Betroffene wehren sich

Penisbilder: Das Programm von Jolanda Spiess-Hegglin hat bereits 1000 Strafanzeigen generiert

Wenn's nur das Bild einer Banane wär…: Studien zufolge hat fast jede zweite Frau schon einmal ein Dickpic bekommen. (Bild: Deon Black/letstalksex.net/free-erotic-photos/)

Es ist nicht nur eklig – sondern auch verboten: ungefragt ein Bild eines Penis zuzustellen. Die Zugerin Jolanda Spiess hat ein Tool programmieren lassen, mit dem Frauen innert 60 Sekunden eine Anzeige erstellen können. Wie oft dieses bereits zum Einsatz gekommen ist – das hat sie selbst überrascht.

Dickpics waren bei vielen Mädelsabenden schon Thema. Wohl jede Frau hat schon einmal ein Dickpic – ein Bild eines Penis – bekommen, ohne dass sie danach gefragt hätte. Manche könnten schon ganze Alben damit füllen.

Das irritiert, lähmt, hemmt – und löst auch Ekel aus. Laut einer Studie eines britischen Marktforschungsinstituts haben nicht wenige Frauen auf ihrem Handyscreen ein solches Bild bekommen. Über 40 Prozent der befragten Frauen zwischen 18 und 36 haben angegeben, schon mal ungefragt und ohne Vorwarnung Penisbilder zugesandt bekommen zu haben.

Zugerin lancierte Online-Anzeigengenerator ...

Jolanda Spiess setzt sich mit ihrem Verein Netzcourage gegen Hassreden im Netz ein. Die Zugerin realisierte, dass es sich bei Dickpics um ein weitverbreitetes Phänomen handelt. «Es gab eine Phase, da haben wir täglich Anfragen von betroffenen Frauen erhalten, die Dickpics bekommen haben.» Das machte Jolanda Spiess sauer. Zu sehen, wie viele davon betroffen sind. Und sie fand: Dagegen muss jetzt etwas getan werden. Deswegen initiierte sie ein neues Projekt namens #NetzPigCock und hat damit einen Online-Anzeigengenerator lanciert: Innert 60 Sekunden können Betroffene durch dieses Tool eine Anzeige generieren.

«Es zeigt sich jetzt, wie wichtig dieser Anzeigengenerator ist.»

Jolanda Spiess

Denn, was viele nicht wissen: Penisbilder ungefragt zu versenden, fällt unter den Pornografietatbestand von Artikel 197, Absatz 2, des Schweizerischen Strafgesetzbuchs und ist somit verboten. Wer dagegen verstösst, wird mit einer Busse bestraft. Ist die Person, die das Penisbild unaufgefordert erhält, unter 16 Jahre alt, kann der Täter mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden.

Dickpic bekommen? So kannst du dich wehren

Wenn du ein Dickpic bekommen hast, nach dem du nicht gefragt hast: Mach einen Screenshot davon. Das ist laut Jolanda Spiess das A und O. Notiere weiter das Datum und die Uhrzeit, wann du das Bild bekommen hast.

Im Onlinetool von #NetzPigCock kannst du diesen Screenshot hochladen. Fülle die Angaben aus, wann, über welchen Kanal und von wem – das kann auch beispielsweise ein Instagram-Username sein – du das Bild bekommen hast. Fülle deine persönlichen Angaben aus und schicke das ausgedruckte PDF-Dokument unterzeichnet an die Staatsanwaltschaft oder an die Polizei des zuständigen Kantons.

… der einschlug wie eine Bombe

Das Tool schlug ein wie eine Bombe. Erst einen Monat im Einsatz, wurden bereits 1178 Anzeigen generiert, wie Spiess-Hegglin auf Anfrage sagt. «Es ist krass, wie viele Frauen davon betroffen sind und wie gross das Bedürfnis ist, sich dagegen zu wehren.» Das hat sie selbst überrascht – auch wenn sie ja wusste, dass Dickpics bei vielen Frauen ein Thema sind. «Es zeigt sich jetzt, wie wichtig dieser Anzeigengenerator ist.»

Daten werden keine gespeichert, erfasst wird nur, aus welchem Kanton wie viele Anzeigen generiert wurden. Das Tool kam am meisten in folgenden Kantonen zum Einsatz: in Zürich mit 211, Waadt mit 197 und Basel-Stadt mit 89 erstellen PDF-Strafanzeigen. In Luzern kam der Generator 56-, in Zug 76-mal zum Einsatz.

Jolanda Spiess hofft, dass es in den meisten Fällen auch tatsächlich zu einer Anzeige gekommen ist. Denn nach Ausfüllen der Angaben wird ein PDF-Dokument eines Strafantrags erstellt, das Betroffene anschliessend ausdrucken, von Hand unterschreiben und an die Staatsanwaltschaft des jeweiligen Kantons schicken müssen.

Jolanda Spiess-Hegglin im August 2020. (Bild: ber)

Vorher mussten Frauen mit dem Dickpic auf den Polizeiposten

Jolanda Spiess möchte mit ihrem Anzeigengenerator Frauen über ihre Rechte aufklären und ein Statement setzen, dass Dickpics nicht okay sind und nicht einfach so hingenommen werden müssen.

«Auf einen Polizeiposten zu gehen und eine Anzeige zu machen, kann für Frauen oftmals zermürbend und demütigend sein.»

Jolanda Spiess

Weil Dickpics nur selten angezeigt werden, wollte sie zudem ein Tool zur Verfügung stellen, mit dem Betroffene einfach Anzeige erstatten können – ohne viel Aufwand, ohne den Gang auf den Polizeiposten oder ohne das Beauftragen einer Anwältin. Denn ohne das Tool bedeutete das Anzeigen solcher Grenzüberschreitungen tatsächlich noch, das erhaltene Penisbild auf Papier ausdrucken zu müssen und auf einem Polizeiposten stundenlang ein Protokoll anzufertigen.

«Auf einen Polizeiposten zu gehen und eine Anzeige zu machen, kann für Frauen oftmals zermürbend und demütigend sein», sagt Spiess-Hegglin. Letzte Woche habe ihr beispielsweise eine Frau geschrieben, dass sie mit einem Screenshot eines Dickpics zu einer Polizeidienststelle gegangen sei. Sie sei blöd angelacht worden mit der Bitte, wieder nach Hause zu gehen. Es sei ja «nicht so schlimm», hiess es.

«Das geht so nicht», sagt Spiess-Hegglin. «Ich hoffe, dass wir mit unserem Projekt klarmachen, dass auch die Polizei versteht, solche Frauen nicht abwimmeln zu dürfen.» Frauen sollen sich wehren und auch wenn sie Social Media nutzen oder mal «laut» seien, sich deswegen nicht zurückziehen. Denn der Fehler liegt nicht bei den Opfern – sondern bei denen, die solche Bilder verschicken.

Warum Männer Dickpics senden

Bleibt die Frage, warum Männer überhaupt Bilder ihres Penis an Frauen senden, die davon sicherlich nicht geträumt haben. Das habe ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Männer gefragt, die uns ungefragt solche Bilder zugeschickt haben. «Ja, keine Ahnung», meinte einer. «Vielleicht betrunken.» Andere konnten sich scheinbar nicht mehr dran erinnern.

«Scham und Schweigen war gestern. Jetzt wehren wir uns.»

Jolanda Spiess

Barbara Krahé, Professorin für Sozialpsychologie der Universität Potsdam, sagte es gegenüber dem «Spiegel» so: «Männer, die meinen, Bilder von ihrem Geschlechtsteil versenden zu müssen, haben ein Problem mit ihrer Männlichkeit: Sie wollen sich selbst vergewissern, wie männlich sie sind und es dann gegenüber Frauen unter Beweis stellen. Sie haben das Bedürfnis, Macht auszuüben: Ich bin ein echter Mann, weil ich entscheide, wo die Grenzen sind - und ich überschreite sie ganz bewusst. Einfach nur, weil ich es kann.»

Jolanda Spiess-Hegglins Ansage ist klar: «Scham und Schweigen war gestern. Jetzt wehren wir uns.»

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