IT-Debakel: Prozess am Kriminalgericht Luzern

«Sauhäfeli-Saudeckeli» oder vom Regierungsrat erlaubt?

Das Kriminalgericht Luzern. (Bild: ber)

Am Mittwoch musste der frühere IT-Chef des Kantons Luzern vor dem Kriminalgericht erscheinen. Ihm wird vorgeworfen, über Provisionen von Geschäftspartnern mehr als 300’000 Franken in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Der Beschuldigte sagt, diese Verträge seien seinem früheren Arbeitgeber «egal gewesen». Regierungsrat Marcel Schwerzmann habe ihm diese erlaubt.

Vor dem Kriminalgericht sass am Mittwoch ein ehemaliger Chefbeamter (zentralplus berichtete). Der IT-Spezialist versteckte sich nicht vor den Kameras. Der extrovertierte Schweizer mit australischen Wurzeln redete ausserdem viel; der Staatsanwalt sprach despektierlich von «Wischi-Waschi».

Der ehemals beim Kanton angestellte Kadermann bestreitet die Provisionen und Tipp-Verträge nicht. Aber er betrachtet diese offenbar immer noch als eine Art Kavaliersdelikt und ist sich keiner Schuld bewusst, so unser Eindruck. Ermutigt fühlte er sich durch die angebliche Aussage seiner Chefs. Der ehemalige Chefbeamte erklärte, man habe ihm erklärt, dass vorgängige Verträge – vor seinem Stellenantritt im April 2010 – dem Arbeitgeber egal seien. Leider habe er dies aber nicht schriftlich, sonst wäre vieles einfacher.

Nicht das Gefühl gehabt, unrecht zu handeln

Damals habe er bei all den ihm vorgeworfenen Delikten nicht das Gefühl gehabt, unrecht zu handeln, sagte der Beschuldigte vor Gericht. «Heute sehe ich das anders, weil ich hier sitze.» Er schäme sich. Warum er sich denn schäme, wenn er doch nichts getan habe, fragte einer der Richter maliziös.

«Ich habe 8000 Arbeitsgeräte, 140 Mitarbeiter und Dutzende von Projekten betreut.»
Ehemaliger Leiter Dienststelle Informatik

Ein Richter konfrontierte den Beschuldigten mit der Aussage, er habe als Dienststellenleiter keinen Einfluss auf Aufträge gehabt; er zog das offensichtlich in Zweifel. Der Angesprochene erklärte: «Ich habe 8000 Arbeitsgeräte, 140 Mitarbeiter und Dutzende von Projekten betreut. Ich hatte einen globalen strategischen Auftrag.» Der Richter meinte darauf, wenn er an jedem Computer durch eine geheime Provision mitverdiene, habe er natürlich kein Interesse, dritte Anbieter zu berücksichtigen.

Der Beschuldigte meinte, er habe keine nicht bedarfsgerechten und zusätzlichen Anlagen gekauft. «Ich schaute immer, dass das Geld vom Kanton gut eingesetzt wird und dieser eine gute Leistung erhielt.»

Etwas zerstreut gewesen …

Beim Vorwurf der Urkundenfälschung – Dokumente von 2011 wurden laut der Staatsanwaltschaft rückdatiert auf 2008, bevor er Chef war – meinte der IT-Spezialist, er habe «ein Puff in seiner Buchhaltung» und sei «halt etwas zerstreut». Und der Beschuldigte schob die Sache auf eine andere Person.

«Ich hatte zwar keine Ahnung vom Kanton, war aber sehr stolz.»
Ehemaliger Leiter Dienststelle Informatik

Er habe als erfolgreicher IT-Projektleiter Firmen in seinem Namen gegründet, in verschiedenen Ländern, habe nie etwas versteckt. «Ich bin nicht so dumm.»

Verteidiger will Schwerzmann erneut befragenDas Gericht erklärte, das Gesuch von Reids Anwalts um weitere Zeugeneinvernahmen sei abgewiesen worden. Er wollte den Regierungsrat und Luzerner Finanzdirektor Marcel Schwerzmann ein zweites Mal befragen, weil der Verteidigung bei der ersten Befragung zu wenig Zeit eingeräumt worden sei. «Fundamentale Verteidigungsrechte wurden verletzt », sagt Simon Planzer (siehe Video). Da sich die Anklage stark auf den Aussagen Marcel Schwerzmanns abstütze, sei das wichtig. Man habe einen zweiten Termin verlangt, dies sei jedoch abgelehnt worden. Das Gericht erklärte später, die verlangten Zeugeneinvernahmen eventuell doch zu genehmigen und das Beweisverfahren wieder zu öffnen.

Warum er eigentlich zum Kanton gegangen sei, wenn er doch weit weniger verdiente dort, fragte ihn das Gericht. Nach ein paar Bierchen mit Leuten der Luzerner IT habe er sich überreden lassen, meinte dieser. «Ich fand die Leute dort nett.» Man habe ihm erklärt, es hätten sich nur unsympathische Personen für die Stelle des Dienststellenleiters beworben. «Deshalb sollte ich mich nicht offiziell bewerben und wurde trotzdem am Schluss auserkoren.»

Stolz als Dienststellenleiter

«Ich hatte zwar keine Ahnung vom Kanton, war aber sehr stolz. Mein Vater hat 45 Jahre im Staatsdienst gearbeitet. Er würde sich aber wohl im Grab umdrehen, wenn er mich hier sähe.»

Der Beschuldigte erklärte zu seiner persönlichen Situation, er habe momentan keine Stelle und werde von seiner Frau in einem Teilzeitpensum beschäftigt. Er finde wegen des Strafverfahrens seit Jahren keine Arbeit, erklärte er. Auch sein langjähriger ehemaliger Arbeitgeber Swisscom habe abgewinkt. Zu seinem Vermögen meinte der Mann, er sei Teilhaber einer Wohnung in Australien. 300’000 Franken auf einem Bankkonto seien gesperrt worden.

Korruptionsanfälliger Bereich

Der Luzerner Staatsanwalt Georges Frey sagte in einem Plädoyer, der Beschuldigte sei in einem Bereich tätig gewesen, wo der Staat besonders anfällig sei für Korruption. «Nämlich dort, wo der Staat an Private lukrative Aufträge vergibt.» Und gerade im IT-Bereich gehe es um sehr viel Geld, und Know-how, das man einkaufen müsse.

Nun habe man «den Bock zum Gärtner gemacht», sagte Frey. Nachdem die kantonsrätliche Aufsichts- und Kontrollkommission nach dem Ausscheiden des IT-Chefs Ende 2011 Unregelmässigkeiten bei der IT-Beschaffung festgestellt habe, reichte der Regierungsrat 2013 Strafanzeige wegen ungetreuer Geschäftsführung ein. Die Strafuntersuchungsbehörden seien fündig geworden. Der Beschuldigte habe über die von ihm in Zug gegründete Admit AG, die er kontrollierte, sowie die SOS AG in Flüelen (und die SOS GmbH mit Sitz in Berlin) die Sache mit den Provisionen eingefädelt; gegen einen Kollegen von der Firma SOS in Deutschland läuft ein zweites Verfahren, das abgetrennt wurde, in Berlin wurde es jedoch eingestellt.

«Man hat den Bock zum Gärtner gemacht.»
Georges Frey, Luzerner Staatsanwaltschaft

Immer näher ins Zentrum der IT-Macht

Der ehemalige Kaderangestellte habe am Anfang als externer Berater für den Kanton Luzern gearbeitet. Später war er externer IT-Projektleiter, dann erhielt er einen Beratervertrag, wurde Dienststellenleiter ad interim und schliesslich ab April 2010 Dienststellenleiter. Schon 2008 und 2009 habe er die Idee mit den Tippgeber-Verträgen gehabt, aber nicht in die Tat umgesetzt. Es gebe als Beweise Absichtserklärungen. Später wurden solche Abmachungen tatsächlich zwischen seinen IT-Geschäftspartnern und ihm abgeschlossen. Danach sollte er im ersten Jahr 20 Prozent des Umsatzes aus den Verträgen mit dem Kanton erhalten, im zweiten noch 15 Prozent, schliesslich 10 und 5 Prozent.

Schwerzmann und Bösch wussten nichts

«Bereits als Dienststellenleiter ad interim wusste er Bescheid über alle IT-Aufträge und unterzeichnete Verträge», erklärte der Staatsanwalt.

Der Beschuldigte habe seine eigenen Verträge und persönlichen Umsatzbeteiligungen gegenüber seinen Vorgesetzten verschwiegen. Georges Frey: «Das haben die Befragungen von Marcel Schwerzmann und Heinz Bösch glasklar ergeben.»

«Er hat die Korruption auf langfristige und strategische Weise geplant und seine Aktivitäten verheimlicht.»
Frey

Der Beschuldigte habe durch sein Verhalten das Vertrauen der Bürger in den Staat erschüttert und dem Vorwurf «Sauhäfeli-Saudeckeli» Auftrieb gegeben. Sein Verschulden wiege schwer. Es gehe hier nicht um eine einmalige kurzfristige Bestechung. «Er hat die Korruption auf langfristige und strategische Weise geplant und seine Aktivitäten verheimlicht», sagte Frey.

«Er dürfte primär aus monetären Gründen delinquiert haben», meinte der Staatsanwalt. Geldgier sei sein Antrieb gewesen. Er habe als Dienststellenleiter noch rund ein Viertel verdient – sein Gehalt ging von rund 60’000 Franken auf rund 10’000 Franken monatlich zurück. «Deshalb musste er sich eine zusätzliche Einnahmequelle erschliessen.» Eine Strafminderung habe der IT-Spezialist nicht verdient. Er sei weder reuig noch einsichtig und suche die Schuld nur bei den anderen. Zum Beispiel bei seinen Vorgesetzten.

Zweijährige Freiheitsstrafe

Frey beantragte eine teilbedingte Strafe von drei Jahren. Zwei Jahre müsse der Angeklagte absitzen, eine sei bedingt mit einer Probezeit von zwei Jahren auszusprechen. Man wolle sein soziales Leben nicht unnötig einschränken. Ausserdem solle der Beschuldigte eine unbedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 200 Franken bezahlen. Allenfalls solle das Gericht auf seine persönlichen Verhältnisse abstellen.

Ursprünglich von sieben Millionen Franken die Rede

Am Nachmittag hielt der Zürcher Anwalt des Beschuldigten seine Verteidigungsrede. Er meinte, von den ursprünglichen Vorwürfen sei «wenig übrig geblieben». In der Strafanzeige 2013 sei die Rede davon gewesen, dass der Kanton durch die Verletzung des Vergaberechts um sieben Millionen Franken geschädigt worden sei. Davon sei nicht mehr die Rede. Doch sein Klient sei an allem schuld, der Sündenbock, es werde vor allem moralisch argumentiert.

«Die Dienststelle Informatik war zufrieden mit seiner Arbeit.»
Simon Planzer, der Verteidiger

Die Vorwürfe gegen seinen Klienten ständen auf wackligen, unsicheren Beinen. Aus den Akten gehe hervor, dass die Dienststelle Informatik zufrieden gewesen sei mit der Arbeit des IT-Chefs. Das gehe auch aus den Ausführungen Marcel Schwerzmanns hervor, der den Beschuldigten als «nicht typischen Verwaltungsangestellten» dargestellt habe.

Am Kriminalgericht Luzern fand heute der IT-Prozess statt.
Am Kriminalgericht Luzern fand heute der IT-Prozess statt.

Nach Abgang weiter mit Firma gearbeitet

Planzer meinte, als externer IT-Projektleiter habe der Beschuldigte weit mehr Einfluss gehabt auf die Auftragsvergabe als später im Amt.

Laut dem Verteidiger wurden lange nach dem Abgang weiterhin Leistungen bei der fraglichen Firma SOS gebucht. Er habe Dokumente von April und Juli 2012, die das belegten. Sein Klient sei aber seit September 2011 nicht mehr beim Kanton angestellt gewesen.

Der Verteidiger meinte zu den Verträgen und Beteiligungen an den IT-Firmen wie bereits sein Klient, Schwerzmann habe ihm diese erlaubt. Er habe aber keine neuen aktiven Verträge eingehen dürfen. Der Anwalt verlangte, den Mann von allen Vorwürfen freizusprechen. Für die U-Haft und die besonders schwere Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte verlangte er eine Genugtuung.

Das Gericht wird sein Urteil in etwa zwei Wochen fällen.

Hinweis: Ursprünglich nannte zentralplus im Bericht den Namen des Mannes genannt. Aufgrund des sogenannten «Recht auf Vergessen» wurde er fünf Jahre nach der Veröffentlichung anonymisiert.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von daniel.wehner
    daniel.wehner, 15.02.2017, 22:17 Uhr

    Da ist sicher noch mehr, zum Vorschein. Kein Wunder stimmen die Leute gegen USR III, wenn die Elite so kurrupt ist. Sauhäfeli…

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