«Hackspace» in Luzern

Sie hacken, aber keine Computer

Aus alt wird Kunst: Im «Hackspace» herrscht das kreative Chaos. (Bild: Elia Saeed)

In einer alten Holzbaracke im Rösslimattquartier rauchen Lötkolben, dröhnen Fräsen und rattern 3D-Drucker. Hier werden technische Geräte zweckentfremdet und zu Kunst. zentral+ warf einen Blick hinter die Kulissen des «Hackspace». Ein Ort, der trotz seiner Einzigartigkeit gefährdet ist.

Wer sich an einem Mittwoch spät abends im Luzerner Rösslimattquartier herumtreibt, findet sich abseits der Bahnhofsgleise an einem scheinbar verlassenen Platz wieder. Doch in einem alten Holzschuppen am Ende des Perrons brennt Licht. Geht man hinein, herrscht lebhaftes Treiben. In umfunktionierten Lagerräumen wird fleissig trainiert. Da ein Fitnessraum, dort ein Kampfsport-Club und mitten im Gang ein Schild mit der Aufschrift: Ateliergemeinschaft Botenplätze Halle Nord. Das Schild weist ans Ende der Baracke. Vor einer unscheinbaren Tür nochmals dieselbe Anschrift, doch diesmal steht da in farbiger Schrift noch mehr geschrieben: Hackspace.

Mechatronische Kunst
Es ist kurz nach 20 Uhr. In der Halle Nord geht es noch gemächlich zu. Der Hackspace hat gerade erst geöffnet, wie jeden Mittwoch um diese Zeit. Die Woche über ist die Halle aber ebenfalls belebt – die Hauptmieter, eine Künstlergemeinschaft, teilen sich die Halle mit dem Hackspace.

Neben dem Eingang steht eine Bar und daneben ein proppenvolles Bücherregal. Weiter hinten sitzen Leute in gemütlichen Vintage-Sesseln. Einer von ihnen ist Felix Bänteli, Mitbegründer des Hackspace. «Es gibt verschiedene Formen von Hacking», erklärt Bänteli. «Wir bewegen uns im Hardware-Hacking.» Mechatronische Kunst nennt er das. «Wir haben noch nie Computerseiten gehackt, aber es gibt sicher Leute bei uns, die das könnten.» Bänteli sieht den Hacking-Begriff viel breiter: «Das sind Leute, die sich gut in Systemen auskennen und in diese eindringen.»

Dinge zweckentfremden gehört auch zum Hacking. Hier wird eine Kreditkarte zu einem musikalischen Instrument. Klingt wie ein DJ, der seine Platte scratcht.

Dinge zweckentfremden gehört auch zum Hacking. Hier wird eine Kreditkarte zu einem musikalischen Instrument. Klingt wie ein DJ, der seine Platte scratcht.

(Bild: Elia Saeed)

Bänteli ist Absolvent der Hochschule für Kunst und Design. Nach seinem Abschluss wollte er ein Kultur-Büro betreiben, das Geräte verleiht. «Dann habe ich gemerkt, dass es viel wichtiger ist, dass man den Umgang mit diesen Geräten richtig kennt.» Aus der Idee fürs Kultur-Büro wurden Spin-offs: Der Kulturpool im Neubad und 2008 das LABOR Luzern. Das ist ein Verein, bei dem jeder Mitglied werden kann. Der Hackspace ist das Herzstück des LABORs. Er besteht seit rund drei Jahren und zählt etwa 20 aktive Mitglieder. Hier gibt es offene Werkstätten mit 3D-Drucker und CNC-Fräse. Aber das ist längst nicht alles.

Zwischen Technik und Kultur
Wer ins Reich des Hackspace eintritt, darf sich auf eine Reizüberflutung gefasst machen. Vollgepackte Regale stehen neben prall belegten Tischen. Eine Musikanlage steht mitten in einem Raum, der von mehrstöckigen Arbeitsplätzen flankiert wird, dazwischen allerlei Werkzeuge wie Lötkolben, Pinsel und Leinwände. Es ist ein Schmelztiegel von Technik und Kunst. Dominik, einer der Künstler, die sich hier eingemietet haben, sagt: «Die Sachen, die die anderen machen, sind auch für mich inspirierend.»

In der Ateliergemeinschaft Botenplätze Halle Nord arbeiten Künstler und Techniker unter einem Dach.

In der Ateliergemeinschaft Botenplätze Halle Nord arbeiten Künstler und Techniker unter einem Dach.

(Bild: Elia Saeed)

Es waren die Künstler, die diesen Ort entdeckten und bis heute als Hauptmieter das Risiko tragen. Eine davon ist Claudia Kübler. Sie hat ihren Platz am Ende der Halle. «Wir, die diesen Raum am Anfang gemietet haben, sind alle vom Master Bildende Kunst.» Kübler freut sich, dass das Atelier mit dem Hackspace Zuwachs bekam. «Ich finde es super, wenn unterschiedliche Leute da sind, die etwas machen, realisieren.» Die eigenständige Künstlerin ist mittlerweile nach Zürich gezogen, aber ihren Platz im Atelier hat sie behalten, weil sie ihn so gerne hat. «Der Industriecharakter und die Lage haben einen Charme. Draussen ist das Perron und Zubringergleis. Im Sommer kann man aufmachen und draussen Tische hinstellen. Es ist ein spezieller, inspirierender Raum und auch günstig, weil es eine Zwischennutzung ist.»

Soziale Aufgaben und ihr Preis
Die Ateliergemeinschaft mit dem Hackspace muss früher oder später einmal weichen. Auf dem Rösslimatt-Areal werden die bestehenden Bauten abgerissen, um eine Überbauung hinzustellen. Zurzeit sucht die SBB nach Hauptmietern. Solange diese nicht gefunden sind, dürfen die bestehenden Mieter bleiben. Claudia Kübler: «So wie es aussieht, wird es zur Europaallee 2. Dann wird es hier keine Künstler geben, weil dann ganz andere Bodenpreise herrschen.» Zurzeit kostet der ganze Raum 2000 Franken monatlich. Den grössten Teil der Miet- und Nebenkosten trägt das LABOR. Über den Mitgliederbeitrag von rund 60 Franken wird auch die Miete für den Hackspace bezahlt.

«Das LABOR nimmt auch eine soziale Aufgabe wahr.»
Jonas, Kassier Hackspace

Im Schnitt sind jeden Mittwoch fünf bis zehn Leute hier anwesend und werkeln. Einer davon ist Jonas, Kassier des Vereins. Seit rund zweieinhalb Jahren führt er die Buchhaltung. «Es lief finanziell einmal sehr rosig. 2013 gewannen wir den Zentralschweizer Förderpreis.» Zusätzlich konnten über das Migros-Kulturprozent diverse Anschaffungen gemacht werden. «In letzter Zeit hatten wir keine grossen Einnahmen mehr. Wir leben von den Mitgliederbeiträgen.» Durch die Mitgliedschaft habe man einen sicheren Hafen, sagt Jonas. «Das LABOR nimmt auch eine soziale Aufgabe wahr.»

Im Hackspace treffen sich jeden Mittwoch Leute, um offene Werkstätten zu nutzen. Dabei helfen sich die Teilnehmenden gegenseitig bei Problemlösungen.

Im Hackspace treffen sich jeden Mittwoch Leute, um offene Werkstätten zu nutzen. Dabei helfen sich die Teilnehmenden gegenseitig bei Problemlösungen.

(Bild: Elia Saeed)

Während abends die Erwachsenen im Hackspace rumwerkeln, wird der Raum am Mittwochnachmittag von den Jungen bevölkert. Dann organisiert Felix Bänteli zusammen mit einer Kollegin Workshops für Kinder. «Es gibt in unserer Zeit viele Digital Natives, die keine Ahnung von Datenschutz oder Sicherheitsregelungen haben», erklärt Bänteli. «Das kann man unter anderem bei uns lernen.»

Das ganze kostet 45 Franken pro Kind für vier Stunden. Dabei geht es laut Bänteli mehr ums Betreuen als darum, Frontalunterricht zu geben. «Es wäre geil, wenn mehr Schulklassen kommen würden. Schulen können das nicht anbieten, weil sie zu wenig Pensen haben. Wir sind im Moment eine von wenigen Gruppen, die ein solches Vermittlungsprogramm über die Agentur Actioncy anbieten.» 

Zeitgenössische Medien für Kunstzwecke
Das Know-how des Hackspace ist gefragt – zum Beispiel bei der LUGA 2016. Zudem wird zurzeit ein Projekt fürs nächste Fumetto vorbereitet. «Wir gestalten interaktive Objekte», erklärt der Luzerner Kulturkopf 2013. «Illustratoren designen Objekte aus Karton und wir animieren diese mit Mikrocontroller-Plattformen und Servos.» Über Thomas von Arx wurden Bänteli und seine Kollegen auch zur ehemaligen Zwischennutzung im Himmelrich-Quartier vermittelt. «Dort haben wir die Wohnung mit einer CNC-Fräsmaschine abgetragen und einen Grabstein aus der Wand herausgespitzt. Wir nutzen zeitgenössische Medien für Kunstzwecke.»

Im Hackspace werden zeitgenössische Medien für Kunstzwecke verwendet.

Im Hackspace werden zeitgenössische Medien für Kunstzwecke verwendet.

(Bild: Elia Saeed)

Es bleibt die Frage: Was passiert, wenn die Zeit des Hackspace im Rösslimatt zu Ende geht? Auch die bildenden Künstler im Atelier stellen sich diese Frage. «Es wäre toll, wenn wir zusammen an einen neuen Ort wechseln könnten – in einen grossen Raum», sagt Claudia Kübler. Dadurch, dass es noch nicht klar sei, wann sie raus müssten, haben sie noch nicht konkret gesucht. «Wir haben im Vertrag ganz klar die Regelung, dass wir hier raus müssen», sagt Felix Bänteli. «Wir werden uns da sicher nicht wehren.»

«In der Stadt Luzern gibt es wenig Freiraum und der bestehende Freiraum ist unter Druck.»
Aurel Jörg, Kopräsident Neubad

Als mündliche Abmachung gilt, dass das Atelier ein Jahr im Voraus Bescheid kriegt, wann es raus muss. Für Bänteli gäbe es bereits eine Ideallösung: «Ich bin der Meinung, man sollte aufs Neubad setzen. Das Neubad ist der letzte Kulturpalast, den es gibt. Ich kann mir vorstellen, dass man zum Beispiel ein Büro im Neubad hat und daneben mobile Stationen, mit denen man irgendwo hingeht.» Aurel Jörg, Kopräsident Verein Netzwerk Neubad, äussert sich besorgt: «In der Stadt Luzern gibt es wenig Freiraum und der bestehende Freiraum ist unter Druck. Das Problem rund um den Hackspace verdeutlicht dies exemplarisch. Es kann nicht angehen, dass etablierte Kulturakteure wie Hackspace von Zwischennutzung zu Zwischennutzung ziehen müssen», sagt Jörg und ergänzt: «Das Neubad bemüht sich, allen Interessierten einen Raum oder einen Platz im Neubad zu ermöglichen.»

Loslösung vom Konsum
Felix Bänteli freut sich, wenn institutionelle Vertreter beim Hackspace vorbeischauen. Die Stadt Luzern war auch schon vor Ort. «Die finden das spannend», sagt Bänteli und fügt an: «Wir sind auf Anerkennung angewiesen und darauf, dass sich die Stadt stark macht für uns – auch in finanzieller Form: zum Beispiel in Form von zahlbaren Räumlichkeiten, Unterstützung für Kultur-Projekte oder soziale Dienstleistungen, wie Kinderbetreuung.»

Eine Kulturszene müsse wachsen, sagt er. «Es braucht Räume, wo man etwas ausprobieren kann und wo etwas entstehen darf. Im Hackspace geht es darum, verschiedene Techniken auf ihre Anwendung hin zu prüfen, Nutzen zu diskutieren, und wenn kein Nutzen vorhanden ist, hacken! Dadurch kann man sich vom permanenten Konsumieren lösen und selbst anfangen, Lösungen zu finden.» Wie dereinst die Lösung für den Hackspace aussieht, das steht noch in den Sternen. Es wird jedoch noch mindestens ein weiteres Jahr geben, in dem die Botenplätze der Halle Nord einen Hort bieten für die mechatronische Kunst des Hackspace.

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