Luzern

Momente, die unter die Haut gehen

Millimeterarbeit: Rob Koss in seinem Tattoostudio bei der Arbeit. (Bild: Yasmin Billeter)

Der Amerikaner Rob Koss ist die Nummer 1 der Luzerner Tattoo-Branche. Wer von ihm eine Tätowierung wünscht, muss mindestens ein Jahr lang warten. Ein Besuch an der Zürichstrasse in seinem berühmt-berüchtigten Studio.

Wo liegt der Ursprung der Tätowierung? Bei den Indianern? In Japan? Man weiss es nicht. Aber auf die Idee, sich Tinte unter die Haut zu stechen, muss man ja erst mal kommen. Schliesslich ist die Aktion mit Schmerzen verbunden. Zudem gibt es schönere Vorstellungen, als fremde Materialien in der eigenen Blutbahn.

Trotzdem ist die Idee gereift. Aus blossen Tintenstichen sind Zeichnungen entstanden. Aus Zeichnungen farbige Kunstwerke. Heute ist das Tätowieren Kult. Und es geht eigentlich nur noch darum, wie originell ein Tattoo daherkommt und wie es um die Qualität steht. Oder geht es doch um mehr?

Wir haben das Luzerner Tattoo-Studio XXX besucht. Dort, an der Zürichstrasse, verwehren milchige Fensterscheiben dem Fussgänger den Blick ins Innere. Es sieht etwas düster aus. Aber erst einmal drinnen, wirkt nichts mehr bedrohlich.

«Tätowieren ist kein Spass. Es ist schmerzhaft und kann definitiv zur Sucht werden.»
Rob Koss 

Vielleicht ist es sogar das, was fesselnd wirkt. Man möchte sofort hier bleiben. Auf dem Sofa sitzen, in Mitten von surrenden Geräuschen, Rockmusik, indianischen Skulpturen, Totenköpfen und Flipperkästen. Sich dann in einem Gespräch mit Rob, die Idee für sein eigenes Tattoo ausdenken und stechen lassen.

Ruhmreiche Zeiten

Rob Koss ist der Besitzer des Ladens, 44 Jahre alt, aufgewachsen in Chicago und seit 16 Jahren in Luzern wohnhaft. Fragt man Insider nach dem besten Tätowierer der Stadt, fällt immer auch sein Name. Seine Qualitäten sind unbestritten. Koss gehört sogar international zu den ganz Grossen. «Tätowieren ist kein Spass», sagt er bestimmt. «So wenig wie irgendetwas, das als Körperkult lässig daherkommt. Tätowieren ist schmerzhaft und kann definitiv zur Sucht werden.»

Wenn Koss spricht, hört sich das meistens ernst und gewissenhaft an. Er geniesst seinen Job und er weiss, dass er zu den Besten gehört im Geschäft. Auf dem schwarzen Tisch im Eingangsbereich liegen Tattoo-Magazine. Manche enthalten auch Berichte über Rob Koss. Er möge die vielen Interviews nicht mehr zählen, sagt er. Das hört sich nach Ruhm an.

Es gab tatsächlich eine Zeit, da war der Hype um ihn sehr gross. So gross, dass sich die Kunden auf einer Warteliste eintragen liessen und drei Jahre auf ein Tattoo warten mussten. Drei Jahre! Mittlerweile hat Koss sein System umgestellt. Koss sagt: «Eine offizielle Warteliste schreckt die Kunden nur ab. Ich entscheide aus dem Bauch heraus. Wenn jemand wirklich eine Tätowierung von mir möchte und er mir als Mensch passt, bekommt er diese auch.» Mit anderen Worten: Er kann es sich erlauben, seine Kundschaft auszusuchen. Immerhin ist nun «schon» im August 2014 ein Termin zu bekommen.

Koss› eindrücklichstes Erlebnis: Der Sohn eines Serienkillers liess sich ein Porträt seines Vaters tätowieren.

Man merkt es ihm an: Im Mittelpunkt zu stehen, ist nicht sein Ding. Koss spielt die Begehrtheit an seiner Person gerne mal herunter. Er sagt: «Es arbeiten ja auch noch andere talentierte Tätowierer hier im Studio.» Seine vier Mitarbeiter liegen ihm am Herzen.

Eine von ihnen ist Flurina Gretener. Sie ist 24 Jahre alt und macht seit zwei Jahren eine Lehre zur Tätowiererin bei Koss. Ein offizieller Ausbildungsberuf ist das nicht, es gibt keine Berufsschule und auch kein staatlich anerkanntes Zeugnis. In dieser Branche ist es üblich, dass jeder seinen eigenen Meister finden muss. In diesen Tagen darf Flurina das erste Mal selbst tätowieren. Am Anfang müsse ein Kollege dran glauben, meint sie und lacht. Einen Lohn für die Lehrzeit erhält sie nicht. Zumindest nicht in Form von Geld. Koss hat sie mit einem Drachen-Tattoo beschenkt.

Kunstwerke dauern lange

Koss tätowiert an diesem Morgen einen Berufskollegen, der aus Österreich angereist ist. Beim Motiv handelt es sich um ein grossflächiges Rücken-Tattoo im Stil der Biomechanik, inspiriert durch Hansruedi Gigers Surrealismus. Wie ruhig er da sitzt, Koss. Er weiss, dass seine Hände die wichtigste Arbeit erledigen müssen. Zu viel Kaffee kommt da nicht in Frage.

Sein Kunde ist zum vierten Mal hier und wird die Autofahrt von Graz nach Luzern noch weitere zehn Mal auf sich nehmen müssen, bis das Kunstwerk vollendet ist. Aber es lohne sich, meint der Österreicher, hier bekomme man Qualität und Leidenschaft geboten. Schablonen oder Motivvorlagen sucht man vergeblich. Koss ist der Typ fürs Grossflächige – und die Vorlagen werden immer alle von Hand gezeichnet.

Während Tätowierungen früher nur als anstössige Kritzelei auf den Armen von Häftlingen und Seeleuten galt, hat inzwischen fast jeder ein Tattoo. Ende der 1990er-Jahre wurden sie sogar Teil der Popkultur. Koss spricht von den fetten Jahren für Tätowierer, von den neuen Stilen die sie kreiert haben, von der Zeit als aus neuen Bildern Kunstwerke wurden. «In den 90er Jahren war ich Teil der Renaissance des Tattoos. Damals suchten junge alternative Leute neue Motive und fanden diese in ihren Subkulturen. Es war eine Art Wiedergeburt des Tattoo und ich gehörte zu der Handvoll Leuten die von Anfang an dabei waren. In den letzten zehn Jahren hat unsere Kultur ihre Ansicht gegenüber Tattoos radikal geändert.»

Der Mythos ist weg

Sein Mitarbeiter Lukas Speich wird da etwas konkreter. Er macht die Medien dafür verantwortlich, dass das Tätowieren zu einer Art Mainstream-Bewegung wurde: «Sie haben das Tätowieren negativ beeinflusst. Früher gingen Tattoos einher mit Biker, Alkohol und Stripperinnen. Heute stechen sich alle Leute Tattoos. Zudem verwässert das Internet die ganze Szene. Es gibt nichts mehr zu entdecken. Der Mythos und die Magie sind weg.» Er kann sich dabei den nostalgischen Unterton nicht verkneifen. «Trotzdem ist es der schönste Job der Welt.»

Das weiss auch Koss. Er tätowiert fremde Körper, seit er 22 Jahre alt ist. Drei Jahre später zog es ihn in die Schweiz. Es war die Liebe zu einer Luzernerin. Als er herzog, liess er sich als erstes beide Rippen tätowieren: Auf der einen Seite eine Spinne, auf der anderen einen Schwan. «Ich mag keine Spinnen, aber auf der Kapellbrücke wimmelt es davon. Und im See schwimmen die wunderschönen Schwäne. Man braucht immer etwas Hässliches, um dann das Schöne schätzen zu können», sagt er.

Die Tätowierung hielt. Im Gegensatz zu der Liebe. Mittlerweile ist Koss mit Nadia, einer Besitzerin eines Tattoo-Studios in Zug, verheiratet. Gemeinsam haben sie zwei kleine Kinder.

Gesundheit: Es gibt keine Langzeitstudien

Was beim ganzen Tattoo-Kult immer wieder vergessen geht, sind die gesundheitlichen Risiken. Es ist erwiesen, dass gut ein Drittel der Farbmenge über die Lymphe in den Körper gelangt. Auch weiss man, dass gewisse Stoffe in der Tinte Krebs erzeugen können. Was der Wissenschaft fehlt, sind Langzeitstudien um die Auswirkungen von Tätowierfarbe auf den Körper zu untersuchen.

Auf Distanz scheinen die Tattoo-Fans deshalb nicht zu gehen. In den USA ist ein Viertel der Bevölkerung tätowiert, in Deutschland jeder Zehnte, unter Jugendlichen jeder Vierte. Für die Schweiz liegen noch keine Zahlen vor, der Trend dürfte aber in die gleiche Richtung gehen.

Bevor wir das Studio verlassen, erzählt uns Koss noch das eindrücklichste Erlebnis seiner Karriere als Tätowierer: Er war gerade mal 22 Jahre alt, als in Chicago ein junger Mann seinen Laden betrat. Es war der Sohn des damals zum Tode verurteilten Serienkillers John Wayne Gacy. Das Brisante an der Geschichte: Der Sohn des Mörders wollte auf seinen Körper ein Porträt seines Vaters tätowieren lassen – und zwar ausgerechnet am Tag der Exekution. «Als der Mann reinkam und das Bild aus dem Mäppchen zog, wusste ich Bescheid. Ich schloss gleich das Studio. Wenn jemand das Recht auf das Porträt einer Person hat, ist dies doch das Kind, nicht?»

Und da ist sie wieder, seine Ernsthaftigkeit. Tätowieren ist eben nicht immer Spass.

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