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Die Inflation, steigende Mieten und Krankenkassenprämien machen vielen zu schaffen. Auch Sonja. Trotz Arbeit und regelmässigem Einkommen reicht ihrer 5-köpfigen Familie aus Luzern das Geld nicht.
Wenn Sonja* mit ihren Kindern den Spielplatz besucht, kommt sie beim Gespräch mit anderen Müttern schnell aufs Thema Geld zu sprechen. Die Inflation, die Mieten, die Krankenkassen – das Leben wird teurer.
Sonja ist Mutter von drei Buben (10, 9 und 5). Sie und ihr Mann arbeiten beide. Obwohl sie auf ein gemeinsames Pensum von rund 120 Prozent kommen, reicht das Geld nur knapp. In manchen Monaten auch gar nicht. Dann bleiben Rechnungen offen, Kreditkarten sind gesperrt, weil sie im Minus sind. Meistens ein paar hundert Franken.
Die Miete der Wohnung in der Stadt Luzern schluckt seit einer Mieterhöhung zirka 2300 Franken, die Krankenkassen mit Zusatzversicherungen für die 5-köpfige Familie über 1000 Franken. Das Mehl, die Milch und der Reis wurden in den letzten Monaten teurer, rund 10 Prozent. Bald muss die Familie auch für die Krankenkassenkosten tiefer ins Portemonnaie greifen. «Alles wird teurer. Ich mache mir Sorgen, ob das gar nicht mehr aufhört.»
Hinzu kommen neue Kleider und Socken, weil die Kinder immer grösser werden. Die Buben wollen Fussball spielen, kommen hungrig nach Hause und wollen Taschengeld für neue Games. «Sie sagen immer ‹wir haben nie Geld› – das tut weh», sagt Sonja. Wenn dann noch eine Zahnarztrechnung in Höhe von über 200 Franken ins Haus flattert sowie eine Leistungsabrechnung der Krankenkasse, sprengt es das Budget vollkommen.
Zehntausende Working Poors in der Schweiz
Sonja und ihr Mann sind sogenannte Working Poors. Das sind Menschen, die trotz Arbeit und einem Einkommen knapp an der Armutsgrenze leben. Sonja ist damit bei Weitem nicht alleine.
«Wir wollten keine Sozialhilfe mehr beziehen, wir wollten es alleine schaffen.»
Sonja
Gemäss Bundesamt für Statistik lag die Armutsgefährdungsgrenze im Jahr 2021 für einen Einpersonenhaushalt bei 30'185 Franken pro Jahr. 14,6 Prozent der Bevölkerung – oder fast jede siebte Person, ist von Armut bedroht.
Tipps zum Sparen – und Prämienverbilligung beanspruchen!
Die Caritas Luzern hat Tipps, wie man in der Zentralschweiz günstiger lebt, in einem «ABC des Sparens» zusammengetragen. Dieses findest du hier. Budgetvorlagen kannst du hier gratis herunterladen und erstellen. Wer sich bei der Caritas Luzern beraten lassen will, findet hier mehr Infos.
Zudem kann sich jeder im Kanton Luzern noch bis am 31. Oktober für die Prämienverbilligung anmelden, anschliessend wird geprüft, ob ein Anspruch besteht. Du musst dich dafür jedes Jahr von Neuem anmelden. Das kannst du hier tun.
Sozialhilfe will Sonja nicht mehr beziehen
Etwa sechs, sieben Jahre lang bezog die Familie Sozialhilfe – manchmal nur 20 Prozent, manchmal 100 Prozent. Seit letztem Jahr ist damit Schluss. «Wir wollten keine Sozialhilfe mehr beziehen, wir wollten es alleine schaffen», sagt Sonja bei einem Kaffee in einem Stadtluzerner Café. Auch wolle sie ihren Kindern ein Vorbild sein. Einfacher ist es aber nicht geworden. «Seither sind wir mit dem Geld zwar sehr knapp – dennoch sind wir froh, keine Sozialhilfe mehr zu beziehen.»
Um Geld zu sparen, geht Sonja jeweils da einkaufen, wo es am günstigsten ist. Auch im Caritas-Markt, wo Menschen mit einer Kulturlegi günstiger Lebensmittel beziehen können. Eine KulturLegi erhält, wer nachweislich von Armut bedroht ist und mit einem sehr knappen Budget auskommen muss. Seit letztem Sommer verzeichnen die Caritas-Märkte schweizweit einen starken Anstieg an Kundinnen (zentralplus berichtete).
Auch in einem kleinen Lebensmittelladen kann sie einkaufen und später bezahlen. Sonja rechnet. Da habe sie etwa noch 130 Franken offen. Der Ladenbesitzer habe ihr ein Heft gezeigt, in dem er Namen und offene Zahlungsaufforderungen aller seiner Kundinnen aufgeführt habe. «Alles Familien. Alle haben die gleichen Probleme.»
Weil sie sich vor den Kosten scheute, vermied es Sonja zudem, zum Zahnarzt zu gehen. Und Rechnungen wie Heiz- und Nebenkosten bezahlt sie oft in Raten. Nun hat sie sich auch für die Prämienverbilligung angemeldet, was man in Luzern noch bis Ende Oktober tun kann. «Wenn das klappt, ist zumindest etwas Druck weg und ich habe mehr Ruhe im Kopf.»
Ständig rechnen und sparen
Denn ihr Kopf brummt. Häufig. Immer wieder plagen sie starke Migräneanfälle. «Ständig rechne ich im Kopf und überlege mir, wo wir noch mehr sparen können», erzählt Sonja. Wenn die Kinder schlafen, vergleicht sie online die Preise verschiedener Detailhändler und sucht nach Aktionen. Jeden Tag scrollt sie durch Jobinserate und hofft, eine Stelle zu finden, bei der sie ein wenig mehr verdient. Und jeden Tag durchforstet sie Wohnungsinserate, in der Hoffnung, eine günstigere Bleibe zu finden.
Working Poors wird bei der Caritas Luzern geholfen
Auch wenn es schwer ist: Sonja ist keine, die sich beklagt. Sie findet immer Lösungen. Stillsitzen kann sie nicht. Und sie packt die Dinge selbst an. Das zeigte sie auch, als sie nach der Geburt ihres dritten Kindes eine Lehre absolvierte.
Geholfen wird ihr bei der Caritas Luzern. Gerade, als die Zahnarzt- und Arztrechnungen kamen und Sonja nicht wusste, wie sie das alles stemmen sollte, wandte sie sich an eine Beraterin.
«Niemand sollte sich schämen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.»
Reto Stalder, Caritas Luzern
Bei der Caritas Luzern wird jenen geholfen, die oft zwischen Stuhl und Bank fallen. Viele sind wie Sonja Working Poors. Gemäss Antje Sonntag, Leiterin der Sozial- und Schuldenberatung, braucht es bei ihnen nicht viel, bis sie unter die Armutsgrenze gelangen. «Oft ist es ein stetiger Kampf», sagte sie kürzlich gegenüber zentralplus. «Es muss nur einmal ein Einkommen wegfallen, ein Pensum reduziert werden, und schon rutscht man in die Armut ab.»
Aus Scham auf Sozialhilfe verzichten
Bis Working Poors den Weg in die Sozial- und Schuldenberatung finden, dauert es. «Wenn Probleme finanzieller Art entstehen, ist der erste Gedanke meistens: ‹Wie schaffe ich das alleine?›», so Sonntag. Viele denken, dass sie mit ihren Sorgen alleine sind und es die anderen doch auch schaffen.
Eine grosse Hürde ist die Scham. Nach wie vor würden sich viele schämen, über finanzielle Probleme und Schulden zu sprechen. Deswegen wollen sie die Situation alleine stemmen. Die Scham ist es auch, die dazu führt, dass viele auf Sozialhilfe verzichten. Beispielsweise zeigen Zahlen des Kantons Basel-Stadt, dass 2019 31 Prozent auf einen Bezug verzichten, obwohl sie Anspruch darauf hätten.
Das Hinauszögern des Bezugs von Sozialhilfe kann laut Reto Stalder, Mediensprecher bei der Caritas Luzern, gravierende Folgen haben: «Häufig geraten Menschen in eine Schuldenspirale. Die offenen Rechnungen, dieses Gefühl, ‹es nicht selbst zu schaffen› und eine enorme psychische Belastung gehen dann Hand in Hand», so Stalder. Jenen, die vor einem Sozialhilfebezug zurückschrecken, rät die Caritas Luzern: «Niemand sollte sich schämen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.»
*Hinweis: Der Name wurde auf Wunsch von Sonja anonymisiert.
- Persönliches Gespräch mit Sonja
- Schriftlicher Austausch mit Reto Stalder, Mediensprecher Caritas Luzern
- Zahlen des Bundesamt für Statistik
- Bericht Sozialkennzahlen 2023 Basel-Stadt
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