Unser Urbedürfnis nach Schönheit

Schönheits-OPs werden in der Zentralschweiz beliebter – was Corona damit zu tun hat

Die Anzahl an Schönheitsoperationen hat im letzten Jahr auch in der Zentralschweiz zugenommen. (Bild: Unsplash / Sam Moqadam)

In der Zentralschweiz ist im letzten Jahr eine Zunahme von Schönheitsoperationen verzeichnet worden. Wie kommts? Und warum ist Schönheit für den Menschen so wichtig? Wir haben einen Chirurgen und eine Philosophin dazu befragt.

Das Jahr 2020 war für die meisten Menschen kein besonders schönes. Überschattet von der Pandemie mussten wir einige Freiheiten hergeben, die wir bis anhin für selbstverständlich gehalten hatten. Das Leben fand vermehrt in den eigenen vier Wänden statt, dem einen oder anderen schien die ungewohnte Situation einen Spiegel – respektive das eigene Antlitz via Zoom – vor Augen zu halten. Wortwörtlich.

Denn Corona, das zeigen Zahlen aus den Schönheitskliniken, ist ein idealer Grund, sich «etwas machen zu lassen». Sprich, sich unters Messer zu legen, um das Äussere zu optimieren. Diese Tendenz ist auch in der Zentralschweiz erkennbar.

Mehr Zeit, in den Spiegel zu gucken

«Auf jeden Fall», antwortet die Telefonistin einer Zuger Praxis für plastische Chirurgie auf unsere Frage, ob sie 2020 eine Zunahme an Kunden gespürt habe. Gründe dafür kann sie nicht konkret benennen, aber: «Es kann schon sein, dass sich die Menschen im letzten Jahr mehr mit sich selber beschäftigen mussten und dadurch auch der Wunsch wuchs, etwas an ihrem Äusseren zu verändern.»

Ihren Namen möchte sie nicht in den Medien lesen, ebensowenig den Namen ihrer Praxis. Kein Einzelfall. Die meisten Kliniken für plastische Chirurgie reagieren erst gar nicht auf die Anfrage.

Feriengeld wird in Brüste investiert

Mit Ausnahme der Lucerne Clinic. «Tatsächlich können wir die Tendenz bestätigen, dass die Nachfrage nach Schönheitsoperationen im letzten Jahr zugenommen hat», sagt Jürg Häcki. Gründe nennt der Facharzt für Plastische Chirurgie verschiedene. «Aktuell ist es beispielsweise nicht mehr möglich, Operationen im Ausland durchführen zu lassen. Ausserdem kann es sein, dass die Leute aufgrund von ausgefallenen Ferien respektive Freizeitaktivitäten Geld sparen.»

«Eingriffe können im Moment unter der Maske gut ‹kaschiert› werden.»

Jürg Häcki, Facharzt für Plastische Chirurgie

Ein weiterer, nicht unwichtiger Grund: «Eingriffe können im Moment unter der Maske gut ‹kaschiert› werden», sagt Häcki. «Ausserdem kann man im Homeoffice besser kurieren nach einer Operation.»

Jürg Häcki von der Lucerne Clinic. (Bild: zvg)

Insbesondere zugenommen habe im letzten Jahr die Nachfrage nach Brustvergrösserungen sowie nach Eingriffen im Gesicht. Konkret: Augenoberlid- respektive Lidstraffungen sowie Face-Liftings.

«Auch bei anderen Behandlungen, wie beispielsweise Tattoo-Entfernung durch Laser, verzeichnen wir eine wachsende Nachfrage», so Häcki. «Weiter sind gesichtsverjüngende Behandlungen durch Laser sehr gefragt, zudem natürlich auch Botox-, respektive Filler-Behandlungen.»

Frau Schmalzried, warum wollen wir schön sein?

Lisa Schmalzried ist Privatdozentin am philosophischen Seminar der Universität Luzern. Ihr langjähriges Forschungsgebiet: die menschliche Schönheit. Wir fragen sie um Rat. Denn wir wollen wissen, woher dieses starke Bedürfnis vieler Menschen kommt, schön sein zu wollen.

«Ich glaube, dass Schönsein als Glücksversprechen wahrgenommen wird. Wir glauben, dass man es leichter hat im Leben, wenn man schön ist», sagt Schmalzried. Und stimmt es auch? «Tatsächlich gibt es Studien, welche die Vorteile von Schönheit erforscht haben und zum Schluss gekommen sind, dass es tatsächlich gewisse Vorteile gibt. So findet man leichter einen Partner, bekommt eher einen Job oder wird eher befördert, wenn man schön ist.»

«Sehr wenige Menschen sind wirklich schön.»

Lisa Schmalzried, Philosophin

Das klingt furchtbar ungerecht und macht verständlich, warum sich die Menschen freiwillig unters Messer legen, um besser auszusehen. «Ja, das ist unfair. Doch auch gar nicht so schlimm. Sehr wenige Menschen sind wirklich schön. Die meisten sind weder sonderlich gut noch sonderlich schlecht aussehend, sondern sehen einfach ‹normal› aus.» Sie ergänzt: «Neben den physischen Eigenschaften gibt es weitere Faktoren, die einen Mensch schön machen können und das gesamte Erscheinungsbild letztlich ausmachen.»

Lisa Schmalzried forschte zum Thema Schönheit. (Foto: jav)

Mimik und Co. sind genau so wichtig wie die Ästhetik

Die da wären? «Gestik, Mimik, Gangbild und Gesichtsausdruck sind Dinge, die eine zentrale Rolle spielen. Diese expressiven Eigenschaften scheinen den Charakter einer Person nach aussen hin sichtbar zu machen.»

Aus diesem Grund sieht Schmalzried die Verwendung von Botox als potenziell problematisch. «Wenn es schlecht gespritzt wird, kann es passieren, dass die Ausdrucksfähigkeit des Gesichts wegfällt. Möchte man mit der Person interagieren, ist man irritiert und hat das Gefühl, etwas stimme nicht mit ihr. Die expressive Seite der Schönheit kann also mit solchen Schönheitseingriffen gefährdet werden.»

«Es kann sein, dass das Aussehen durch die ganze Unsicherheit wichtiger geworden ist.»

Lisa Schmalzried, Philosophin

Hat die Philosophin eine Erklärung dafür, warum gerade seit Corona mehr Schönheitsoperationen durchgeführt werden? «Abgesehen davon, dass man sein Gesicht nach einer Operation besser verstecken kann dieser Tage, habe ich ein paar Hypothesen», sagt sie. «Es gibt ja die Aussage, dass die Röcke der Frauen in wirtschaftlich unsicheren Zeiten kürzer werden. Es kann durchaus sein, dass das Aussehen für gewisse Leute durch die ganze Unsicherheit wichtiger geworden ist.»

Die überrepräsentierte Schönheit auf Netflix

Als weiteren möglichen Faktor nennt Schmalzried Netflix, Instagram und Co. «Weil man sonst nichts tun kann, verbringen die Menschen mehr Zeit vor dem Fernseher und in den sozialen Medien. Dort sind schöne Menschen klar überrepräsentiert. Auch das könnte einen Effekt haben.»

«Ohne schöne Dinge wäre die Welt nicht besser.»

Lisa Schmalzried, Philosophin

Die Tendenz zur Selbstoptimierung, zu Fitnesswahn und zu Schönheitsoperationen vermittelt das Gefühl, dass dem Thema Schönheit in der Gesellschaft ein viel zu grosser Stellenwert eingeräumt wird. Das sieht die Philosophin erfrischend anders: «Zur Verteidigung: Schönheit ist etwas Schönes. Schöne Dinge, nicht nur Menschen, auch Objekte oder die Betrachtung des Vierwaldstättersees, sind etwas Wertvolles. Wir sind fasziniert von schönen Dingen, sie tun uns gut. Ohne sie wäre die Welt nicht besser.»

Das Urbedürfnis, schön zu sein

Auch der Wunsch des Menschen, selber schön zu sein, sei etwas sehr Natürliches, gar ein Urbedürfnis. Es folgt ein grosses Aber: «Der Druck ist zu gross. Es gibt sehr viele Menschen, die stark darunter leiden, dass sie keinen ‹perfekten› Körper haben. Das ist ein Problem.» Lisa Schmalzried wünscht sich daher ein stärkeres Bewusstsein dafür, «dass nicht einmal die Models, die fotografiert werden, so gut aussehen, wie sie es später auf den Fotos tun. Schlicht, weil die Bilder in der Regel nachträglich bearbeitet werden».

Und weiter: «Man kann nicht verleugnen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der nicht nur die inneren Werte zählen. Doch bräuchte es andere Narrative.» Die Gesellschaft müsste ihrer Ansicht nach merken, dass es nicht schlimm sei, wenn man nicht dem gängigen Schönheitsideal entspreche. «Es gibt nicht nur Kleidergrösse 34, sondern auch 44. Beides darf sexy sein und kann schön sein.»

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