Kampagne wird von Guuggenmusigen abgelehnt

Sexuelle Belästigung scheidet die Fasnachts-Geister

Fasnachtskostüme sind teils zum Gruseln. Für viele Frauen geht das Gruseln aber noch weiter. (Bild: Emanuel Ammon)

Die Juso Luzern fordert in einem offenen Brief vom Stadtrat eine Aufklärungskampagne gegen sexuelle Belästigung an der Fasnacht. Ist das unnötig, ratsam oder längst überfällig? Fasnächtler halten wenig davon.

Es ist schon nach Mitternacht. Wir stehen im hell erleuchteten Eingang einer Beiz, trinken Bier und sind in Gespräche vertieft. Rundherum fasnächtliches Treiben, die Leute tanzen und lachen, einige sind schon ziemlich betrunken. Ich sehe grauenhaft aus, habe mich als 70er-Jahre-Mafioso mit Monobraue und Schnauz verkleidet. Von aufreizendem Outfit also keine Spur.

Doch dann plötzlich drückt sich aus dem Nichts heraus ein wildfremder Mann an mich. Ich halte es für eine schlechte Anmache, lache und versuche ihn wegzuschieben und drehe ihm den Rücken zu. Doch er lässt nicht locker, fängt an, mich mit seinem Körper an die Wand zu drücken und sich an mir zu reiben. Er flüstert mir Dinge ins Ohr, die ich hier nicht wiederholen möchte [...]

So hat eine zentralplus-Autorin vor einigen Jahren beschrieben, was ihr an der Luzerner Fasnacht passiert ist. Solche Situationen sind vielleicht nicht die Regel, Erfahrungen mit sexueller Belästigung hat jedoch fast jede Frau. Eine Hand am Hinterteil im Gedränge, ein anstössiges Geraune beim Vorbeigehen. Im Rausch des Fests und unter Alkoholkonsum geschieht in den Innenstädten, was sonst in dunklen Clubräumen oder Wohnungen passiert.

Warum gibt es keine Anzeigen?

Ein Grossereignis wie die Luzerner Fasnacht ist davon nicht ausgeschlossen. Und doch gibt es kaum verlässliche Zahlen, wie viele Personen sexuelle Belästigung an der Fasnacht erleben. Warum ist das so? «Die Toleranz ist an der Fasnacht wohl allgemein höher», bestätigte ein Mediensprecher der Luzerner Polizei 2016 gegenüber zentralplus (zentralplus berichtete).

Weitere Faktoren tragen zur Dunkelziffer bei. Im Gedränge ist es schwer einen Täter zu identifizieren. Sexuelle Belästigung ist teils unauffällig und subtil. Und viele Anzeigen sind erfolglos, da solche Taten schwer nachzuweisen sind.

Im Gedränge können Übeltäter schnell entkommen. (Bild: ewi)

Die juristische Literatur ist sich ausserdem uneins, was als sexuelle Belästigung gilt. Eine oft zitierte Umschreibung listet Folgendes auf: Bemerkungen über körperliche Vorzüge und Schwächen; obszöne, sexistische Redensweisen; anstarren, pfeifen, taxierende Blicke; unerwünschte Annäherung, Gesten und Zudringlichkeiten; [...]. Das zeigt: sexuelle Belästigung beginnt weit vor dem, was von vielen als «einfach Fasnacht» bezeichnet wird.

Der offene Brief der Juso

So sieht es auch Zoé Stehlin, Co-Präsidentin der Juso Luzern. Die Regierungsratskandidatin hat gemeinsam mit ihrer Partei einen offenen Brief an die Stadt Luzern verfasst. Sie fordern eine Aufklärungskampagne gegen sexuelle Belästigung an der Fasnacht, wie es sie auch gegen Taschendiebstähle gibt.

«Uns hat es sehr betroffen gemacht, wie oft die Gesellschaft sexuelle Belästigung an der Fasnacht immer noch normalisiert.»

Zoé Stehlin, Co-Präsidentin der Juso Luzern

«Als wir erfuhren, dass kein Konzept zur Prävention von sexueller Belästigung von der Stadt oder vom Luzerner Fasnachtskomitee geplant ist, war klar, dass wir aktiv werden müssen», schreibt Zoé Stehlin auf Anfrage von zentralplus. Polizeipräsenz und ein von der Stadt veröffentlichtes Informationsblatt mit dem Titel «Sicher im Ausgang Luzern» seien nicht genug.

Auch der Juso ist das Problem der Dunkelziffer bewusst. «Uns hat es sehr betroffen gemacht, wie viele nahestehende Personen selbst sexuelle Belästigung erlebt haben, sei es durch verbale Übergriffe oder körperliche. Und wie oft es die Gesellschaft an der Fasnacht immer noch normalisiert», erzählt die Co-Präsidentin.

Fasnächtler fühlen sich nicht verantwortlich

In ihrem Brief nimmt die Juso nicht nur die Stadt Luzern, sondern auch das Lozärner Fasnachtskomitee, Organisator der grossen Umzüge, in die Pflicht. Muss auch das Komitee mehr gegen obszöne Sprüche und unerwünschte Berührungen an der Fasnacht unternehmen?

Nein, findet ihr Kommunikationschef Peti Federer. «Das Lozärner Fasnachtskomitee unterstützt alle Sicherheitsmassnahmen. Generell gilt aber: Wir sind nicht die ‹Organisatorin› der Fasnacht, der Brief richtet sich an die Stadt», schreibt er auf Anfrage.

Bei den Guuggenmusigen selbst trifft der Brief dagegen auf Unverständnis. Der grösste Fasnachtsverband der Zentralschweiz, «Die Vereinigten Luzern», steht für 3'000 Fasnächtlerinnen und Guugger. Eine Aufklärungskampagne wird hier abgelehnt. «Sexuelle Belästigung ist kein Thema an der Luzerner Fasnacht. Die Guuggenmusigen sind wie eine grosse Familie. Man passt auf sich und die anderen Guuggerinnen und Guugger innerhalb der Guuggenmusig auf», schreibt ihr Medienchef Daniel Buchecker.

Eine Kampagne kommt frühestens 2024

Die Gefahren der Fasnacht werden unterschiedlich eingeschätzt, so viel ist klar. Auf Anfrage von zentralplus hält sich auch die Polizei bedeckt. «An Grossanlässen kann es immer zu Meldungen wegen sexuellen Belästigungen oder auch wegen Taschendiebstählen kommen.» Die Polizei sei daher stark präsent und könne jederzeit angesprochen werden, schreibt Simon Kopp, Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Kanton Luzern.

«Auch wenn vielleicht an dieser Fasnacht noch kein Präventionskonzept umgesetzt werden kann, ist es doch wichtig, dass darüber diskutiert wird.»

Zoé Stehlin, Co-Präsidentin der Juso Luzern

Der Brief der Juso wird dieses Jahr wohl keine Früchte tragen, denn dafür ist die Zeit zu knapp. Wie die Stadt auf Anfrage mitteilt, diskutiere der Stadtrat in einer Sitzung nach den Fasnachtsferien über den offenen Brief der Juso. Mehr könne die Stadt derzeit nicht sagen. Somit kommt eine Aufklärungskampagne frühestens an der Fasnacht 2024.

Jetzt an die Öffentlichkeit zu gehen habe jedoch einen weiteren Zweck, so Zoé Stehlin. «Die Fasnacht steht kurz bevor und auch wenn vielleicht an dieser Fasnacht noch kein Präventionskonzept umgesetzt werden kann, ist es doch wichtig, dass darüber diskutiert wird.»

Verwendete Quellen
  • Entscheide nach Gleichstellungsgesetz
  • Schriftlicher Austausch mit Daniel Buchecker, «Die Vereinigte Luzern»
  • Schriftlicher Austausch mit Simon Rimle, Leiter Kommunikation Stadt Luzern
  • Informationsblatt «Sicher im Ausgang in Luzern»
  • Schriftlicher Austausch mit Simon Kopp, Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Kanton Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Zoé Stehlin
  • Schriftlicher Austausch mit Peti Federer, Kommunikationschef Lozärner Fasnachtskomitee
  • Website des «Lozärner Fasnachtskomitee»
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10 Kommentare
  • Profilfoto von Beatrice M.
    Beatrice M., 22.02.2023, 12:02 Uhr

    Ohne jetzt alle Kommentare durchgelesen zu haben und daher wahrscheinlich in die Wiederholung zu gehen: Was die Autorin erlebt hat, haben wir sicher schon alle mal an der Fasnacht erlebt, und zwar auf beiden Geschlechter-Seiten. Frauen können genauso direkt, wenn manchmal nicht noch viel hemmungsloser und «billig» sein und Hand anlegen an Stellen, wo sie nichts verloren haben. Ein bestimmtes Nein und eine klare Ansage genügen da zum Glück meistens. Meist ist man ja nicht alleine und kann sich allenfalls Schützenhilfe holen. Ich sage nicht, dass es normal ist und dazu gehört, aber wo Alkohol in diesen Mengen fliesst, ist es halt oft so. Schade – denn eigentlich hat das nichts mit Fasnacht zu tun.

    Also Frauen: wehrt euch und setzt Grenzen, aber tun wir nicht so, als wären alle Frauen immer die Opfer. Frauen können unter Alkoholeinfluss sehr übergriffig und ordinär sein!

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  • Profilfoto von Daniel Steiner
    Daniel Steiner, 15.02.2023, 12:06 Uhr

    Ein kleiner Hinweis. Auch Fasnächtlerinnen können ab einem gewissen Alkoholpegel auch gegenüber dem männlichen Geschlecht durchaus sehr aufdringlich werden und die Hände an Orten haben wo sie nicht hingehören. Schon diverse Male selber erlebt!

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  • Profilfoto von Jean
    Jean, 15.02.2023, 09:51 Uhr

    Eine Kampagne schadet niemandem. Sexuelle Belästigung ist auch besoffen an der Fasnacht ein No-Go.

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    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 15.02.2023, 14:39 Uhr

      Finde ich auch. Deswegen versuche ich auch, meine sexuelle Orientierung weder in Kleidung noch Verhalten zu Markte zu tragen. Mein Bekenntnis zur Klismaphilie hat mich viel Mut gekostet und ist äusserlich ansonsten nicht sichtbar.

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      • Profilfoto von Jean
        Jean, 15.02.2023, 17:51 Uhr

        Keine Angst Herr Bitterli, sie dürfen auch Ihre sexuellen Vorlieben (Achtung: Es handelt sich dabei nicht um eine Orientierung) anderen mitteilen. Das hat mit dem im Artikel erwähnten Problem nichts zu tun.

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  • Profilfoto von Christian Scherrer
    Christian Scherrer, 15.02.2023, 09:27 Uhr

    Das soziale Miteinander innerhalb der Guuggenmusigen ist ein Abbild der Gesellschaft. Zugegeben gibt es Guuggenmusigen, in welchem das soziale Verhalten der Mitglieder auf einem hohen Niveau ist. Man feiert nicht nur, sondern gibt aufeinander acht, hilft einander. Das ist gut. Dennoch sind Fasnacht, Guuggenmusigen, Zünfte und Gesellschaften ein Abbild der Gesellschaft. Zudem ist die «Lozärner Fasnacht» eine der grössten Netzwerk-Plattformen. Man trifft sich auch ausserhalb der Fasnacht – sei es im Privaten, wie auch bei geschäftlichen Veranstaltungen etc.!
    Niemand organisiert die «Lozärner Fasnacht», denn diese bricht einfach aus. Die Fasnächtler sind somit per se verantwortlich, so wie sie dies im normalen Alltag auch sind. Natürlich findet sexuelle Belästigung an der Fasnacht massenweise statt. Da wird schon mal einer Dame an den «Arsch» gefasst, ein Küsschen da, die andere Hand mal dort. Blauäugig wer meint, dass alles gesittet zu und her geht.
    Sexuelle Belästigung ist ein Problem der gesamten Gesellschaft. Die «Lozärner Fasnacht», welche mehr und mehr zu einer Ballermann-Gedächtnisveranstaltung verkommt, deren Abbild.

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  • Profilfoto von Gruesse vom Einhorn Schlachthaus
    Gruesse vom Einhorn Schlachthaus, 15.02.2023, 07:15 Uhr

    Die Juso und ebenso ihre Mutterpartei zielen auf alles ab, was irgendwie geartet mit angestammter Kultur, Identität, Orientierung oder Tradition in Verbindung steht. Das ist deren Plan, die bestehenden Verhältnisse verflüssigen zu wollen, um dann neue Verhältnisse nach ihren ideologischen Vorstellungen etablieren zu können. Dieses Vorgehen ist nun wirklich nicht neu und wird seit über einem Jahrhundert so durch die Sozialisten in aller Welt mehr oder weniger offensiv angewandt. Hier wird «sexuelle Belästigung» geframed. In diesem Zusammenhang möchte ich unseren Jungsozialisten den Film «Das Leben der Anderen» wärmstens ans Herz legen. Dort lässt sich wunderbar beobachten, wie sexuelle Belästigung dann im sozialistischen Arbeiterparadies vonstatten geht.

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    • Profilfoto von S. T.
      S. T., 15.02.2023, 08:30 Uhr

      Sexuelle Belästigung ist geartet und Teil unserer Kultur & Tradition? so weit kommts noch…..
      aber klar. An den rüüdigen Tagen darf der gemeine Fasnächtler doch no bitzli töple. aber halloo?

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 15.02.2023, 06:49 Uhr

    Ich fordere vom Stadtrat eine Kampagne gegen Belästigung durch die Juso. Aber erst nach den Wahlen. Vorher können sie sich gerne noch etwas ins gesellschaftliche Jenseits fordern.

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    • Profilfoto von Joseph de Mol
      Joseph de Mol, 15.02.2023, 08:05 Uhr

      Ein Wermuth’s-Tropfen bahnt sich an….

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