Sie hätte fast Zehntausende Franken verloren

Schockanruf: Eine betroffene Luzernerin erzählt

Vorsicht! Immer mehr ältere Menschen werden abgezockt. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Eine Luzerner Seniorin wurde fast um mehrere Zehntausend Franken betrogen. Sie schildert, wie dreist die Betrügerbande dabei vorgegangen ist. Ein Phänomen, das in Luzern längst kein Einzelfall mehr ist.

675 Millionen Franken jährlich: Um so viel Geld werden Schweizer Seniorinnen jährlich betrogen. Vier von fünf aller über 55-Jährigen wurden in den vergangenen Jahren mit einem Betrugsversuch konfrontiert. Sei es, weil sie bestohlen oder ihnen nutzlose Dinge angedreht wurden – zu einem überhöhten Preis. Das zeigt die neueste Studie von Pro Senectute Schweiz.

Eine weitere, besonders aggressive Masche sind sogenannte Schockanrufe. Dabei erhalten Senioren einen Anruf von einer ihnen unbekannten Person. Diese erzählt ihnen, dass ein Familienmitglied in einer schweren Notlage oder in grosser Gefahr sei. Diese könne abgewandt werden, wenn so schnell wie möglich ein grosser Geldbeitrag an einen Boten übergeben werde.

Wie die Schweizerische Kriminalprävention kürzlich mitteilte, nähmen Telefonbetrug und insbesondere Schockanrufe schweizweit zu. Im laufenden Jahr wurden mehr als 2800 Schockanrufe oder Enkeltrickbetrüge registriert. Betrüger haben damit dieses Jahr bereits rund acht Millionen Franken erbeutet.

Wie dreist mit Emotionen gespielt wird

Auch eine Luzerner Seniorin ist um ein Haar auf eine Gaunerbande reingefallen. Und ihr Erlebnis zeigt, wie dreist die Betrügerinnen dabei vorgegangen sind. Sie hat ihre Erfahrungen verschriftlicht und den Erlebnisbericht Pro Senectute zur Verfügung gestellt. Auch zentralplus erzählt sie von ihren Erfahrungen, um andere zu warnen. Dass es sie treffen könne, hätte sie nämlich selbst nicht gedacht.

Es ist der 20. September 2022. Rosemarie Meier, die eigentlich anders heisst, sitzt an ihrem PC. Um circa 14.30 Uhr klingelt ihr Telefon. Am anderen Ende ist eine Frau, die Deutsch mit osteuropäischem Akzent spricht. Die heute 79-Jährige kennt sie nicht. Doch was sie zu erzählen hat, lässt sie nicht kalt. Ihrer Tochter sei etwas Schweres zugestossen: ein Autounfall, sie habe einem anderen den Rechtsvortritt verweigert. Der unschuldige Autofahrer sei schwer verletzt, er könnte gar sterben.

Die Frau am anderen Ende des Telefons erklärt, dass die Tochter von Meier mit schweren Folgen rechnen müsse. Und dann ist noch ein Porsche im Spiel. Die Tochter müsse für den Schaden des Autos des verunfallten Mannes aufkommen.

Das Problem: Die Tochter habe die Haftpflichtprämie nicht bezahlt, die Versicherung könne den Schaden nur übernehmen, wenn vorgängig eine beträchtliche Summe bezahlt werde. Rund 60’000 Franken müssten her. Am besten noch heute. Ansonsten müsse die Tochter auf Anweisung des Staatsanwalts für zwei Wochen in Untersuchungshaft.

Schock und Skepsis

Bei Rosemarie Meier löst das vor allem eines aus: Schock. «Ich war sehr besorgt um meine Tochter und das Schicksal, das ihr scheinbar zugestossen ist. Und die schwere Last, die auf ihr läge, falls der Mann wirklich sterben würde. Hinzu kommt das Finanzielle, weil sie nicht Zehntausende von Franken auf der Seite hat.»

«Ich will meiner Tochter helfen. Ich war wie im Bann, wollte sofort handeln und die Frist nicht vergehen lassen.»

Rosemarie Meier

Fragen über Fragen. Und obwohl Details stimmen – Meiers Tochter, eigentlich Velofahrerin, hat beispielsweise kurz vorher gesagt, dass sie ein Auto ausleihen wolle –, ist Meier skeptisch. Sie will mit ihrer Tochter sprechen. Die Frau mit osteuropäischem Akzent holte diese denn auch ans Telefon. «Dann höre ich ein herzzerreissendes Schluchzen», erzählt Meier. Mehr als dieses Schluchzen hört sie allerdings nicht. Für sie ist klar, sie will ihre Tochter aus diesem Schlamassel holen. «Ich will meiner Tochter helfen. Ich war wie im Bann, wollte sofort handeln und die Frist nicht vergehen lassen.»

Dezidiert sagt sie der Frau am Telefon: Bevor sie irgendwelche Mittel in die Hand nehme, wolle sie noch einmal mit der Tochter sprechen. Zudem schlägt sie vor, dass sie sofort auf den Polizeiposten gehen könne, um vor Ort die Sache zu besprechen. Die Dame weicht aus, sie könne aber die Tochter rufen. «Als ich meine Tochter wiederum nur schluchzen höre, versichere ich ihr, dass ich ihr helfen werde.»

Bei der CS in Luzern erkennt man den Betrug sofort

Meier hängt den Telefonhörer auf. Sofort folgt ein Rückruf. Dieselbe Frauenstimme sagt ihr, der Kontakt müsse immer aufrechterhalten werden.

Die Seniorin macht sich auf den Weg zur Hauptpost an der Zürichstrasse, wo sie ein Konto hat. Mit der Frau bleibt sie weiterhin am Telefon. Diese warnt sie: 20’000 Franken, die Meier in Aussicht stelle, würden nicht reichen. Meier verlangt den Staatsanwalt ans Telefon. Nun meldet sich ein Mann namens Gloor. Dieser spricht plötzlich von 124’000 Franken, die nötig seien. Sie gibt ihm zu verstehen, dass sie ihren Sohn, der in Luzern als Anwalt tätig sei, kontaktieren wolle, damit er weiterhelfen könne. Sachlich und ruhig erwähnt der vermeintliche Staatsanwalt, dass dieser bereits vor Ort sei, aber frühestens morgen Geld beschaffen könne.

Also eilt Rosemarie zur CS, wo sie ebenfalls ein Bankkonto hat. «Ich schildere leicht verschlüsselt meine Not und erwähne, dass ich von dem mir allein zustehenden Konto 30’000 Franken abheben möchte. Ich erwähne auch, dass ich mit meinem in der Tasche liegenden Smartphone online sei mit dem verantwortlichen ‹Staatsanwalt›.»

Die Bankberaterin verlässt das Zimmer. Nach längerer Zeit kehrt sie mit ihrem Vorgesetzten und einem Couvert zurück, auf dem steht: «Betrug – bleiben Sie ruhig!»

«Nie gedacht», dass sie selbst auf einen Betrug reinfallen könnte

«Es fiel mir wie Schuppen von den Augen», erzählt Meier rückblickend. Schliesslich schaltet sich der Sicherheitsbeauftragte des Hauses ein, er will das Gespräch mit den Betrügern mithören. Daraufhin unterbrechen diese sofort die Telefonleitung.

Dass sie um ein Haar auf eine solche Betrugsmasche reingefallen wäre, hätte die Luzernerin nicht gedacht. Sogenannte Enkeltrickbetrügerinnen, die ihren Opfern eine Verwandtschaft vorgaukeln und aufgrund eines Notfalls oder einer schweren Krankheit auf Geld angewiesen seien, kannte sie. «Eine solche Geschichte hätte mir nie jemand andrehen können, darauf wäre ich nicht reingefallen.»

«Viele können sich nicht vorstellen, in welch psychische Verfassung man bei einem solchen Schockanruf versetzt wird.»

Rosemarie Meier

Doch die Betrugsmasche, mit der Rosemarie Meier konfrontiert wurde, die sogenannten Schockanrufe, bei der eine Tochter vermeintlich in einen Unfall verwickelt wurde, ist eher neu. So berichtete der «Tages-Anzeiger» am 2. Februar dieses Jahres, dass die Schockanrufe die Enkeltrickbetrüger ablösen würden. Oft handle es sich dabei um falsche Polizistinnen. Meiers Vorfall war vor einem Jahr – damals las man in den Zeitungen noch nichts von dieser Masche. Monate später berichten Medien jedoch immer wieder von solchen Fällen. «Dass Menschen auch jetzt noch mit demselben Szenario übers Ohr gehauen werden, erstaunt mich.»

Telefonbetrüger kennen Details

Rosemarie Meier trafen auch die Reaktionen anderer Menschen, als sie von dem Vorfall erzählte. Viele meinten: «Das hättest du doch gleich merken sollen.» Wieso hat sie nicht einfach der Tochter angerufen? Oder die Frau am Telefon nach dem Geburtsdatum der Tochter gefragt? Doch bei ihr hätten viele Details zugetroffen. Zusätzlich trickreich sei auch die dreiste Behauptung des «Staatsanwaltes» gewesen, ihr Sohn, der Anwalt, sei hier, aber er könne im Moment nicht weiterhelfen.

«Zudem können sich viele nicht vorstellen, in welch psychische Verfassung man bei einem solchen Schockanruf versetzt wird», so die Luzernerin. «Klar hat das logische Denken auch ausgesetzt: Ich dachte nur noch daran, wo ich Bankkonten habe, wo die Bankkarten sind, welche Brillantringe ich noch als Pfand nehmen könnte … Ich hirnte nur noch rum. Die Frage, wie weit ich gehen würde, belastete mich zusätzlich enorm.»

«Die Luzerner Polizei bekommt täglich Meldungen von Personen, welche von mutmasslichen Telefonbetrügern kontaktiert wurden.»

Urs Wigger, Luzerner Polizei

Meier ist seither noch hellhöriger, prüft den Absender einer Mail beispielsweise immer genau und klickt schon gar nicht auf irgendwelche Links, die ihr unbekannte Absender zuschicken. «Doch ganz gefeit vor einem Betrug ist vermutlich niemand.»

Die Luzerner Polizei warnt: Das musst du tun

Die Telefonbetrüger – oder die falschen Polizisten – halten auch die Luzerner Polizei auf Trab. Erst am vergangenen Freitag hat sie einen 18-Jährigen festgenommen, der sich als Mitarbeiter der Polizei ausgab und seine Opfer aufforderte, das Bargeld sicher bei der Polizei zu deponieren (zentralplus berichtete). Am gleichen Tag wurde ein 26-Jähriger festgenommen, der ebenfalls eine Seniorin dazu gedrängt hat, Bargeld abzuheben und zu übergeben (zentralplus berichtete).

«Die Luzerner Polizei bekommt täglich Meldungen von Personen, welche von mutmasslichen Telefonbetrügern kontaktiert wurden», sagt Mediensprecher Urs Wigger. Dies betrifft aber alle Arten des Telefonbetrugs, also nicht nur Schockanrufe. Wie oft Telefonbetrüger auch erfolgreich sind und ihren Opfern Geld abluchsen können und wie hoch die Deliktsumme in Luzern ist, kann er nicht beziffern. Glücklicherweise seien erfolgreiche Betrugsfälle aber eher selten, verglichen mit der grossen Anzahl der gemeldeten Betrugsversuche.

Die Polizei und die Schweizerische Kriminalprävention (SKP) warnt deswegen: Ein Schockanruf werde dadurch erkannt, dass jeweils eine schockierende Nachricht mit einer Geldforderung verbunden sei: Schock + Geld = Betrug. Der Druck, der dabei aufgebaut werde, sei ein weiteres Indiz.

Wer einen Schockanruf erhält, soll auf keinen Fall auf die Forderung eingehen und das Gespräch sofort beenden. Am besten ruft man dann das angeblich betroffene Familienmitglied an und meldet den Vorfall bei der Polizei.

Verwendete Quellen
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