Wegen Neymar-Schwalbe rastete er aus

Rentner (74) schlug seine Frau ins Gesicht und würgte sie fast zu Tode

Eine Schwalbe des brasilianischen Fussballers Neymar brachte den Rentner zum Ausrasten. (Bild: Symbolbild Adobe Stock)

Eine Unsportlichkeit des brasilianischen Fussballers Neymar regte einen Luzerner an der WM 2018 dermassen auf, dass er sich zu wüsten rassistischen Beschimpfungen hinreissen liess. Als seine Frau daraufhin das Zimmer verliess, ging er hinter ihr her und versuchte, sie zu töten.

Zwischen dem Mann und seiner Ehefrau stand es schon an jenem Nachmittag im Juli 2018 nicht gut. Sie gerieten in einen Streit über den gemeinsamen Sohn, der eine Frau aus der Dominikanischen Republik geheiratet hatte – was den Vater offenbar ganz und gar nicht freute. Dieser Konflikt schwelte bereits seit Jahren in der Familie.

Wutentbrannt stürmte er nach der Auseinandersetzung aus der Wohnung, um sich im Public Viewing in der Stadt Luzern das Fussballspiel Uruguay gegen Frankreich anzusehen. Um sich einzustimmen, kaufte er sich am Bahnhof Weisswein und Bier, was er während des Matchs trank.

Nach Spielende ging der 74-Jährige nach Hause, um dort zusammen mit seiner Ehefrau den zweiten WM-Match Brasilien gegen Belgien anzuschauen. Als sich der brasilianische Fussballspieler Neymar an einer Schwalbe versuchte, geriet der Rentner in Rage. Lautstark beschwerte er sich und sagte zu seiner Ehefrau, das sei wieder «typisches südamerikanisches Theaterspielen». Die Dominikaner seien genauso schlitzohrig, polterte er.

Die Ehefrau versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen

Da hatte seine Frau genug. Sie hatte keine Lust, sich erneut rassistische Tiraden über die Schwiegertochter anzuhören – und zog sich wortlos ins Schafzimmer zurück.

Dies wiederum kränkte ihren inzwischen stark angetrunkenen Ehemann derart, dass er ihr wutentbrannt folgte und ihr aus dem Nichts heraus die Faust ins Gesicht schlug. Als sie in den Gang flüchtete und um Hilfe schrie, ging ihr der Mann hinterher, zerrte sie in die Küche und würgte sie mit beiden Händen. Er drückte ihr den Hals derart zu, dass ihr die Luft wegblieb.

«Ich hätte mich damit selber gestraft, diese Frau ist so wichtig in meinem Leben.»

Der Beschuldigte

Es ist einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass die Tochter des Paars zufällig die Schreie hörte und dazwischengehen konnte. Denn die Frau war durch das Würgen in unmittelbarer Lebensgefahr und wäre wohl gestorben, wäre die Tochter nicht eingeschritten. Die Ehefrau erlitt zahlreiche blaue Flecken sowie Stauungsblutungen am rechten Auge, was darauf hinweist, wie knapp sie dem Tod entronnen ist.

Therapie statt Gefängnis

An diesem Mittwoch muss sich der Mann vor dem Kriminalgericht verantworten. Bereits direkt nach seiner Verhaftung hatte er ein umfassendes Geständnis abgelegt. Dies war die Voraussetzung dafür, dass die Staatsanwaltschaft ein sogenanntes abgekürztes Verfahren in Erwägung ziehen konnte.

Dabei einigen sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft auf eine angemessene Strafe, die sie gemeinsam dem Gericht zur Genehmigung vorlegen. Im vorliegenden Fall fiel die beantragte Bestrafung – auf den ersten Blick – unheimlich milde aus.

«Ich habe ein Eigengoal geschossen. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen.»

Der Beschuldigte

Die Parteien beantragen, den Rentner wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4,5 Jahren zu verurteilen. Der Vollzug der Strafe soll aber zugunsten einer ambulanten Therapie aufgeschoben werden.

Ins Gefängnis müsste der Mann demnach nicht, sofern er sich zusätzlich zum vollständigen Alkoholverzicht verpflichtet und dies auch regelmässig ärztlich kontrollieren lässt. Zudem soll er eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 130 Franken bezahlen.

Das Opfer begleitet den Täter in den Gerichtssaal

Ist es gerecht, dass ein Mensch nicht ins Gefängnis muss, wenn er versucht hat, seine Frau zu töten? Es ist eine schwierige Frage, mit der sich das Kriminalgericht an diesem Nachmittag zu befassen hat.

Als der Beschuldigte den Gerichtssaal betritt, tut er dies in Begleitung seines Anwalts und seiner Frau. Bewusst oder unbewusst setzt sie damit ein Zeichen: Dass ihr als Opfer nicht daran gelegen ist, ihren Ehemann hinter Gitter zu bringen.

«Mir war gar nicht klar, was ich da mache, dass ich ihr Leben gefährde.»

Der Beschuldigte

Die Ausführungen des Rentners in der Befragung sind von Reue getragen. Die Erleichterung, dass seine Frau den Angriff überlebt hat, ist ihm anzumerken. «Ich hätte mich damit selber gestraft, diese Frau ist so wichtig in meinem Leben», sagt er.

Er sei an jenem Tag ein anderer Mensch gewesen. Er bestätigt alle Vorwürfe, die in der Anklageschrift gegen ihn erhoben werden. «Ja, das ist mir passiert. Ich sage passiert, weil ich mich nicht mehr bremsen konnte, als es passierte.»

Als seine Frau während des Fussballspiels das Zimmer verliess, sei dies «nur ein Funke» gewesen. «Die Basis der Überforderung hat schon bestanden. Es hat nicht mehr gebraucht, dass ich explodiert bin.» Er sei ihr nachgegangen und da sei es «zum Würgen gekommen». Sie sei der Sündenbock gewesen für alle Schwierigkeiten, die er seit Jahrzehnten gehabt habe. «Mir war gar nicht klar, was ich da mache, dass ich ihr Leben gefährde.»

Zurechnungsfähigkeit ist eingeschränkt

Gemäss einem psychiatrischen Gutachten leidet der Mann an einer schweren psychischen Störung aus dem schizophrenen Formenkreis, welche im Zusammenspiel mit dem Alkoholkonsum zu einem völligen Kontrollverlust geführt hat.

Davon ist an diesem Nachmittag kaum etwas zu merken. Der Rentner antwortet ruhig und besonnen, nach eigenen Angaben nimmt er inzwischen im Zusammenhang mit seiner Therapie entsprechende Medikamente.

«In der Zeitung liest man manchmal solche Sachen, aber man meint, das hätte nichts mit einem selber zu tun.»

Der Beschuldigte

Was er sich, seiner Frau und seiner Familie angetan habe, beschäftige ihn seit seiner Tat jeden Tag. «Ich habe ein Eigengoal geschossen. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Man kann nur nach vorne schauen.» Er sei mit seiner Frau auf einem guten Weg, das Vertrauen wieder aufzubauen. Die beiden wohnen in getrennten Wohnungen, essen aber hin und wieder zusammen.

Er hätte sich nie träumen lassen, dass er je in eine solche Situation gerate. «In der Zeitung liest man manchmal solche Sachen, aber man meint, das hätte nichts mit einem selber zu tun», so der Mann. Er habe seit dem Vorfall keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken, und dabei bleibe er auch. «Das, was mir passiert ist, tut mir zutiefst leid.» Er und seine ganze Familie würden hoffen, dass er nicht ins Gefängnis müsse, sondern an sich arbeiten könne.

Eine letzte Chance für den Täter

Diese letzte Chance gewährt das Kriminalgericht dem Mann, der zuvor noch nie straffällig geworden ist. Es schiebt die unbedingte Freiheitsstrafe zugunsten einer Therapie auf. Das bedeutet: Der Mann bleibt auf freiem Fuss. Sollte die Behandlung jedoch keinen Erfolg zeigen, muss er für 4,5 Jahre ins Gefängnis. Das gleiche gilt, wenn er gegen die Auflage verstösst, keinen Alkohol zu trinken.

Der Fall wirft einmal mehr die Frage nach dem Sinn von Strafen auf. Geht es darum, Straftaten zu sühnen? Oder geht es darum, die Täter wieder in die Gesellschaft zu integrieren? Im vorliegenden Fall hat das Kriminalgericht den Schwerpunkt auf Letzteres gesetzt. In der Hoffnung, dass es dem Mann gelingt, wieder zu kitten, was er mit seiner Tat kaputtgemacht hat.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von vevo
    vevo, 16.01.2020, 12:24 Uhr

    ich unterstreiche die aussage von peter hunkeler: ein lesenswerter artikel muss mir nicht von nutzen sein. dieser artikel ist für mich lesenswert, weil er sprachlich kompetent formuliert ist, und inhaltlich über die reine berichterstattung hinaus geht. das macht ihn interessant.

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  • Profilfoto von Peter Hunkeler
    Peter Hunkeler, 15.01.2020, 19:13 Uhr

    Lesenswerter Artikel. Aber die Frage «ist dieser Artikel nützlich für Dich» finde ich daneben. Wann hat ein Zeitungsartikel für seinen Leser schon einen «Nutzen»? Eher selten, oder? Andere fragen auch: «Erfüllt dieser Artikel Deine Erwartungen»? Auch schwierig darauf zu antworten, wenn jemand vor dem Lesen keine bestimmte Erwartung hat. Fragt doch: «War dieser Artikel für Dich lesenswert» – dann kann ich auch manchmal positiv antworten …

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    • Profilfoto von Lena Berger
      Lena Berger, 16.01.2020, 09:24 Uhr

      Vielen Dank für die Rückmeldung. Es stimmt vielleicht, dass Artikel oft nicht im klassischen Sinne nützlich sind. Die Frage stellen wir, weil zentralplus versucht, in der Berichterstattung konstruktiver zu werden. Wir wollen nicht nur über Probleme berichten, sondern auch mögliche Lösungen recherchieren und aufzeigen. In der Justizberichterstattung könnte die Nützlichkeit so aussehen, dass die Lesenden nach der Lektüre die Rechtslage besser verstehen oder wir aufzeigen, wo sie in ähnlichen Fälle Hilfe finden. Zum Teil machen wir auch Artikel dazu, wie man sich vor Straftaten schützen kann. Das ist die Überlegung dahinter. 🙂

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