Ein erstes Fazit vier Monate nach der Züglete

So lebt es sich in der Steinhauser Mega-WG

Alle zwei Wochen treffen sich die Bewohner, um Organisatorisches zu klären. (Bild: wia)

Vor knapp vier Monaten sind 13 Menschen in ein besonderes Haus in Steinhausen gezogen. Zwar hat jede Partei eine kleine Wohnung, doch teilen sich die Bewohner einige der Räume sowie Terrasse und Garten. Das Zwischenfazit nach den ersten Monaten zeigt: Es gibt sehr viel, das ausgehandelt werden muss. Diplomatie scheint dabei fehl am Platz.

Wie lebt es sich in einem Haus, in dem sich ein Dutzend Leute die gleiche Stube, eine Gemeinschaftsküche sowie einen Garten teilen? In Steinhausen wurde im März eine generationenübergreifende WG von der Genossenschaft für gemeinnützigen Wohnungsbau Gewoba ins Leben gerufen. Mittlerweile sind alle dreizehn Bewohner eingezogen, haben sich «eingepufft» und soweit eingelebt. Zeit für ein erstes Zwischenfazit.

Alle zwei Wochen setzen sich die Bewohner gemeinsam in die grosse Gemeinschaftsküche, besprechen Themen, die ihnen auf dem Herzen liegen und klären Organisatorisches. Mit dabei ist jeweils auch Judith Odermatt, die das Projekt im Namen der Gewoba koordiniert.

«Mit Diplomatie kommt man nicht weiter.»

Ursi, Bewohnerin der Gross-WG

Donnerstagabend, fünf Hausbewohner sitzen am grossen Tisch, einer hat sich ausserdem via Zoom eingeklinkt, er ist gerade unterwegs ins Wallis. Als wir zur Sitzung dazustossen, wird gerade über Wäsche gesprochen. Es geht um Unterhosen, die irgendwo waren, wo sie offenbar nicht hingehören. Beim Zuhören wird bald klar: Hier wird Tacheles gesprochen. «Das würde anders auch gar nicht gehen. Wir sind so viele Leute mit unterschiedlichen Bedürfnissen, da muss man klar kommunizieren», erklärt Ursi, eine der Bewohnerinnen. «Mit Diplomatie kommt man nicht weiter.» Die Anwesenden pflichten ihr bei.

Noch muss sehr viel ausdiskutiert werden

In den ersten knapp vier Monaten, seit die ersten Parteien eingezogen sind, habe es sehr viele Diskussionen gegeben. «Es sind so viele Räume, da tauchen naturgemäss auch viele Themen auf», äussert sich eine jüngere Frau, die sich als Céline vorstellt. In den ersten Monaten sei man stark mit dem eigenen Umzug beschäftigt gewesen, erst seit kurzem habe man Zeit, sich mit dem Haus als Ganzem und den Menschen auseinanderzusetzen.

«Es ist beispielsweise noch nie vorgekommen, dass alle gemeinsam gekocht haben», sagt Michel, dessen Kinder zum Teil ebenfalls hier wohnen. Denn nicht nur hat jede Partei eigene Räumlichkeiten, sondern auch je eine eigene Küche zur Verfügung.

«Wir sind fast eine Familie.»

Dominik, Bewohner

Judith Odermatt sagt: «Das hier ist zwar keine WG. Und trotzdem ist es eben eine.» Womit wir bereits bei den «neuralgischen Stellen» wären, die das WG-Leben mit sich bringt. Diskussionen über Sauberkeit und Ordnung sind häufig, denn nicht jeder hat dieselbe Messlatte in solchen Dingen. Die Diskussionen seien zuweilen nervenaufreibend, sagt Michel. Dominik ergänzt: «Wir sind fast eine Familie.» Die Anspielung auf die wohl bekannteste Schweizer Sitcom, ist dem Deutschen nicht bewusst. Dadurch ist sie jedoch nicht weniger treffend.

Dass es Reibung gibt, wo Menschen zusammenleben, war vorhersehbar. Die Bewohner sind denn auch zuversichtlich, dass sie die Themen mit ein paar Regeln in den Griff bekommen werden. Denn bislang gab es bewusst praktisch keine.

Auch muss die Gemeinschaft selber aushandeln, ob und wie oft eine Putzfrau künftig kommen soll. Jede Woche? Nur alle zwei Wochen? Soll mittels Ämtliplan nachgeholfen werden?

Auch die Gewoba redet mit

Ein verkomplizierender Faktor bei dieser speziellen Wohnform: Auch die Gewoba hat ein Wörtchen mitzureden, etwa wenn es um Veränderungen im Wohnbereich geht. Ein Beispiel, das alle anwesenden Bewohner aufstöhnen lässt: die Auswahl der Vorhänge in der Wohnküche. «Wir waren uns nicht im Klaren darüber, dass es gewisse Vorgaben gibt und wir nicht einfach frei entscheiden können», sagt Ursi. Was wiederum längere Diskussionen mit sich brachte. «Letztlich hat die Gewoba entschieden.» Sie blickt schulterzuckend zu den grau-grünen Vorhängen hinauf. Euphorisch ist sie nicht, doch die Bewohner haben sich mit diesen arrangiert.

Auch für die Verwaltung sind solche Diskussionen neu: «Wir müssen uns ebenfalls daran gewöhnen, dass die Mieter hier stärker mitreden dürfen», sagt Judith Odermatt von der Gewoba.

So konnten die Bewohner etwa auch Vorschläge machen, welche Ideen in den Gemeinschaftsräumen umgesetzt werden könnten und wie der Garten gestaltet werden sollte. Töggelikasten, ja oder nein? TV im Wohnzimmer? Was wird draussen gepflanzt? «Wir müssen viel kommunizieren miteinander», sagt Céline. «Und das ist nicht immer gleich einfach. Vor allem, wenn man sein Gegenüber noch nicht besonders gut kennt und nicht realisiert, wenn man einen Nerv getroffen hat oder jemand mal schlechte Laune hat.»

«Ich warte eher darauf, dass die wirklich absurden Diskussionen noch kommen.»

Daniel, Bewohner

Erfreulich unkompliziert empfindet Daniel das Zusammenleben. «Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so gut läuft und bin positiv überrascht. Ich warte eher darauf, dass die wirklich absurden Diskussionen noch kommen.»

Man kennt sich bereits recht gut

Plötzlich äussert sich eine Stimme aus dem Off. Phil, der sich von unterwegs zugeschaltet hat, stellt die Kamera ein und macht eine kurze Liveschaltung vom Mc Donalds, bei dem er sich gerade befindet. Alle lachen. Überhaupt ist die Stimmung entspannt, immer wieder werden Witze gemacht, man scheint sich und die gegenseitigen Eigenheiten bereits gut zu kennen.

Letzte Woche haben die Bewohner im Garten draussen grilliert und sind gleich mit der Nachbarschaft vertraut geworden. «Wegen dir», sagt Céline zu Michel. Wieder lachen alle. «Wieso, ich hab doch nur alle gegrüsst», sagt er und schmunzelt.

Viele der Nachbarn hätten noch nicht ganz durchgeblickt, um was für ein Haus es sich hier handle und seien entsprechend neugierig. Daniel sagt lachend: «Viele Passanten schauen uns sehr direkt in die Wohnräume und verlangsamen dabei ihr Tempo. Wenn sie merken, dass man sie sieht, werden sie plötzlich ganz schnell.» Ursi fügt hinzu: «Ich wurde einmal gefragt, ob wir eine religiöse Gemeinschaft sind. Auch sind schon Leute einfach reingekommen, weil sie dachten, das sei ein öffentliches Gebäude», sagt sie. «Das fand ich weniger toll. Wir spazieren bei Fremden auch nicht einfach ins Wohnzimmer.»

Summa summarum nach der ersten Zeit in der Mega-WG: «Es gibt ein paar Gewitterwolken», so Michel, «aber nicht nur», ergänzt Céline. «Wir finden uns schon.» Die Kündigung hat nach vier Monaten jedenfalls noch niemand eingereicht.

Gewoba freut sich über Generationenmix

Esther Keiser, Geschäftsführerin der Gewoba, sowie Judith Odermatt, Sachbearbeiterin Genossenschaftskultur und Soziales, äussern sich auf Anfrage dazu, warum sie das Projekt als wichtig taxieren und wie es aus ihrer Perspektive angelaufen ist.

zentralplus: Was bewegte die Gewoba, sich an ein solch eher ungewöhnliches Wohn-Projekt zu wagen?

Gewoba: Der gesellschaftliche Wandel! Individualisierte Lebensentwürfe, eine Mehrgenerationengesellschaft, neue Familienformen, sehr viel mehr Singlehaushalte, dies sind alles Entwicklungen, die nach neuen Formen des Zusammenlebens rufen. Wir sind überzeugt, dass es in Zukunft vermehrt Wohnraum brauchen wird, der dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und Diversität entgegenkommt. Hinzu kommt der Umstand, dass viele von uns sich künftig mit weniger privater Wohnfläche begnügen müssen oder wollen. Ganz nach dem Gewoba-Motto des geteilten Luxus. Das Gemeinsam-Wohnen-Haus der Gewoba ist das erste dieser Art und auch für uns eine Art Experiment. Aufgrund der vielen positiven Erfahrungen der letzten Monate sind wir nun bereits an der Planung weiterer, respektive ähnlicher Projekte. Gewöhnlich oder 0815 ist definitiv nicht unser Ding.

zentralplus: Seit vier Monaten läuft das Projekt nun, die 13 Mitbewohner haben sich offensichtlich eingelebt. Wie lautet Ihr Zwischenfazit?

Gewoba: Es freut uns sehr zu sehen, wie unser Haus zum Leben erwacht und diese Gemeinschaft sich langsam entwickelt.

zentralplus: Wo liegen Stolpersteine, die man nicht erwartet hätte?

Gewoba: Es war uns von Anfang an klar, dass dieses visionäre Projekt einige Herausforderungen bereithalten würde. Menschen, die sich vorher nicht gekannt haben, sollen sich finden und zusammen etwas aufbauen. Dies zudem in einem Moment, in welchem sich auch für jeden und jede allein mit dem Umzug vieles im Leben verändert. Aber auch für uns ist diese Wohnform Neuland und fordert von uns als Verwaltung so einiges. Insofern haben wir erwartet, dass der eine oder andere Stolperstein auftauchen wird. Dies gehört jedoch dazu, wenn man neue Wege gehen will.

zentralplus: Wo läuft's besser als gedacht?

Gewoba: Die Durchmischung der Bewohnenden freut uns sehr. Wir hatten anfänglich etwas den Verdacht, dass eher eine ü50-Frauen-WG entstehen könnte. Auch dies wäre sicher spannend gewesen, aber der jetzt erreichte Generationenmix ist es noch viel mehr.

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