Einblick in die Arbeit der Kesb

Missbrauchsvorwürfe: Die schwierige Aufgabe der Kinderschützer

Im dänischen Film «Die Jagd» gerät ein Erzieher zu unrecht in der Verdacht, ein Kind missbraucht zu haben. (Bild: Screenshot Magnolia Pictures)

Ein Vater wirft dem neuen Mann seiner Ex-Frau vor, er würde seine Tochter sexuell missbrauchen. Ist es ein Racheakt? Oder hat der Mann das Kind wirklich angefasst? Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde hat eine heikle Entscheidung zu treffen.

Die folgende Geschichte lässt sich aus zwei Perspektiven erzählen. Derjenigen eines besorgten Vaters, der Angst hat um sein Kind und es mit aller Macht vor Übergriffen schützen will. Und derjenigen eines Mannes, der unschuldig unter einen schrecklichen Verdacht gerät.

Es ist ein Tag im Herbst, an dem der Vater zur Polizei geht und dort gegenüber dem neuen Freund seiner Ex-Frau massive Vorwürfe erhebt. Er erzählt unter anderem, seine Tochter habe einer Verwandten erzählt, dass der «Stiefvater» sie zwischen den Beinen auskitzle. Sie liege dabei im Bett mit ihm und ihrer Mutter, die beide nackt seien.

Beim Spielen habe sie ihm mal gesagt, der Mann gebe ihr Ohrfeigen an die «Mumu» und zupfe daran. Seiner neuen Freundin gegenüber habe sie weitere Aussagen gemacht, welche die Vermutung nahelegen, dass sie missbraucht worden sei.

Ein fröhliches und offenes Kind

Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) wird durch eine Gefährdungsmeldung des Vaters auf den Fall aufmerksam gemacht. Sie geht den Vorwürfen umgehend nach und setzt eine Beiständin ein, die das Kind in diesem Prozess begleiten soll. Das Problem: Kinder unter vier Jahren sind noch nicht in der Lage, ein Erlebnis verständlich zu schildern. Das Mädchen war zum angeblichen Tatzeitpunkt jünger.

Die Experten der Kesb befragen deshalb das Umfeld, etwa die Kinderärztin und die Spielgruppenleiterin. Alle beschreiben das Mädchen als fröhliches und offenes Kind. Bedenkliche Vorfälle oder eine Verhaltensänderung konnte niemand feststellen.

Die Vorwürfe stehen zwischen den Eltern und führen zu heftigen Konflikten zwischen den beiden. Der Beschuldigte selber ist tief getroffen. Er lebt seit mehreren Jahren mit der Mutter und dem Kind unter einem Dach und kümmert sich um die Kleine. Er habe ihr nie etwas angetan, versichert er. Es handle sich um die Rache eines gekränkten Mannes, der von Hass gesteuert werde. Und das nur, weil seine Ex-Frau unter anderem wegen ihm die Trennung wollte.

Kein hinreichender Tatverdacht

Die Kesb kommt nach ihren Abklärungen zum Schluss, dass es keine Hinweise auf sexuelle Übergriffe gibt. Das Mädchen bleibt deshalb bei der Mutter und ihrem neuen Freund. Auch die Staatsanwaltschaft eröffnet kein Verfahren gegen den Mann. Sie ist der Meinung, dass kein hinreichender Tatverdacht besteht.

Dementiert werden konnten die Vorwürfe durch die Abklärungen der Kesb allerdings auch nicht. Die Beiständin wehrt sich deshalb gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft, das Strafverfahren nicht an die Hand zu nehmen. Der Fall kommt vor das Kantonsgericht.

Es muss eine Befragung durchgeführt werden

Dieses führt in seinem Urteil aus, dass die Staatsanwaltschaft die Eröffnung eines Verfahrens nur in einem Fall ablehnen darf: wenn absolut klar ist, was passiert ist. Bestehen Zweifel an einem Sachverhalt, so muss sie aktiv werden.

Es gibt zwar keine Hinweise auf einen Kindsmissbrauch, im Gegenzug aber auch keine darauf, dass sich der Vater mit den Vorwürfen nur habe rächen wollen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Kind sich ihm gegenüber so geäussert hat, wie er es behauptet.

Bislang seien die angezeigten Straftaten nicht mit den Mitteln des Strafrechts aufgearbeitet worden. Das gelte es nachzuholen. Inzwischen sei das Kind alt genug für eine Befragung. Ob die Vorwürfe einen reellen Hintergrund haben oder nicht, werde sich dann zeigen. Die Staatsanwaltschaft wird nun ein Strafverfahren eröffnen müssen.

Wie arbeitet die Kesb und wie ist die Qualität der Entscheide? Dieses Thema stellt zentralplus in den Fokus einer Artikelserie. Bisher erschienen ist ein Bericht über die umstrittene Organisation der Zuger Kesb sowie die neusten Fallzahlen in Zug. Weiter wurde über den Fall eines Luzerners berichtet, der sich erfolglos gegen einen Entscheid einer Luzerner Kesb wehrte. Und darüber, wie sich dieser Fall dank eines Vorsorgeauftrags hätte verhindern lassen. Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit einer Frau, die an Schizophrenie erkrankte und sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern konnte. Im jüngsten Fall ging es um die Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf die Kinder.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


2 Kommentare
  • Profilfoto von Jérôme Perret
    Jérôme Perret, 16.08.2019, 07:30 Uhr

    «Kinder unter vier Jahren sind noch nicht in der Lage, ein Erlebnis verständlich zu schildern. Das Mädchen war zum angeblichen Tatzeitpunkt noch jünger.» Jünger als ‹unter vier Jahren› ist kaum möglich…

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
    • Profilfoto von Lena Berger
      Lena Berger, 16.08.2019, 08:27 Uhr

      Lieber Jérôme, das «noch» in dem Satz bezieht zieht darauf, dass das Mädchen damals noch nicht nicht vier Jahre alt war, sprich «noch jünger». Ich sehe jetzt aber dank Deinem Hinweis, dass man es auch anders verstehen kann und werde den Satz deshalb mit einem «damals» ergänzen. Merci!

      👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon