» ihre Gäste seit 25 Jahren zufrieden

Heidi Rösch und Michi Merkle sind die Gastgeber des Treffpunkts Stutzegg. (Bild: ida)

An der Baselstrasse in Luzern gibt es ein ungewöhnliches Gasthaus. Hier treffen sich vor allem arme und einsame Menschen. Sie schätzen es, dass hier jeder so sein kann, wie er ist.

Vor dem Gasthaus – eingeklemmt im Haus zwischen der Basel- und der Bernstrasse in Luzern – thront die Figur des stadtbekannten und inzwischen verstorbenen Strassenputzers Heinz Gilli. Im Innern riecht es nach frisch gebackenen Zitronenkuchen. Im Treffpunkt Stutzegg sind Kaffee und Tee aufgetischt. Der Treffpunkt ist ein spezieller Ort. Er wird als «Gasthaus der besonderen Art» betitelt.

Das ist es auch. Nicht nur, weil eine Tasse Kaffee hier nicht viel kostet. Sondern, weil hier alle ihren Platz haben. «Es ist hier menschlich, wie ich es vorhin noch nirgendwo sonst erlebt habe.» Das sagt Chili*, die mit ein paar anderen Personen am Tisch sitzt, vor sich eine Tasse Kaffee stehen hat. Die restlichen Plätze im Gastraum sind noch leer. Der vorbeifahrende 2er-Bus verdunkelt regelmässig die grosse Schaufensterfront.

Chili schiebt sich die Sonnenbrille wieder auf die Nase. Sie sei lichtempfindlich, erklärt sie und fährt fort: «Hier gibt es keine Vorbehalte gegenüber anderen Menschen, keinen Neid, keine Missgunst. Jeder wird akzeptiert, so wie er ist.» Sie wünschte, sie hätte den Treffpunkt ein paar Jahre früher entdeckt. Seit Jahren komme sie hierhin. «Einmal im Treffpunkt – immer im Treffpunkt.» Sie schätze die Gastgeber, die alle Gäste gleich behandeln würden. Als Gast treffe man hier immer auf ein offenes Ohr, ergänzt Eva*, die mit Chili und Jürg* am selben Tisch sitzt. Noch dazu gebe es den günstigsten und besten Bio-Kaffee weit und breit.

Der Treffpunkt Stutzegg befindet sich im Erdgeschoss des orangen Gebäudes an der Baselstrasse. (Bild: ida)

Gasthaus feiert 25-Jahr-Jubiläum

Entstanden ist der Treffpunkt Stutzegg vor 25 Jahren. Die Gründungsmitglieder des Vereins Hôtel Dieu wollten benachteiligten Personen einen Ort geben, an dem sie sich ungezwungen treffen können. Heute arbeitet ein vierköpfiges Team für den Treffpunkt, zudem gibt es rund 25 Freiwillige, die mithelfen. Ohne diese könnten sie die Gaststube nicht so betreiben, sagt Leiterin Heidi Rösch. Denn der Verein wird ausschliesslich durch Spenden finanziert.

Der stellvertretende Leiter Michi Merkle ergänzt: «Die Menschen, die hierhin kommen, stehen mitten in der Gesellschaft. Dennoch haben sie nicht immer ihren Platz gefunden. Oder sie werden nicht wahrgenommen – und wenn doch, dann nicht auf eine angenehme Art und Weise.»

«Nichts muss – alles kann» im Stutzegg

Alles, was hier geschehe, geschehe ganz nach dem Motto «Nichts muss – alles kann», sagt Heidi Rösch. Gäste jassen gemeinsam und reden miteinander – oder vertiefen sich still in der Ecke in eine Zeitung. Sie lachen und sie weinen. Sie trinken Kaffee und bestellen sich eine warme Mahlzeit für einen Franken – sie können aber auch nichts konsumieren. Zudem werden in den Räumen Yoga und Shiatsu angeboten. In einer Werkstatt reparieren Gäste mitgebrachte Dinge – oder werkeln an eigenen Möbeln. Manchmal kriegen sie auch einen neuen Haarschnitt verpasst. Etwa dann, wenn Chili, die gelernte Coiffeuse ist, gerade Lust dazu hat.

«Der Treffpunkt Stutzegg ist wie eine Lebensbegleitung. Quasi eine erweiterte Familie.»

Jürg, Gast

«Der Treffpunkt Stutzegg ist wie eine Lebensbegleitung», sagt Jürg. «Quasi eine erweiterte Familie.» Er selbst kommt seit über zehn Jahren fast täglich hierhin. Das erste Mal habe er 2012 in der Psychiatrie vom Treffpunkt gelesen. Dies, nachdem er Job und Wohnung verloren hatte und viele Menschen in seinem Umfeld gestorben waren.

Erst hatte er Hemmungen, das Gasthaus aufzusuchen, später traute er sich dann doch. Heute ist Jürg Stammgast – wie rund 50 bis 60 andere Personen. Hier habe er seinen Frieden, er könne alles andere draussen lassen.

Viele der Gäste wollen nicht alleine sein

Viele, die den Weg zum Treffpunkt Stutzegg finden, «hatten nicht die besten Startbedingungen und sind nicht auf der Sonnenseite des Lebens daheim», wie es auf der Website des Treffpunkts heisst. Merkle sagt, dass viele der Gäste von materieller Armut betroffen seien. Sie haben psychische Krankheiten, Schicksalsschläge erlebt und verfügen über kein soziales Netz.

«Unsere Gäste sind Menschen, die gelernt haben, viel auszuhalten.»

Michi Merkle, Treffpunkt Stutzegg

«Unsere Gäste sind Menschen, die gelernt haben, viel auszuhalten.» Sie hätten gelernt, damit anders umzugehen als so manch anderer. Deswegen könne er viel von ihnen lernen. Die Gäste würden es schätzen, Gemeinschaft und Zugehörigkeit im Stutzegg zu erfahren. «Das Wichtigste für viele unserer Gäste ist es, nicht alleine zu sein», sagt Merkle. «Viele suchen den Treffpunkt Stutzegg nicht ganz so zufrieden auf – aber sie gehen meistens zufriedener.»

Michi Merkle ist seit 2010 Teil des Teams des Treffpunkts Stutzegg, Heidi Rösch seit 2022. (Bild: ida)

«Die Stube der Stadt»

An der Schaufensterfront des Treffpunkts prangt ein Banner mit den Worten «Die Stube der Stadt». «Das beschreibt den Treffpunkt ganz gut», wie Heidi Rösch erklärt. Hauptziel sei es, den Gästen einen Raum zu bieten, in dem sie auf eine wertschätzende und wohlwollende Begegnung setzen. Einen pädagogischen oder therapeutischen Ansatz verfolgen sie nicht.

«Es passiert das, was passiert – und morgen passiert etwas anderes.»

Heidi Rösch, Treffpunkt Stutzegg

Anstelle dessen arbeiten sie mit Fachstellen zusammen und bauen bei Bedarf für ihre Gäste Brücken zu Fachpersonen im Sinne der Triage. «Dies unterstützt unsere Absicht, den Gästen auf Augenhöhe zu begegnen, ohne dabei Gefahr zu laufen, mit gutgemeinten Ratschlägen ein Gefälle zu erwirken», sagt Heidi Rösch. «So erleben wir uns als Gastgebende und Freiwillige in der Haltung der Absichtslosigkeit und hegen keine Erwartungen: Es passiert das, was passiert – und morgen passiert etwas anderes. Für jeden Gast ist es so persönlich, wie er möchte. Er kann so viel teilen mit anderen, wie er möchte.»

Chili erzählt, dass sie selten gerne rausgehe, wenn es ihr nicht so gut gehe. «Der Treffpunkt Stutzegg ist der einzige Ort, wo ich an schlechten Tagen ungeniert hingehen kann und mich besser fühle.»

Und Jürg ergänzt: «Ich gehe meistens besser raus, als ich hierhin gekommen bin – und gut genährt dazu.» Gerade letzten Sonntag sei es ihm nicht so gut gegangen. Er sei am Tisch mit den unterschiedlichsten Personen zusammengesessen, die er besonders mochte. Was er Heidi Rösch anschliessend sagte? «Heute hat sich vieles gelöst.»

* Hinweis: Die Namen wurden zum Schutz der Betroffenen anonymisiert.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Heidi Rösch, Michi Merkle, Eva, Chili und Jürg
  • Augenschein vor Ort
  • Website Treffpunkt Stutzegg
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