Alternative Stadtführung startet im April

Randständige zeigen Luzern aus ihrem Blick

Hier gibts auch für Zuger Zuflucht in der kalten Nacht. Die Luzerner Notschlafstelle.

(Bild: wia)

Notschlafstelle, Gassenküche und Schuldenberatung: Die Stadtführung «Abseits Luzern» wird von randständigen Menschen geleitet, die ihre eigenen Geschichten erzählen. Was in anderen Städten längst ein Erfolgsmodell ist, steckt in Luzern noch in den Kinderschuhen – und benötigt Geld.

Luzern strotzt nur so von Sightseeing-Touren und Touristenführungen. Die kleinen Grüppchen watscheln von einem Touri-Hotspot zum anderen: vom Löwendenkmal zur Kapellbrücke mit Wasserturm zum Verkehrshaus – und zurück. Jetzt wird dieses Angebot durch etwas ergänzt, was es so in der Leuchtenstadt bisher nicht gegeben hat: eine Stadtführung durch randständige Menschen. Ab März soll man Plätze auf der Tour reservieren können, im April starten dann die Rundgänge.

Der 2016 gegründete Verein «Abseits Luzern» engagiert sich für Leute am Rand der Gesellschaft und organisiert seit letztem Sommer die alternativen Stadtrundgänge. Das Konzept: Die Gruppen werden von Armutsbetroffenen, Drogensüchtigen, Obdachlosen, Stadtoriginalen oder sozial benachteiligten Menschen durch «ihre» Stadt geführt. Die Idee ist, einen Einblick in soziale Einrichtungen und die soziale Arbeit zu bieten und dabei persönliche Geschichten aus dem Erfahrungsschatz der Tourguides zu erfahren.

Stadtrundgänge vorerst für Einheimische

Die Idee selber ist nicht neu. Vereinspräsident Marco Müller erklärt: «Die sozialen Stadtrundgänge gibt es in Städten wie Zürich und Basel schon länger. Und in Bern wird ungefähr zeitgleich ein ähnliches Projekt starten.» Er selbst nahm in Hamburg und in Hannover an diesen Touren teil. «Das hat mich sehr berührt», so der 36-Jährige, «daraufhin besuchte ich auch in der Schweiz die Touren und ich fand, das müsste es doch auch in Luzern geben.»

Marco Müller über seinen Verein «Abseits Luzern»: «Unsere Stadtführer sollen die Teilnehmer der Tour dazu bringen, ihren Horizont zu erweitern.»

Marco Müller über seinen Verein «Abseits Luzern»: «Unsere Stadtführer sollen die Teilnehmer der Tour dazu bringen, ihren Horizont zu erweitern.»

(Bild: pze)

Das Angebot sei für Luzern aus zwei Gründen attraktiv: Erstens gebe es in Luzern eine Menge sozialer Institutionen mit grosser Tradition und Solidarität, so Müller. Zweitens sei Luzern eine Touristenstadt. Doch das sei Zukunftsmusik. «Am Anfang wird die Zielgruppe primär Leute aus Luzern selber sein. Deshalb bieten wir die Stadtführungen bisher nur auf Schweizer- oder Hochdeutsch an.» Eine englische Version sei in Zukunft aber möglich, so Müller: «Wir haben verschiedene Tourguides, die über die nötigen Englischkenntnisse verfügen.»

Eine Perspektive für Stadtführer

Doch wer sind die Menschen, die aus ihrem etwas anderen Leben erzählen? Die Guides werden mit ihrem Vornamen vorgestellt: Fritz, Siegrid, Daniel, Noah, Peter und Gudrun. Jeder von ihnen lebt am Rand der Gesellschaft, sei es wegen einer Sucht, einer Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Und jeder von ihnen hat einiges zu erzählen. Jeweils zu zweit führen sie die Gruppen an wichtige Stationen in ihrem Leben. Jedes Team hat zwei Routen in petto. Also kann man als Besucher sechs verschiedene Rundgänge besuchen und jedes Mal etwas Neues kennenlernen.

«Es gab Bewerber, die waren nicht stabil und zuverlässig genug.»

Marco Müller, Vereinspräsident «Abseits Luzern»

Ausgebildet werden die etwas anderen Fremdenführer von Nicole Stehli. Die Sozial- und Theaterpädagogin hilft den Guides dabei, ihre Geschichten spannend und professionell vorzutragen. Momentan ist man in der Probephase, die Hauptproben vor Publikum sollen dann Ende März kurz vor den öffentlichen Rundgängen folgen.

So wirbt «Abseits Luzern» für ihre Stadtrundgänge. Gudrun führt die Gruppen im Rollstuhl durch Luzern – sie leidet an Multipler Sklerose.

So wirbt «Abseits Luzern» für ihre Stadtrundgänge. Gudrun führt die Gruppen im Rollstuhl durch Luzern – sie leidet an Multipler Sklerose.

(Bild: zVg)

Es habe für die Stellen als Fremdenführer rund 20 Anmeldungen gegeben, so Vereinspräsident Müller. Die Bewerber wurden einzeln eingeladen und geprüft, dabei mussten die künftigen Stadtführer eine Referenz angeben. «Es gab Bewerber, die waren nicht stabil und zuverlässig genug», so Müller, «aber gleichzeitig auch überqualifizierte Leute, die den Sprung zurück in den ersten Arbeitsmarkt bereits geschafft haben.» Dabei sei es gerade das Ziel der Stadtführungen, den Menschen, die sie leiten, eine Perspektive zu bieten.

Diese Auswahlkriterien ergaben die sechs jetzt ausgewählten Personen. «Es sind alles positive, lebensbejahende Menschen. Sie sollen die Teilnehmer der Tour dazu bringen, ihren Horizont zu erweitern.» Jeder könne arbeitslos oder suchtkrank werden – die «Abseits Luzern»-Tour soll dafür sensibilisieren.

Man tüftelt noch an genauen Routen

Ein Rundgang dauert zwischen zwei und zweieinhalb Stunden. Die genauen Routen sind noch nicht bekannt, aber Müller verrät: «Es wird eine Tour im Bruchquartier, eine rund um den Bahnhof, eine in der Nähe Stadtverwaltung, eine im Maihof und eine je in der Alt- und Neustadt geben.» Jede Tour beinhaltet sechs Stationen wie beispielsweise die Notschlafstelle, die Gassenküche oder die Schuldenberatung.

Müller sagt, er sei im regen Austausch mit diesen sozialen Institutionen. Dies sei entscheidend, denn man könne nicht jederzeit hereinplatzen: «Nehmen wir das Beispiel der Gassenküche: Wir können nicht vorbeikommen, wenn Kunden vor Ort sind. Einerseits aufgrund der Privatsphäre der Menschen, andererseits würden wir den Betrieb behindern.» Man sei noch am Tüfteln, wie man allen Ansprüchen gerecht werden könnte, so der Vereinspräsident.

«Abseits Luzern» setzt auf Crowdfunding

Die Touren in anderen Städten fänden grossen Anklang bei Vereinen, Firmen oder Gruppen. Oft gebe es längere Wartelisten. Das Konzept ist also erfolgsversprechend. Dennoch scheint «Abseits Luzern» (noch) nicht kostendeckend. Nach einem ersten Spendenaufruf im Dezember startete diese Woche ein Crowdfunding-Projekt. Dabei kann man frei spenden oder einen fixen Betrag einzahlen, bei dem man eine Gegenleistung wie eine Baumwoll-Tragtasche oder eine Tour-Teilnahme erhält. Ziel ist es, insgesamt 16’000 Franken zu sammeln.

Von diesem Betrag gehe ein grosser Teil an die Theaterpädagogin, welche die Guides ausbildet, so Müller. Ausserdem brauche man Geld für die Webseite mitsamt Buchungs-Tool, Flyer und Plakaten. «Wir werden auch jemanden anstellen müssen, der sich um die ganze Administration kümmert», sagt Müller. «Um den Stadtführern Unterstützung zu bieten, wird auch jemand mit sozialpädagogischem Hintergrund die Stadtführer betreuen müssen.» Damit wolle man auf allfällige Probleme früh reagieren können, so Müller.

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