Mit Mittelfinger und Gebrüll: Geständnis eines Velo-Rowdys
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Als Velofahrer sieht man in Luzern öfters rot.
(Bild: fotolia)Liebe Autofahrer in der Stadt Luzern: ich fahre mit dem Velo auf dem Trottoir, dem Fussgängerstreifen und mitten im Kreisel. Immer so, dass kein Auto mehr vorbeikommt. Ich bin ein Velo-Rowdy, der täglich Gesetze missachtet. Und Sie, liebe Autofahrer, haben mich dazu gemacht.
Ein tiefer Atemzug, dann drückt der Fuss auf die Pedale, die Kette hakt ein, der Kranz beginnt sich zu drehen.
Als Landei liebte ich das Velofahren. Der morgendliche Schulweg war Ertüchtigung und Erholung zugleich. Selbst den Güllenduft genoss ich, wenn ich abends wieder die Ennetbürger Herdern erreichte. Denn das hiess: Ich war fast zu Hause.
Schluss mit den Nettigkeiten
Heute hat Velofahren weder mit Sport noch mit Psychohygiene etwas zu tun. Im Gegenteil: Es sind kurze Kapitel voller Adrenalin, Mittelfingergymnastik, Gehupe und mitleidig-höhnischem Gelächter.
Ständig werde ich auf meinem Rad mit wüsten Worten bedacht – und hier kommt mein Mittelfinger zurück. Denn während der fette 4×4 so gebaut ist, dass bei einer Kollision bestimmt keiner ausser dem Fahrer überlebt, sind wir Velofahrer den Metallmonstern und ihren Reitern schutzlos ausgeliefert. Den Sonntagsfahrern, den Posern, die ihren Motor aufheulen lassen wollen, den Vielbeschäftigten am Handy, den Unsicheren und den zu Sicheren.
Wegen ihnen weiche ich aufs Trottoir aus, schneide die Kurve und überfahre die rote Ampel. Das tue ich ganz ehrlich nicht, um sie zu ärgern. Ich tue es, um uns beide zu schützen.
Wer fährt denn da?
In der Stadt Luzern ist Velofahren nahezu lebensgefährlich. In der Innenstadt fahren nämlich vor allem die Menschen Auto, die nicht in der Stadt leben. Denn die haben kein Auto. Doch das ist ein anderes Thema.
Es geht darum, dass in der Stadt vor allem Menschen Auto fahren, die nicht hier leben und die Stadt deshalb nicht besonders gut kennen. Sie wissen nicht auswendig, wann welche Ampel auf grün springt, bevor sie es tut. Sie wissen nicht, hinter welcher mannhohen Mauer immer ein Fussgänger herumstolpert oder welche Strasse gerade wegen Bauarbeiten zum Paradies für Velofahrer mutiert.
Wir präsentieren deshalb: Eine todesmutige Fahrt über die sieben Ecken des Terrors. Also eine Velofahrt durch die Luzerner Neustadt.
Die Unmögliche: Drei Spuren Autos und Linksabbiegen
Ich fahre zwischen den Reihen stehender Autos weiter, schlängle mich schräg durch drei Spuren bis ganz nach vorne. Beinahe streife ich die Karosserien mit dem Lenker, mein Fuss sucht immer wieder am Boden Halt. Hinter den Steuern schütteln sich die Köpfe fast synchron. Die Ampel leuchtet noch immer in sicherem Rot. Zum Glück, denn ansonsten kann man vergessen, an dieser Stelle als Velofahrer überhaupt abbiegen zu können. Die Autofahrer haben alle ganz viel Stress und keine Zeit, einem Menschen, der nicht metall- und motorverstärkt unterwegs ist, die Möglichkeit zu gewähren, die Spur zu wechseln.
Die grosse Unbekannte: Man darf auch geradeaus!
Die junge Dame hupt mich an und entrüstet sich, weil ich einige Sekunden vor dem Umspringen der Ampel bereits in die Pedale trete. Das tue ich jedoch, weil ich weiss, dass sie mich ansonsten über den Haufen fährt und sich entrüstet, weil sie nicht weiss, dass man hier geradeaus und rechts fahren kann. Und nicht nur rechts, wie sie das eben immer tut.
Die Unauffällige: Dann halt über den Zebrastreifen vor dem Stadthaus
Schon aus gefühlten 100 Metern Entfernung hupt der alte Mann und flucht beim Näherkommen altväterisch aus dem offenen Fenster. Selbstverständlich hätte ich seinen Rechtsvortritt noch fünf Minuten abwarten können, doch ehrlich gesagt überquere ich die halbe Strasse noch viermal, bevor der Sonntagsfahrer mich auch nur annähernd mit seinem Slow-Motion-Gefährt vom Fussgängerstreifen schieben könnte. Und ja, ich fahre über den Zebrastreifen, weil die Ausfahrt direkt in einen Zebrastreifen mündet.
Die Spiralen des Todes: Kreisel
Kreisel sind für Velofahrer grundsätzlich lebensgefährlich. Um auf der sicheren Seite zu bleiben, fahre ich also so in den Kreisel, dass mich niemand überholen kann. Das halten besonders Fans der hohen Pferdestärken für Schikane und drängeln in der Mitte an mir vorbei, um an der nächsten Abfahrt abzubiegen und mich damit zur Vollbremse mitten im Kreisel zu zwingen. Hätte ich eine Hupe – sie hätte den Möchtegern-Gangster aus seinem beheizten Sitz gehoben.
Die Ignorierte: Immer wieder die Bruchstrasse
Was Autofahrer besonders gut beherrschen, das ist das gekonnte Ignorieren, dass sich Vorfahrten ändern können. Also biegen sie fröhlich und zackig um die Ecke, ohne auch nur annähernd in die Strasse zu schielen, in welcher sich andere Verkehrsteilnehmer törichterweise sicher fühlend fortbewegen. Dementsprechend oft bleibt Velofahrern auf dieser Strecke die Pumpe kurz stehen.
Die Ignorierte, Nummer zwei
Es ist eine grossartige Sache, dass man neuerdings in der Luzerner Neustadt einige Einbahnstrassen als Velofahrer auch in die entgegengesetzte Richtung befahren kann. Nicht so grossartig ist hingegen, wenn die entgegenkommenden Fahrzeuge diesen Fakt komplett ausblenden und deshalb beim Abbiegen entgegenkommende Velos konsequent zu kriminellen Bremsmanövern zwischen geparkten Autos und aufgescheuchten Fussgängern auf dem Trottoir zwingen.
Dann fliegen die Hände hinter der Frontscheibe, der Mund formt wüste Worte und schon ist das Fahrzeug abgebogen. Der Fahrer fühlt sich im Recht und fragt sich nicht annähernd, was der rote Streifen auf der Fahrbahn wohl zu bedeuten hatte. «Vielleicht das Blut der Velo-Rowdys, die hier bestimmt nicht durchfahren dürfen. Die machen ja eh, was sie wollen!»
Ja, das tun wir. Aber nur, weil wir, wenn wir die Gesetze befolgen würden, schon lange nicht mehr in der Lage wären, auf den Sattel zu steigen.
Ach. Und falls sich die Autofahrer hier erneut echauffieren wollen: Ich bin zudem umweltfreundlicher als sie!
Und fitter.
Vielleicht.
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