Rathausen: Quereinsteiger statt Fachkräfte

Pflegeleute, die (fast) keiner braucht

Mit diesem quer gedruckten Inserat hat die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern um Quereinsteiger geworben. (Bild: SSBL)

Erst hiess es, man suche Quereinsteiger – und bildet diese auch aus. Nur: am Markt besteht dafür gar kein Bedarf, man benötige viel qualifizierteres Personal. Bildet die SSBL also für sich selbst aus? Dies zumindest der Vorwurf der Berufsverbände.

Die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern (SSBL) steht vor Herausforderungen: Komplexere Formen von Behinderungen wie auch die steigende Lebenserwartung der Bewohner sorgen dafür, dass der Pflegeaufwand zunimmt und mehr Pflegeplätze benötigt werden. Durch den Bau von drei neuen Wohnhäusern sollen diese geschaffen und bis im Januar 2017 bezogen werden, der Spatenstich erfolgte bereits im Mai 2015.

Mit dem Ausbau benötigt die SSBL jedoch auch zusätzliche Mitarbeitende. Man wolle neue Stellen im Bereich Pflege und Intensivbetreuung schaffen, teilte die SSBL vor einigen Wochen mit. Dazu sucht man dringend noch Fachkräfte. Doch anstatt sich speziell um diese zu bemühen, hat die Stiftung ein Programm gestartet, um Quereinsteiger für den Beruf rekrutieren zu können. Der Fachkräftemangel habe die SSBL dazu bewogen, diesen Weg einzuschlagen (zentralplus berichtete).

Fachkräfte wären teurer

Die dahinterstehende Idee scheint nicht schlecht. Die SSBL will Quereinsteigern das für den Berufseinstieg obligatorische sechs- bis zwölfmonatige Praktikum ermöglichen, ohne dass sie dabei finanzielle Abstriche in Kauf nehmen müssen. Deshalb erhalten sie bereits während ihrer Ausbildung den Lohn ihrer späteren Anstellung.

Ansonsten wäre das Praktikum für Quereinsteiger nämlich in finanzieller Hinsicht kaum tragbar, erklärt Rolf Maegli, Direktor der SSBL. Über 300 Bewerbungen seien eingegangen, freute man sich bei der SSBL und verschickte daraufhin gar eine Medienmitteilung, um auf den Erfolg und das Engagement der Institution aufmerksam zu machen.

«Wir sind permanent unterbesetzt.»
Rolf Maegli, Direktor SSBL 

Doch wie will man mit diesem Programm etwas gegen den Fachkräftemangel unternehmen? Die SSBL ist wie jede andere soziale Institution auch vom Kanton zum Sparen gezwungen und muss derzeit jährlich auf rund 800’000 Franken verzichten. Und Fachkräfte haben bekanntlich ihren Preis. Es stellt sich die Frage: Ist es tatsächlich der Mangel an Pflegefachkräften, welcher die SSBL zu dieser Aktion getrieben hat – oder vielleicht doch eher das knappe Geld?

Eidgenössischer Abschluss sollte Ziel sein

«Ja, wir müssen sparen, aber das ist nicht der Grund – sondern die Wettbewerbssituation», sagt Rolf Maegli, Direktor der SSBL. «Die Gewinnung neuer Mitarbeiter ist die grösste Herausforderung für unsere Institution und da ist angesichts der Entwicklungen im Gesundheitswesen auch keine Entspannung in Sicht.» Die SSBL beschäftigt über 800 Mitarbeitende und ist damit eine der grössten sozialen Einrichtungen der Schweiz. «Wir sind permanent unterbesetzt», erklärt Maegli und betont, dass man mit Quereinsteigern bereits seit Jahren sehr gute Erfahrungen mache. Trotzdem brauche man zusätzlich dringend Fachkräfte.

«In der Zentralschweiz gibt es keinen Mangel an wenig qualifiziertem Pflege- und Betreuungspersonal.»
Claudia Husmann, Schweizer Berufsverband für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK)

Doch dieses Problem kann das Programm nicht lösen – zumal es sich bei den Quereinsteigern nicht um qualifiziertes Personal handelt. Auch nach dem Praktikum verfügen die Personen nicht über einen eidgenössischen Abschluss im Gesundheitsbereich, sondern besuchten lediglich einen Kurs des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Mit diesem werden unter anderem auch anerkannte Flüchtlinge auf einen Einstieg in der Pflege vorbereitet (zentralplus berichtete). Auf dem freien Arbeitsmarkt haben die SRK-Kurs-Abgänger nur geringe Chancen auf eine Anstellung.

«In der Zentralschweiz gibt es keinen Mangel an wenig qualifiziertem Pflege- und Betreuungspersonal», erklärt Claudia Husmann vom Schweizer Berufsverband für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK). Das Programm decke zwar das Personalbedürfnis der SSBL, ändere aber nichts an der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt. «Fachkräfte sind weiterhin schwierig zu finden», meint sie. Dagegen sollte man etwas unternehmen.

Es sei zwar ein guter Anfang, Quereinsteigern die Möglichkeit zu einem Einblick in den Pflegeberuf zu geben, doch was auf das Praktikum folgen sollte, sei kein SRK-Kurs, sondern die Möglichkeit, eine Ausbildung mit einem eidgenössisch anerkannten Abschluss zu absolvieren, so die Leiterin der SBK Sektion Zentralschweiz.

«Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass der Fachkräftemangel im Sozial- und Pflegebereich primär hausgemacht ist.»
Martin Wyss, Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD)

Bedenken, den Anschluss zu verlieren

Doch warum ist es für die SSBL so schwierig, Pflegefachpersonal zu finden? «Bei der SSBL handelt es sich nicht um eine ausgewiesene Spezialstation für Pflegefachkräfte – viele qualifizierte Bewerber haben möglicherweise Bedenken, dass sie bei uns den Anschluss verlieren und nachher nicht mehr auf eine Station in einem Akutspital zurück können.» Und diese Angst scheint nicht ganz unbegründet zu sein. Denn: Im Rahmen der kantonalen Sparmassnahmen wurden bei der SSBL unter anderem auch Weiterbildungen für das Personal gestrichen. 

«Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass der Fachkräftemangel im Sozial- und Pflegebereich primär hausgemacht ist», sagt Martin Wyss vom Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Das Problem sei nicht unbedingt, dass sich zu wenig Personen als Fachkräfte ausbilden lassen, sondern dass die Betriebe diese nicht längerfristig halten könnten. Unregelmässige Arbeitszeiten, wenig Planungssicherheit, kurzfristige Einsätze und die im Vergleich zu anderen Berufsgruppen relativ tiefe Entlöhnung seien Faktoren, die dazu führen würden, dass das Personal nach relativ kurzer Zeit abspringt und in eine andere Branche mit besseren Bedingungen wechsle.

«Wir haben den Verwaltungsbereich wie eine Zitrone ausgepresst.»
Rolf Maegli 

Sparmassnahmen bringen Institutionen ans Limit

Bei der Umsetzung des Sparplans habe man bei der SSBL darauf geachtet, dass diese nicht zulasten der körperlich und geistig schwer behinderten Bewohner fallen würden, erklärt Maegli. Naheliegend, dass da beim übrigen Personalaufwand Abstriche gemacht werden müssen. «Wir haben den Verwaltungsbereich wie eine Zitrone ausgepresst», so der SSBL-Direktor.

«Die Institutionen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich betonen bereits seit Jahren, dass die Finanzierung des Leistungsauftrages dermassen runtergefahren wurde, dass der Betrieb kaum noch aufrecht erhalten werden kann», sagt Wyss vom VPOD. Die SSBL stehe diesbezüglich zwar relativ gut da, für andere Institutionen sähe es hingegen schlecht aus, wenn weiter gespart werden müsse, meint er weiter. «Das würden einige von ihnen nicht überleben.» 

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