Sein «DNMT» prangte vielerorts in Luzern

Schwacher Gutachter: Sprayer kommt glimpflich davon

Drei Jugendliche haben am frühen  Samstagmorgen mehrere Gebäude an der Bahnhofstrasse in Luzern versprayt.

(Bild: Symbolbild: Emanuel Ammon/AURA)

Bahnwaggons, Brückenpfeiler, Hausfassaden: Kaum eine Fläche blieb vor dem Schriftzug «DNMT» verschont, der Sachschaden ging in die Hunderttausende. Nun wurde der vermeintliche Urheber aus dem Kanton Luzern vor Gericht weitgehend freigesprochen. Grund: gravierende Mängel im Bericht des Gerichtsgutachters.

Für die einen ist es Kunst, für die anderen sind es schlicht Schmierereien. Ob Bahnwagen, Betonpfeiler oder normale Hausfassaden: Kaum eine Fläche ist vor Sprayern sicher.

In den Jahren 2010 und 2011 soll unter anderem auch in Luzern und Zug ein Sprayer im grossen Stil sein Unwesen getrieben haben. Dies geht aus einem Urteil des Luzerner Kriminalgerichts hervor, das am Mittwoch veröffentlicht wurde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

In der ganzen Deutschschweiz gesprayt

Konkret wird der Luzerner Sprayer von der Staatsanwaltschaft für 26 Motive in der ganzen Deutschschweiz verantwortlich gemacht. Von Bern über Winterthur bis nach Ziegelbrücke im Kanton Glarus soll er sein Unwesen getrieben haben. Bei einigen Taten soll der Sprayer von seinem Bruder begleitet und unterstützt worden sein.

Der Löwenanteil der angebrachten Graffiti fand sich auf Eisenbahnwaggons. Aber auch Mauern privater Gebäude und Pfeiler von Brücken blieben nicht verschont. Viermal soll er im Kanton Zug zur Spraydose gegriffen haben, zehnmal im Luzernischen. Der Sprayer wurde am 6. November 2011 verhaftet, als er in Rothenburg ein Graffito an der Fassade einer privaten Liegenschaft anbringen wollte.

Immer ähnliche Motive

Dass die Staatsanwaltschaft dem Sprayer vorwirft, für die Dutzenden von Sprayereien verantwortlich zu sein, liegt daran, dass sie sich auf Graffiti bezieht, welche oft das gleiche oder zumindest ähnliche Motive zeigen.

So soll gemäss der Luzerner Staatsanwaltschaft der heute 35-jährige Betriebsökonom aus Luzern hinter zahlreichen Graffiti mit den Schriftzügen «DNMT» oder «DYNAMITES» stecken. Dass er für alle Sprayereien dieser Art verantwortlich ist, bestritt der Angeklagte vor Gericht jedoch vehement.

Sprayer gestand einige Taten

Von den 26 ihm vorgeworfenen Sachbeschädigungen durch Graffiti gestand der Angeklagte deren sechs. Unter anderem gab er zu, dass er für den Schriftzug «DNMTS» auf fünf Pfeilern der Autobahnbrücke bei Emmenbrücke und das Graffito «DNMT» auf einem Autobahnbrückenpfeiler in Sempach verantwortlich ist.

Hinzu kommt der gleiche Schriftzug an der Luzernerstrasse in Root sowie an der Baselstrasse in Dagmersellen.

Verteidiger gegen Einbezug des Experten

Eine wichtige Rolle im Prozess spielte der beigezogene Experte für illegale Sprayereien und Graffiti. Gerichte und Staatsanwaltschaft müssen gemäss der Strafprozessordnung eine oder mehrere sachverständige Personen beiziehen, wenn sie selber nicht über die erforderlichen Kenntnisse für die Beurteilung eines Sachverhalts verfügen.

Im vorliegenden Fall fehlte dem Strafgericht das fachliche Wissen, um beurteilen zu können, ob die Sprayereien dem Beschuldigten zuzuordnen sind. Als Sachverständiger wurde ein Angestellter der Stadtpolizei Winterthur eingesetzt, der seit 1998 als Graffiti-Sachbearbeiter im Einsatz steht.

«Die Schlussfolgerungen des Gutachters sind teilweise nicht nachvollziehbar.»

Strafgericht Luzern

Der Pflichtverteidiger des Sprayers opponierte von Beginn weg gegen den Einbezug des Experten. Der involvierte Sachverständige verfüge nicht über das nötige Fachwissen, um als Gutachter aufzutreten, monierte er.

Diesem Einwand wurde vom Gericht nicht stattgegeben, mit der Begründung, dass der Experte bereits über 1’600 Rapporte zu Graffiti verfasst habe und deshalb einen grossen und jahrelangen Erfahrungsreichtum mitbringe. Zudem würde er auch von anderen Gerichten eingesetzt.

Auch Gericht hatte Zweifel

Auch wenn das Kriminalgericht das Fachwissen des Gutachters als adäquat einschätzte, äusserte es bereits zu Beginn des Prozesses einige Zweifel. Denn nach dem Studium des Gutachtens sei nicht ersichtlich, dass der Experte über grafologische Fachkenntnisse verfügen würde. Dies gelte es bei der Würdigung des Berichtes zu berücksichtigen – wie sich zeigen sollte, mit erfreulichen Folgen für den Beschuldigten.

Zu diesen Unzulänglichkeiten gesellen sich im Gutachten des Experten gravierende inhaltliche und argumentative Mängel. «Die Schlussfolgerungen des Gutachters sind teilweise nicht nachvollziehbar», schreibt das Gericht im Urteil. Die Schuldzuweisungen des Experten seien oft unzureichend begründet.

Gutachten nicht wasserdicht

Das Geständnis von sechst Taten führte zwar zu einer Verurteilung des Sprayers, hatte für den weiteren Verlauf des Prozesses aber durchwegs negative Folgen für die klagenden Parteien. Denn das Gutachten stütze sich bei der Zuordnung der Graffiti auf den Style eines einzigen Motives, welches vom Täter gestanden wurde.

Im Kern des Berichts stellte der Experte im Folgenden darauf ab, dass alle «DNMT»-Graffiti, bei denen das «D» wie beim gestandenen Motiv gerade gesprayt wurde, dem Beschuldigten zuzuordnen seien. Dessen Bruder, der bei einigen Aktionen ebenfalls beteiligt gewesen sein soll, spraye den Buchstaben hingegen jeweils leicht schräg, weshalb er nicht infrage komme.

«Ein ähnlicher Style bedeutet noch lange nicht, dass zwingend immer der gleiche Sprayer am Werk ist.»

Der verurteilte Sprayer

Dem Kriminalgericht genügte diese Argumentation aufgrund diverser Ausführungen des Beschuldigten aber nicht. Der Angeklagte gab zu Protokoll, dass er das «D» nicht a priori gerade spraye, wie dies das Gutachten suggeriere. Denn er würde für dasselbe Motiv oft unterschiedliche Styles verwenden. Aufgrund der Urheberschaft einer gestandenen Sprayerei auf alle anderen Graffiti mit geradem «D»  zu schliessen, wie dies das Gutachten tue, greife folglich zu kurz, kam auch das Gericht folglich zum Schluss.

Aber auch ein ähnlicher Style bedeute noch lange nicht, dass zwingend immer der gleiche Sprayer am Werk gewesen sein muss, so das Gericht. Hinter den Graffiti könnten demnach verschiedene Sprayer stecken. Das Gutachten gebe darüber keine schlüssige Auskunft. Aufgrund des fehlenden Fachwissens konnte das Kriminalgericht diesen Punkt nicht weiter überprüfen.

Graffiti, die ähnlich oder sogar identisch mit einer der gestandenen Sprayereien sind, könnten allenfalls von einer ganzen Crew oder von Nachahmern gesprayt worden sein, so das Kriminalgericht. Die Folge: «in dubio pro reo», im Zweifel für den Angeklagten.

Eine Tat bereits verjährt …

Für fünf der sechs gestandenen Taten wurde der Sprayer nun verurteilt. Eine der gestandenen Taten ist im Mai des letzten Jahres verjährt. Das Kriminalgericht auferlegte dem Sprayer für die zugegebenen Sprayerein eine Strafe von 100 Tagessätzen à 210 Franken, insgesamt also 21’000 Franken. Angerechnet werden ihm dabei 45 Tage Untersuchungshaft.

Die Strafe ist innert zwei Jahren bedingt zu vollziehen. Der Sprayer erzielt laut eigenen Angaben bei seiner Stelle als Key Account Manager momentan ein Einkommen von monatlich gut 9’000 Franken netto. Für ihn seien die Graffiti kein Verbrechen, sondern Kunst, die für ihn im Leben wichtig sei, so der Sprayer abschliessend.

Bei den übrigen 19 Taten wurde er wegen fehlender stichhaltiger Beweise freigesprochen. Aufgrund der zahlreichen Freisprüche muss der Täter folglich auch nur zehn Prozent der Verfahrenskosten berappen. 90 Prozent gehen zulasten des Steuerzahlers. 

Zur Geldstrafe kommt eine Zivilforderung in der Höhe von 400 Franken hinzu. Diese hat der Sprayer anerkannt. Für die Festsetzung der übrigen privaten Forderungen, die der Sprayer zwar im Grundsatz durch seine Geständnisse anerkennt, jedoch in deren Höhe bestreitet, müssen sich die Geschädigten an den Zivilrichter wenden. Gesamthaft entstand ein Sachschaden von knapp 123’000 Franken.

… die anderen folgen demnächst

Die Verjährungsfrist für Sachbeschädigungen beträgt momentan zehn Jahre. Zum Zeitpunkt der Festnahme des Sprayers im November 2011 betrug sie indes nur sieben Jahre, weshalb diese Frist im Urteil zur Anwendung kommt. Die neue Bestimmung ist erst seit 2014 in Kraft.

Im Verlaufe des Jahres 2018 werden folglich sämtliche dem Sprayer vorgeworfene Taten verjähren. Deshalb ist es nicht möglich, das Verfahren auf Basis eines anderen Gutachtens nochmals neu aufzunehmen.

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