Bordelle sind wieder offen

Sexarbeiterinnen kämpfen in Luzern um ihre Existenz

Bereits nach dem ersten Lockdown vergangenen März war die Situation für Sexarbeiterinnen prekär. (Bild: Adobe Stock)

Noch 0 Franken auf dem Konto: Viele Sexarbeiterinnen in Luzern sind finanziell am Ende. Das halbjährige Berufsverbot hat sie an den Rand der Existenz gebracht. Und das Geschäft läuft nach wie vor harzig.

Sechs Monate lang war es in den Luzerner Bordellen ruhig. Denn die Regierung ging im Kampf gegen das Coronavirus weiter als der Bund und sprach ein Prostitutionsverbot aus, das ein halbes Jahr dauerte. Seit gut zwei Monaten – seit dem 21. April – dürfen die Sexarbeiterinnen in den Bordellen wieder ihre Dienste anbieten (zentralplus berichtete).

Bereits nach dem ersten Lockdown vergangenen März war die Situation für Sexarbeiterinnen prekär. Bereits damals warteten auf viele Frauen Schuldenberge und Tilgungspläne, als sie die Arbeit wieder aufnehmen konnten. Das sagte die damalige Geschäftsleiterin des Vereins «Lisa» (zentralplus berichtete). Der Verein setzt sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für Sexarbeiterinnen ein – begleitet je länger je mehr auch Transfrauen und Sexarbeiter.

Inzwischen hat sich die Lage für die meisten von ihnen zugespitzt. «Die Situation ist sehr angespannt, denn die Arbeitssituation ist nicht mehr so wie vor Corona», sagt Eliane Burkart, Geschäftsleiterin ad interim des Vereins «Lisa». Viele Sexarbeiterinnen erzählen, dass die Kundschaft fehle. Über die Gründe kann nur spekuliert werden – dass Schutzkonzepte umgesetzt und Personendaten erfasst werden müssen, spiele sicherlich eine Rolle, so Burkart. «Die Sexarbeit ist ja ein anonymes Business.»

Sexarbeitende sind gut vernetzt

Das Rotlichtmilieu erwacht entsprechend nur langsam aus seinem halbjährigen Schlaf. «Es ist generell noch nicht so viel los», sagt Burkart. «Es sind auch noch nicht so viele Sexarbeitende in den Betrieben wie früher.» Im Rahmen der aufsuchenden Arbeit trifft man aber zugleich immer wieder neue Gesichter.

«Die meisten Sexarbeitenden sind im Milieu sehr gut vernetzt», so Burkart. Dass die Kunden momentan in Luzern fehlen würden, spreche sich herum. Deswegen seien viele wohl noch nicht zurückgekehrt.

«Ich sehe Kontoauszüge, auf denen ein Guthaben von null Franken aufgelistet ist, teilweise sogar ein Guthaben von minus fünf Franken.»

Eliane Burkart, Verein «Lisa»

Denn einige von ihnen dürften in andere Kantone gereist sein, wo kein Arbeitsverbot für Sexarbeiterinnen galt. So erlebte beispielsweise Bern einen Ansturm. Anfang des Jahres waren doppelt so viele Frauen für die Sexarbeit gemeldet wie sonst, berichtete «SRF».

«Die Mobilität der Sexarbeitenden ist eine Tatsache, die es bereits früher so gab», sagt Burkart. Sie ist aber überzeugt: «Wenn es in Luzern wieder mehr Arbeit gibt, so wird sich diese Nachricht schnell herumsprechen und es werden auch wieder mehr Sexarbeitende zurückkommen.»

Finanzielle Situation bleibt prekär

Sorgen bereitet ihr vor allem die prekäre finanzielle Situation von Sexarbeitenden. Momentan sei es wohl für fast alle schwierig, über die Runden zu kommen. So warten Schuldenpläne und teilweise auch Betreibungen auf sie. «Ich sehe Kontoauszüge, auf denen ein Guthaben von null Franken aufgelistet ist, teilweise sogar ein Guthaben von minus fünf Franken», so Burkart. «Das alles wirkt sehr surreal – ist aber leider Tatsache.»

Wie Burkart sagt, hätten zwar einige Sexarbeitende Erwerbsersatz bekommen – im Schnitt rund 1'500 bis 2'000 Franken. «Das reicht aber bei weitem nicht, alle Kosten wie Miete und Krankenkassenprämien zu decken.» Bereits letztes Jahr hat der Verein «Lisa» einen Nothilfefonds für Sexarbeitende errichtet, um sie in dieser prekären Situation zu unterstützen. Mit diesem Fonds konnten bis diesen Juni die Krankenkassenprämien bezahlt werden. «Aber auch das ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein.»

Eliane Burkart, Geschäftsleiterin ad interim des Vereins «Lisa».

Bordell-Betreiberin hat Mietschulden in Höhe von 30'000 Franken

Auch für Bordell-Betreiberinnen ist die Lage prekär. Eliane Burkart erzählt von einer Frau, die Sexarbeiterin ist und einen Betrieb führt, für den sie eine Wohnung gemietet hat. Bei ihr arbeiten Sexarbeiterinnen, die im sogenannten Meldeverfahren sind. Das heisst, die Frauen dürfen sich für 90 Tage in der Schweiz aufhalten und hier arbeiten. «Die Frau hat wegen des Arbeitsverbots sechs Monate lang keine Einnahmen erhalten – muss aber die Miete weiterhin zahlen. Sie hat wegen des Arbeitsverbots über 30'000 Franken Mietschulden. Wie sie die begleichen will? Wir wissen es nicht.»

Der Verein hilft und unterstützt, wo er kann. Im Fall der besagten Bordell-Betreiberin versucht «Lisa» beispielsweise, Ratenzahlungen auszuhandeln und mit Vermietern und anderen Gläubigern zu verhandeln.

Ausländische Sexarbeitende erhalten keine Covid-Entschädigung

Auch das Bundesgericht hat sich kürzlich mit der finanziellen Situation von Sexarbeitenden auseinandergesetzt. Im konkreten Fall beantragte ein Thurgauer Bordellbetreiber für 30 seiner ausländischen Sexarbeiterinnen Kurzarbeitsentschädigung. Das Bundesgericht hält im Urteil fest, dass für ausländische Sexarbeiterinnen, die in einem Club tätig und im Meldeverfahren registriert sind, kein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung besteht.

«Dass Sexarbeitende Kämpferinnen sind, merken wir jetzt natürlich besonders.»

Eliane Burkart

Dies, weil zwischen dem Sex-Club und den Sexarbeiterinnen kein wirklicher Arbeitsvertrag bestehe. Sexarbeiterinnen würden frei entscheiden, wo, wie und wie lange sie arbeiten, so das Bundesgericht. Zudem erachtet es die Tätigkeit als Sexarbeiterin als eine Arbeitsleistung, «die quasi auf Abruf des Kunden» erbracht wird. Bei Arbeitnehmerinnen auf Abruf müssten diese mindestens sechs Monate im Unternehmen arbeiten, damit Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung bestehe. Ausserdem sei Sinn und Zweck der hier massgeblichen Verordnung nicht die Deckung von Umsatzeinbussen eines Betriebs, sondern der Erhalt von Arbeitsplätzen. Weil die Kunden und nicht der Sex-Club die Sexarbeiterinnen bezahle, käme die Kurzarbeitsentschädigung allein dem Club zugute, was nicht das Ziel der Verordnung sei. 

Eliane Burkart vom Verein «Lisa» sind keine solchen Fälle bekannt. «Das heisst aber nicht, dass es sie nicht gibt.» Zudem pflegt der Verein viel mehr den Austausch und Kontakt mit den Sexarbeitenden selber als mit den Bordell-Betreibenden.

Der Kampfgeist bleibt

Zumindest eine gute Neuigkeit gibt es: So konnte der Verein «Lisa» vergangene Woche eine erste Impfaktion lancieren, bei der 18 Sexarbeitende die erste Corona-Impfung erhielten (zentralplus berichtete).

Oft bewundern Menschen, die im Rotlichtmilieu tätig sind, den Lebensmut der Sexarbeitenden. So auch Birgitte Snefstrup, die 16 Jahre für Sexarbeiterinnen gekämpft und den Verein «Lisa» mitgegründet hat. Kürzlich ist sie in Pension gegangen (zentralplus berichtete).

«Dass Sexarbeitende Kämpferinnen sind, merken wir jetzt natürlich besonders», sagt auch Eliane Burkart. «Sie sind an ihren Grenzen – und doch machen sie weiter.» Aufgeben ist keine Option, die meisten Sexarbeitenden hätten keine anderen Perspektiven. «Beeindruckend finde ich, dass wir trotz der Angespanntheit immer wieder Zuversicht und Positivität von den Sexarbeitenden spüren.» Flattert beispielsweise eine neue Rechnung ins Haus und sie wissen eigentlich überhaupt nicht, mit welchem Geld sie nun auch noch diese bezahlen können, so sagen sie: Die nehmen wir auch noch.

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