Nach vier Jahren kündigte der Luzerner

Pflexit: Warum ein junger Mann genug vom Pflegeberuf hat

Gerade bei der jüngeren Pflegern ist es am wahrscheinlichsten, dass sie dem Pflegeberuf den Rücken kehren werden. (Symbolbild: Adobe Stock) (Bild: Adobe Stock)

Vier Jahre lang arbeitet Aminullah Habibi in der Pflege. Bis die Motivation des Luzerners kippt – und er dem Job den Rücken kehrt. Besonders macht es ihm zu schaffen, dass er sich keine Zeit für die Menschen nehmen kann.

Dem Nachwuchs vergeht die Lust am Pflegeberuf. Zwar scheinen die Arbeitsbedingungen seit jeher in Stein gemeisselt: Tiefer Lohn, viel Stress. Ein Missstand, der seit Ausbruch der Corona-Pandemie vermehrt ins mediale und öffentliche Scheinwerferlicht rückte. Und dennoch boomen Pflegeberufe zu Pandemiezeiten (zentralplus berichtete).

Einer, der den Beruf nach vier Jahren an den Nagel gehängt hat, ist Aminullah Habibi. Drei Jahre lang war er aus Afghanistan auf der Flucht, bis er 2016 in der Schweiz seine neue Heimat gefunden hat.

Habibi ist mit Berufen im Gesundheitswesen seit klein auf vertraut. Sein Grossvater und ein Onkel von ihm waren Ärzte, andere in der Verwandtschaft waren als Pfleger tätig. Habibi wuchs mit der Erfahrung auf, dass seine Familie anderen Menschen geholfen hat. «Es war beeindruckend», erzählt der 21-Jährige am Telefon. «Ich erlebte Situationen, die ich nicht wieder vergessen werde.» Situationen, die in der Schweiz unvorstellbar wären. «Jemand suchte uns auf, weil er bei einer Explosion ein Bein verloren hatte. Andere hatten grosse Wunden an ihren Köpfen, die genäht werden mussten.»

Pflegeberuf – die Lust und die Motivation kippten allmählich

Als Habibi in der Schweiz beruflich Fuss fassen wollte, war für ihn klar: «Ich will Menschen helfen – und meiner neuen Heimat, der Schweiz, etwas zurückgeben.»

Und so kam er schnell auf den Pflegeberuf. Nachdem er ein Praktikum in einem Altersheim absolviert hatte, begann er die Lehre als Fachmann Gesundheit bei der Spitex. Und dies bereits mit ein wenig gemischten Gefühlen. Denn schon im Altersheim lernte Habibi die Schattenseiten des Pflegeberufs kennen.

«Am meisten hatte ich damit zu kämpfen, über andere Menschen entscheiden zu müssen. Denn das will und kann ich nicht.»

«Zu Beginn war ich enorm begeistert, hatte enorm viel Kraft. Ich habe alles gegeben», erzählt Habibi rückblickend. Bevor er in die Schweiz kam, arbeitete er auf einer Baustelle. «Da ging es nicht darum, ob mir der Job gefällt, ob ich ihn gerne mache oder nicht», sagt er bestimmt. Damals hatte er ganz andere Sorgen: «Es ging darum, den Tag zu überstehen und Geld zu verdienen, um mir davon etwas zu essen kaufen zu können.»

Pflegeausstieg: Arbeitsschichten und wenig Zeit

Der Pflegeberuf gefiel ihm eigentlich. Doch die Arbeitszeiten und insbesondere die fehlende Zeit waren Kriterien, mit denen Habibi zu kämpfen hatte. «Es fehlt im Berufsalltag schlicht die Zeit, mit den Menschen zu reden, ihnen zuzuhören. Emotional für sie da zu sein», sagt Habibi. «Am meisten hatte ich damit zu kämpfen, über andere Menschen entscheiden zu müssen. Denn das will und kann ich nicht.»

Beispielsweise habe er damals im Altersheim erlebt, dass Menschen Beruhigungsmittel erhielten, wenn sie aufgebracht waren. «Stattdessen hätte man einfach mit ihnen reden können, um sie zu beruhigen.»

Auch die Schichtarbeit wurde zunehmend zur Belastung. Etwa, wenn Habibi zwar am Nachmittag frei hatte – dafür am Abend arbeiten musste. War er dann um 22 Uhr zu Hause, wollte er nur noch schlafen. «Mit Freunden so spät noch etwas zu unternehmen, war natürlich unmöglich.» Und der Lohn habe dies alles nicht wettmachen können.

Fast jede zweite Pflegefachfrau will nicht für immer im Beruf bleiben

Habibi ist mit seinen Gründen, die dazu geführt haben, dass er den Beruf als Pflegefachmann kündigte, nicht alleine.

Gemäss dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) steigen rund 40 Prozent der ausgebildeten Pflegefachleute im Verlauf ihrer Karriere wieder aus dem Beruf aus. Ein Drittel von ihnen ist jünger als 35 Jahre.

«Ich habe bereits mitten in meiner Lehre realisiert, dass ich nicht mein ganzes Leben lang als Pfleger arbeiten will.»

Interessante Fakten liefert auch eine Umfrage der Gewerkschaft Unia. In dieser gaben 86 Prozent der befragten Pflegerinnen an, sich oft müde und ausgebrannt zu fühlen. Insgesamt 47 Prozent können oder wollen nicht bis zur Pensionierung in der Langzeitpflege arbeiten.

Gerade bei der jüngeren Pflegern ist es am wahrscheinlichsten, dass sie dem Beruf den Rücken kehren werden. 55 Prozent der befragten Pflegerinnen im Alter zwischen 15 und 29 Jahren gaben an, nicht bis zur Pensionierung arbeiten zu können oder zu wollen.

33 Prozent gaben als Grund die «hohe Belastung durch unzureichende Arbeitsbedingungen» an, 49 Prozent begründeten ihren Ausstiegswunsch primär mit gesundheitlichen Problemen durch den Pflegeberuf. 6 Prozent gaben als Grund Familienleben/Kinderbetreuung an, 3 Prozent die fehlenden Entwicklungsperspektiven.

Für Habibi müssten sich die Rahmenbedingungen drastisch ändern

Was hätte es gebraucht, dass Aminullah Habibi, der nun als Dolmetscher arbeitet, dem Pflegeberuf erhalten geblieben wäre?

«Ich habe bereits mitten in meiner Lehre realisiert, dass ich nicht mein ganzes Leben lang als Pfleger arbeiten will. Die Rahmenbedingungen – bessere Arbeitszeiten, faire Löhne und mehr Zeit für Patientinnen – müssten sich schon drastisch ändern, dass ich wieder in den Pflegeberuf zurück wollen würde.»

Seinen neuen Beruf liebe er. Er sei nun mehr mit dem Herz dabei.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Jörg
    Jörg, 30.01.2022, 08:28 Uhr

    Habibi ich versteh Dich, glaub mir, vielleicht bist Du nur auf den Falschen Dampfer gestiegen. Dein Beruf kannst Du als Selbstständiger Fachmann Ausüben, Kranke Privat Pflegen, Praxis, es gibt viele Möglichkeiten. wer sagt, es muss gleich im Spital sein. Meine Mutter im Pflegeheim Sonntags Rufe ich an, 14.00h am Tel. oh Guten Tag äxgüsi bin bis 17h alleine auf der Stadion. das kann es nicht sein, 12 Bewohner! Es kann ja sein das du zuviel gesehen hast, Erlebt hast, In D ist es ja noch Schlimmer.
    Früher 80jer Jahre war es auch nicht anders. Glaub mir, Geändert hat sich nichts, da Frage ich mich wo All die jährlichen Millionen für Gesundheitswesen hingehen, Kopf nicht hängen lassen Du bist noch sehr Jung, In Afrika werden auch solche wie Du Hände Ringend Gesucht.

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