Gratis-Punkte oder harte Selbsterkenntnis?

PH Zug bringt Trickser-Studis ins Dilemma

Severin Hoffer

(Bild: Lih)

Ein Künstlerduo bietet an der PH Zug ein neues Modul an: Was man tun muss? Nichts! Was die Studis bekommen? Einen gratis ECTS-Punkt und eine Zwickmühle! Wieso die PH Zug das verantworten kann und wie die Studierenden dem Duo dabei in die Falle tappen.

Ein neues Modul an der Pädagogischen Hochschule Zug gleicht einem Molotowcocktail: schlicht, gut gemixt, und mit einer Menge Sprengkraft, denn einen Credit-Point gibt’s hier scheinbar geschenkt.

«Herzlich willkommen zum Modul ‹Punkten durch Bildung›», sagt Michel Kiwic. Er breitet die Arme aus, als wolle er die ungefähr dreissig Studierenden im Hörsaal der Pädagogischen Hochschule Zug (PH Zug) tatsächlich herzen. Er und Severin Hofer bilden das Zuger Künstlerduo Hoffnung&Kiwi. Ihr neustes Projekt: ein neues Modul für angehende Lehrer im ersten Semester. Eines, für das sich dreissig Studierende angemeldet haben, ohne genau zu wissen, auf was man sich gerade eingelassen hat. Kennt man die zwei, dann weiss man – typisch Hoffnung+Kiwi.

«Wir werden viel Spass haben»

«Sie haben an der Infoveranstaltung gesagt, wir werden viel Spass haben zusammen», erklärt eine Studentin. Statt Fleiss und Schweiss nur pure Begeisterung als Modulbeschrieb. Das klingt ungewohnt, trifft die Sache aber exakt im Kern.

Das neue Modul der PH Zug ist schlicht konstruiert: Eine Webseite listet sechs Kulturstätten in Zug auf. Die Modulteilnehmenden sollen diese innert sechs Wochen besuchen und auf einer Stempelkarte abhaken. Der Clou kommt aber erst noch.

Hoffnung+Kiwi verteilen die Stempelkarten. (Bild:lih)

Hoffnung+Kiwi verteilen die Stempelkarten. (Bild:lih)

Ein geschenkter Credit-Point?

«Ich verteile euch jetzt die Stempelkarten», ruft Michel Kiwic in die Reihen, «Severin Hofer wird euch zusätzlich noch eine bereits abgestempelte Karte austeilen.» Ungläubiges Gelächter im Saal. So mache das ja gar keinen Sinn, tuschelt es durch die Reihen. Ein geschenkter Credit-Punkt, das entspricht im Bologna-System etwa dreissig Arbeitsstunden. Nichts tun und nach sechs Wochen den Punkt einheimsen – könnte man durchaus. Könnte man – muss man aber nicht. Und genau darum geht es, sagt Luc Ulmer von der PH Zug.

«Wir haben erst einmal leer geschluckt, als Herr Hofer und Herr Kiwic uns das Projekt vorgestellt haben.»
Luc Ulmer, Medienverantwortlicher der PH Zug

Luc Ulmer stand mit dem Künstlerduo Hoffnung+Kiwi in regem Austausch, als dieses das ungewöhnliche Modul konzipiert hat. Dass das Projekt der PH Zug um die Ohren fliegen könnte, stand durchaus zur Debatte: «Uns sind die kritischen Punkte bewusst», sagt er. «Wir haben erst einmal leer geschluckt, als Herr Hofer und Herr Kiwic uns das Projekt vorgestellt haben», erinnert sich Luc Ulmer. Drei Punkte, die der Cocktail vereint, überzeugten aber schlussendlich:

Bildung passiert nicht nur im Unterricht

  • Erstens sei das Kulturangebot im Kanton Zug beim Gros der Studierenden nur wenig bekannt. Grund dafür sei natürlich auch, dass rund fünfzig Prozent der angehenden Lehrer von ausserhalb des Kantons kommen. «Bildung passiert nicht nur im Unterricht, sondern auch an ausserschulischen Lernorten», und um solche Angebote zu kennen, müsse man sie eben auch besuchen, meint Luc Ulmer.
  • Zweitens: Die Initiative für das Modul kam vom Künstlerduo selbst, von denen Severin Hofer aktuell an der Pädagogischen Hochschule Zug studiert. «Studenten, die selbst die Initiative ergreifen, sollte man fördern», stellt Luc Ulmer klar.
  • Und drittens: Die Konsumhaltung einiger Studierenden. Die Leitung der PH Zug mache sich immer wieder Gedanken darüber, wie man die Studierenden motivieren könne, sagt Luc Ulmer. Er kennt das Problem aus eigener Erfahrung: «Ich habe nach dem Lehrerseminar und nach zwei Jahren Arbeit als Primarlehrer an der Universität Zürich freiwillig weiterstudiert und traf da Kommilitonen, die in der hintersten Reihe während der Vorlesung schwatzten oder schliefen.» Sie trauten sich wohl nicht zu schwänzen, weil sie vom bisherigen Schulsystem auf Sanktionen konditioniert waren.» Wirklich motiviert seien sie aber nicht gewesen. Das führt zur Frage, wieso man überhaupt studiert. Das ist die eigentliche Quintessenz am neuen Modul der PH Zug.

 

«Will ich Lehrer werden, um bloss Geld zu verdienen? Oder bin ich wirklich am Beruf interessiert?»
Luc Ulmer

Wen trickst man nun genau aus?

«Die Selbstreflexion steht im Zentrum», bestätigt Luc Ulmer. Nur schon die offene Möglichkeit, zu tricksen, zwinge die Studierenden, zu überlegen, wen sie nun eigentlich genau austricksen könnten. Die Modulverantwortlichen? Sicher nicht, die geben die volle Stempelkarte ja bereits von Anfang an mit ab. Sich selbst? Wohl schon eher. «Will ich Lehrer werden, um bloss Geld zu verdienen? Oder bin ich wirklich am Beruf interessiert?», fasst es Luc Ulmer zusammen.

Ob sich das die Studis wirklich fragen, wird sich weisen. Ein Hinweis auf die ausgelöste Diskussion zeigte sich aber bereits bei der Fragerunde, nachdem Hoffnung& Kiwi das Modul vorgestellt hatten. Einige Studentinnen fragten nach Kontrolle, ob denn am Schluss Feedback verlangt werde und ob es tatsächlich keinen Unterschied bei den Stempelkarten gebe. Denn so sind es sich die Studierenden ja gewohnt. «Wir können nur sagen», wiederholte das Duo, «wenn ihr am Schluss eine abgestempelte Karte abgebt, habt ihr den Punkt.» Hoffnung& Kiwi lassen somit die Falle genüsslich zuschnappen: Wie sie sich daraus winden werden, liegt nun ganz bei den Studierenden.

Das Künstlerduo Hoffnung+Kiwi beantwortet fragenzum neuen Modul: «Müssen wir nichts abgeben?» «Doch: eine volle Stempelkarte am Schluss.» (BIld:lih)

Das Künstlerduo Hoffnung+Kiwi beantwortet Fragen zum neuen Modul: «Müssen wir nichts abgeben?» «Doch: eine volle Stempelkarte am Schluss.» (BIld:lih)

Sich freiwillig für etwas interessieren, das nennen Fachleute intrinsische Motivation. Diese sei gerade für angehende Lehrer sehr wichtig, sagt Luc Ulmer: «Als Lehrperson ist man nach der Ausbildung mehr oder weniger alleine im Klassenzimmer.» Niemand kontrolliere, wie gut man sich wirklich vorbereitet habe. Wer sich dann nicht aus sich selbst heraus motivieren kann, kommt schnell an seine Grenzen.

Der härteste Sparring-Partner ist man sich selbst

Und was, wenn sich die PH Zug doch noch die Finger verbrennt? «Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, wenn die Politik die Grundidee nicht versteht und behauptet, wir verschenken hier einfach Punkte», sagt Luc Ulmer. Die PH Zug und Hoffnung+Kiwi haben mit dem Modul eine schlau konstruierte Zwickmühle gebaut, aus der die Studierenden ohne Selbstreflexion nicht mehr rauskommen werden. Der härteste Sparring-Partner ist man sich bekanntlich immer selbst.

Vielleicht wäre es doch einfacher gewesen, ein normales Modul zu besuchen. Und die Semesterarbeit vom vorherigen Jahrgang abzuschreiben.

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