Gundula: Journalistin vor Bezirksgericht Luzern

Nun entscheidet sich, welchen Stellenwert die Medienfreiheit hat

Die ehemalige zentralplus-Journalistin Jana Avanzini vor dem Bezirksgericht Luzern.

(Bild: ber)

Was ist höher zu gewichten: die Medienfreiheit oder die Eigentumsrechte? Die Luzerner Justiz tut sich mit der Beantwortung dieser Frage schwer. Nun muss das Bezirksgericht entscheiden, ob sich eine ehemalige zentralplus-Journalistin des Hausfriedensbruchs schuldig gemacht hat.

Wenn die «Süddeutsche Zeitung», die «NZZ» und auch die «Republik» über einen Fall berichten, der am Luzerner Bezirksgericht verhandelt wird, dann kann man davon ausgehen, dass es um mehr geht als einen einfachen Hausfriedensbruch.

Tatsächlich wird an diesem Dienstagnachmittag im brechend vollen Gerichtssaal über die Medienfreiheit, die Wahrung öffentlicher Interessen und den Stellenwert der Eigentumsrechte gestritten.

Es prallen politische Überzeugungen aufeinander. Beispielsweise diametral auseinandergehende Ansichten darüber, ob eine Liegenschaftsbesitzerin überhaupt noch Eigentumsrechte hat, wenn sie ein historisch bedeutendes Gebäude einfach zerfallen lässt.

Zerfallene Villa wird zum Politikum

Aber drehen wir die Zeit zunächst mal zurück. 2016 wurde eine Liegenschaft an der Obergrundstrasse 99 plötzlich zum Politikum. Bereits über Jahre hatte sie leer gestanden und zerfiel zusehends. Bis sie schliesslich im April von der Besetzergruppe Gundula eingenommen wurde. Das Ziel: Es sollte endlich wieder Leben ins Haus zurückkehren.

Die Liegenschaftsbesitzerin Bodum Invest AG reichte kurze Zeit später eine erste Strafklage gegen die Besetzer ein. Allerdings zog sie diese wieder zurück, als zusammen mit der Stadt Gespräche über eine legale Zwischennutzung aufgenommen wurden.

Damit entstand Verunsicherung darüber, wie denn die Rechtslage aussah. Wurde die Besetzung nun geduldet? Durfte man das Haus durch das weit offenstehende Tor betreten?

Ungeklärte Frage: Wie marode ist das Haus?

So richtig schien das niemand zu wissen. Und gemäss der damaligen zentralplus-Journalistin Jana Avanzini war von Seiten der Liegenschaftsbesitzerin auch nichts darüber zu erfahren, wie sie vor Gericht sagte.

Weil es zudem unterschiedliche Aussagen betreffend den Zustand des Gebäudes gab, beschloss sie, sich selber vor Ort ein Bild zu machen. Sie betrat das Haus, in dem sich zeitweise über 60 Personen aufhielten. Schliesslich schrieb sie eine Reportage und sammelte aus erster Hand Informationen über die Schäden am Gebäude.

Damit hat sie sich des Hausfriedensbruchs schuldig gemacht, behaupten nun der Vertreter der Liegenschaftsbesitzerin und auch die Staatsanwaltschaft. Letztere scheint sich ihrer Sache allerdings nicht ganz sicher zu sein.

Staatsanwaltschaft ringt um eine Entscheidung

Sie tat sich jedenfalls offensichtlich schwer mit der Entscheidung. Zunächst stellte die Staatsanwaltschaft Jana Avanzini in Aussicht, sie mit einem Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe verurteilen zu wollen. Nach einer Einsprache ihrerseits entschied man sich anders und stellte das Verfahren ein. Darüber wiederum beschwerte sich die Liegenschaftsbesitzerin beim Kantonsgericht.

Dieses kam zum Schluss, dass es sowohl Gründe für eine Verurteilung wie auch Gründe dagegen gebe. Diese würden sich in etwa die Waage halten. Und bei dieser Ausgangslage müsse ein Gericht über den Fall entscheiden. Und genau deshalb wurde die Journalistin an diesem Nachmittag zur Verhandlung vorgeladen.

Drei Fragen sind entscheidend

Der zuständige Einzelrichter hat nun die folgenden Fragen zu beantworten:

  • Hat Jana Avanzini die Liegenschaft betreten?
  • Hat sie gewusst oder hätte sie wissen können, dass dies nicht geduldet werden würde, weil die Hausbesitzerin dies strikt ablehnte?
  • Bestand zu dem Zeitpunkt ein derart grosses öffentliches Interesse an der politisch umstrittenen Hausbesetzung, dass das Betreten durch die Journalistin gerechtfertigt war?

Klar ist lediglich die Antwort auf die erste Frage, weil die Journalistin unumwunden zugibt, in dem Haus gewesen zu sein. Doch bereits zur zweiten Frage gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Bodum Invest AG macht geltend, man habe nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass man die Besetzung nicht dulde.

«Es gab in dem Haus nichts zu suchen, auch nicht für eine Journalistin.»

Anwalt der Bodum Invest AG

Jana Avanzini hingegen argumentiert, es sei wenige Tage zuvor öffentlich bekannt gegeben worden, dass der Strafantrag gegen die Besetzer zurückgezogen worden sei und es vorläufig nicht zu einer Räumung kommen werde. Sie habe versucht, die Bodum Invest AG zu kontaktieren, sei aber abgewimmelt worden. Dass ihr ein Betreten des Gebäudes als Hausfriedensbruch ausgelegt werden könnte, habe sie so gar nicht erfahren können.

Anwalt glaubt zu wissen, was relevant ist und was nicht

Die dritte Frage ist der Grund, weshalb nationale und sogar internationale Pressevertreter im Gerichtssaal sitzen, um der Verhandlung beizuwohnen. Anders gestellt lautet sie nämlich: Wie weit geht die Medienfreiheit in der Schweiz?

Der Anwalt der Bodum Invest AG fährt in seinem rhetorisch fein abgestimmten Plädoyer hartes Geschütz auf. Er verlangt vom Gericht drei Dinge: Das Eigentumsrecht nicht auszuhöhlen, das öffentliche Interesse nicht überzubewerten, und die Gefährdung der Medienfreiheit nicht zu dramatisieren.

Sein Argument: Die Öffentlichkeit hat zum Zeitpunkt der Entstehung der Reportage bereits alles erfahren, was aus seiner Sicht relevant war. «Es gab in dem Haus nichts zu suchen, auch nicht für eine Journalistin.»

Hätte Jana Avanzini den Artikel nicht geschrieben, dann wäre der Öffentlichkeit nichts anderes entgangen, als dass es in der Besetzung Bier zu trinken und Couscous zu essen gab, behauptet er.

Sich kein eigenes Bild zu machen, wäre journalistisch fragwürdig

Die Anwältin der Journalistin stellt gleich zu Beginn in Frage, wie hoch die Eigentumsrechte einer Liegenschaftsbesitzerin zu werten sind, die ein denkmalgeschütztes Haus entgegen der öffentlichen Interessen über Jahre verlottern lässt. Das war damals nämlich die politische Frage, die zu einer breiten politischen Debatte geführt hat.

Für die Verteidigerin ist klar: Es gab unterschiedliche Angaben über den tatsächlichen Zustand des Gebäudes. Um sich nicht bloss auf die Aussagen der Besetzerinnen und Besetzer stützen zu müssen – was journalistisch fragwürdig gewesen wäre –, habe sich ihre Mandantin ein eigenes Bild machen wollen.

Richter lässt durchblicken, dass ihm ein schwerer Entscheid bevorsteht

Während der Vertreter des Liegenschaftsbesitzerin wegen Hausfriedensbruchs eine Verurteilung zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen forderte, verlangte die Verteidigerin einen Freispruch.

Am Ende der zweistündigen Verhandlung hatte Jana Avanzini noch ein letztes Mal das Wort. Die 32-Jährige wies darauf hin, dass die Frage, in welchem Zustand sich das Gebäude befindet, bis heute Anlass zu Diskussionen gebe. Und die Informationen, an die sie anders nicht herangekommen wäre, noch immer der Berichterstattung dienen würden.

Wie steht es nun also um die Frage, was höher zu gewichten ist: Medienfreiheit oder Eigentumsrecht? Entscheiden muss nun allein der zuständige Einzelrichter. «Was in diesem Fall nicht unbedingt Freude macht», wie er in einer Schlussbemerkung durchblicken lässt.

Das Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt, zentralplus wird darüber berichten, sobald es vorliegt.

Herzlichen Dank an die Mitkämpferinnen und Mitkämpfer

Jana Avanzini und zentralplus haben im Vorfeld der Gerichtsverhandlung ein erfolgreiches Crowdfunding durchgeführt. Zur Deckung der Anwaltskosten sind über die Plattform «Funders» über 10’000 Franken zusammengekommen (zentralplus berichtete).

«Ich bin allen Unterstützerinnen und Unterstützern und auch den Medien, Plattformen und Organisationen, die über den Fall berichtet haben, extrem dankbar», erklärt Jana Avanzini. zentralplus-CEO Christian Hug ergänzt: «Der Support ist grossartig. Dies spornt uns alle an und gibt uns den nötigen Rückenwind, zusammen mit Jana für das Recht und die Medienfreiheit so lange zu kämpfen wie nötig.»

Neben zahlreichen Personen, die anonym bleiben möchten und Spendern, die bei einem persönlichen Nachtessen verdankt werden, haben folgende Personen hundert Franken oder mehr gespendet und sich damit die Erwähnung als «Mitkämpfer» verdient:

  • Jens Beba 
  • Pius Bucher
  • Monika Dommann
  • Arne Domrös
  • Florian Fischer
  • Roland Gubser
  • Nadine Hasler
  • Daniel Lütolf
  • Alessandra Murer
  • Christian Schriber
  • Fleur Volkart
  • Samuel Zurfluh
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Joseph de Mol
    Joseph de Mol, 26.06.2019, 17:06 Uhr

    Aus einer juristischen Frage soll hier ein politischer Prozess konstruiert werden. Es ist so durchsichtig und als Taktik durchaus kein Novum. Ich bin jetzt schon auf das Urteil gespannt, wie ein Wurm zwischen zwei Hühnerschnäbeln! Insbesondere weil das Gericht mit Sicherheit das Vorleben von Frau Avanzini durchleuchten wird und dann ihre Nähe zur Hausbesetzer- und Containerszene durchaus feststellen wird…! Ob dieses dann eine juristisch relevante Kausalität zwischen dieser Art ideologischer Befangenheit ableitet, bleibt abzuwarten.

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  • Profilfoto von Joseph de Mol
    Joseph de Mol, 25.06.2019, 20:15 Uhr

    Wie bei jeder anderen Angeklagten auch, gilt für Frau Avanzini zuerst einmal die Unschuldsvermutung. Das Gericht wird die juristisch relevante Frage klären, ob Frau A. in der Rolle als Journalistin oder als Privatperson im Haus zugegen war. Das hat grundsätzlich nichts mit der Freiheit der Medien zu tun. Das Rechtsgut der Medienfreiheit sehe ich persönlich hier so oder so nicht tangiert. Und dient meiner Meinung nach als blosse Schutzbehauptung. Das Gericht wird die involvierten Rechtsgüter gegeneinander abwägen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen urteilen. Ich bin der Meinung, dass Frau A. tendenziell als Unterstützerin der Hausbesetzer-Szene betrachtet werden muss und die journalistische Objektivität dadurch ohnehin nicht gegeben wäre!

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    • Profilfoto von Daniel Huber
      Daniel Huber, 25.06.2019, 23:30 Uhr

      Für die Frage, ob sie schuldig ist oder nicht, spielt die «journalistische Objektivität» keine Rolle. Sich von einem Ereignis ein eigenes Bild machen zu wollen, gehört zur Sorgfaltspflicht jedes Journalisten, ob er / sie nun für die weltwoche, die woz, zentralplus oder die luzerner zeitung arbeitet. Rechtlich relevant ist hingegen die Frage, ob sie von einer Duldung ausgehen konnte und / oder ob das öffentliche Interesse das Betreten des Hauses rechtfertigt.

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