Michaela Kolodzej: Sie malte sich aus der Angst frei
Erfüllt sich ihren Traum eines eigenen Ateliers: Michaela Kolodzej. (Bild: zvg)
Manche Träume bohren sich durch jede Wand. Michaela Kolodzej (31) hat in Kellern überlebt, an Grenzen Sprachen gelernt – und sich nie von Zweifeln aufhalten lassen. Nun eröffnet die gebürtige Slowakin in Luzern ein Kunstatelier.
Als Michaela Kolodzej 18 Jahre alt war – sie arbeitete damals als Zimmermädchen – erklärte ihr ein Pensionsbesitzer, dass das Zimmer dort unten in den kommenden Wochen ihres sein würde. Und zeigte auf eine Kellertüre. Michaela wusste nicht, ob sie da wieder heil rauskommen würde. Es war ihr erster Arbeitstag im Ausland.
Ihre Zimmermädchen-Kolleginnen hatten sie gewarnt, aber sie war jung, fremd und sprach kaum Italienisch. In den kommenden Tagen zwang der Mann sie immer wieder, aus demselben Teller zu essen wie er. Die Türe ihres Zimmers konnte sie in der Nacht zum Glück von innen verschliessen.
Drei Tage lang lebte sie in Angst und Schrecken, bis es ihr gelang, in einer Minute dem Onkel durchzugeben, wo sie war. Er holte sie raus, die Polizei schloss später die Pension. Michaela weint, als sie heute davon erzählt – und streicht gleichzeitig ihrer Tochter übers Haar. «Ich will ihr sagen: Gib nie auf. Niemals!»
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Wie Michaela Kolodzej Angst überwand und Kunst wagte
Was ein Kellererlebnis in Italien bei ihr auslöste
Weshalb sie ihr Atelier ohne Kredit gründete
Die Entscheidung, nie Opfer zu bleiben
Michaela hat gelernt, dass man kämpfen muss. Gegen Angst, gegen Ungerechtigkeit – und manchmal auch gegen das Gefühl, nichts wert zu sein. Ihr Vater war schwerer Alkoholiker. Als sie auf dem Heimweg von der Schule von einem Obdachlosen nach Geld gefragt wurde, platzte sie manchmal fast vor Scham – denn der Mann war ihr Vater. Heute sagt sie: «Ich habe viele starke Frauen um mich, meine Mutter ist mein grösstes Vorbild.» Und genau das will sie auch sein – für ihre Tochter, für andere Frauen, für sich selbst.
Sie ist nicht nur Mutter, Partnerin, Kreative. Sie ist eine, die nicht aufhört, an ihre Träume zu glauben. Als sie mit 18 Jahren nach Italien ging, landete sie zuerst bei ihrer Patentante, arbeitete als Zimmermädchen, lernte Italienisch, arbeitete hart. Nach ihrer Tätigkeit als Zimmermädchen arbeitete sie im Service.
In Luzern hat sie ihr Zuhause gefunden
Später zog sie weiter nach Österreich und lernte dort ihren Mann kennen, der heute Fliegengitter montiert, nebenbei als Koch und Security arbeitet und ihr grösster Unterstützer des Kreativ-Ateliers wurde.
Die Reise geht mit ihrem Mann weiter nach Deutschland und schliesslich landen sie im Jahr 2017 in der Schweiz. Ein Freund zeigte ihr damals Fotos von Luzern. Sie verliebte sich sofort in die Natur. Und den Pilatus – ein Berg, der jenem in ihrer slowakischen Heimat ähnelt.
Nebenbei jobbte und sparte sie. Aber Michaela träumte auch. Immer wieder kommt die Vision eines eigenen Kunstateliers hoch. Obwohl sie in der Slowakei einen Abschluss in Kunst hat, fand sie in der Schweiz keine Stelle.
Woher ihre Stärke kommt
Die Sprachen – sie spricht sechs – haben ihr geholfen. Nicht nur bei der Arbeit in der Gastronomie, auch beim Netzwerken, beim Zugang zu Menschen, beim Aufbau ihres Traums. «Je mehr Sprachen man spricht, desto mehr Menschen erreicht man.» Und so erreichte sie während ihrer zwölfjährigen Tätigkeit als Service-Angestellte viele. Viele davon waren nicht Schweizerinnen. «Interessanterweise waren es meist andere Ausländerinnen, die mir geholfen und mich bestärkt haben, es zu versuchen.»
Obwohl Freunde aus ihrem Umfeld ihr finanzielle Unterstützung angeboten haben, einen Kredit wollte sie trotzdem nie aufnehmen. Michaela sparte ihr gesamtes Startkapital durch ihre Arbeit im Service – oft 100 Prozent arbeitend, schwanger.
Mit dem angesparten Trinkgeld kam am Ende ein fünfstelliger Betrag zusammen, den sie in ihr Atelier investierte. Ihr Ziel war immer klar: frei und unabhängig sein. Nicht, weil ihr Mann sie unterdrückte – im Gegenteil – sondern weil sie wusste: «Ich wollte nie eine Frau sein, die nur gut ist, weil er das Geld nach Hause bringt.»
Zwischen Kunst, Kind und Kompromissen
Ihre Tochter kam im Dezember 2022 zur Welt. Die Schwangerschaft war kompliziert. «Im fünften Monat sagte der Arzt, jetzt entscheide sich, ob mein Kind leben will oder nicht.» Es war ein Wendepunkt. Sie begann, sich selbst zu spüren, sich selbst ernst zu nehmen. Der Wunsch nach dem eigenen Atelier wurde konkreter.
Im Mai eröffnet die 31-Jährige ihr «ArtvibesAtelier» an der Alpenstrasse in Luzern, ein Kunstatelier für Familien, aber auch Paare und Einzelpersonen sind willkommen. Bei der Suche nach einer Gewerbefläche sei sie auf Hürden gestossen. Auch wegen ihres Akzents, wie Michaela vermutet. Bis sie fündig wurde. Mit ihrem neuen Atelier geht für sie nun ein Traum in Erfüllung.
Hier bietet sie mehr als «nur» Kunst: Sie bietet Raum für Kreativität, für Begegnung, für Heilung. «Ich will mit Kunst kommunizieren – oder Kinder kommunizieren lassen. Vielleicht kann ich sogar eines Tages mit Kunst therapieren.» Ob Kindergeburtstag, Polterabend, Date oder einfach ein kreativer Nachmittag mit den eigenen Kindern – Michaela passt ihr Angebot individuell an.
Einblicke in die Kunst und das Atelier von Michaela Kolodzej:
Kunst als Lebenslinie
Im Atelier wird es wild, farbenfroh, fantasievoll. Kinder dürfen auf einem Velo fahren und so Farbe auf Leinwände bringen, mit der Schaukel Farben verspritzen, mit Föhn und Figuren experimentieren, Steine zum Verzieren draufkleben. Michaela hat sich alles selbst aufgebaut, recherchiert, organisiert – mit Unterstützung ihres Mannes und ihrer Mutter, die anfangs bei der Betreuung hilft, während Michaela das Atelier aufzieht.
Doch das Atelier ist nicht das Ziel – es ist der nächste Schritt auf einem langen Weg. Michaela ist keine, die stehen bleibt. Sie hat Pläne: Angebote für Schulen, Kindergeburtstage, vielleicht Ferienhort-Projekte stehen als Nächstes an. «Ich will etwas Gutes leisten – und etwas zurückgeben. Wenn es dir gut geht, spüren das alle um dich herum – Kinder, Freunde, sogar Hunde.» Von denen sie übrigens zwei hat.
Und immer weiter
«Es gibt beschissene Tage, klar», Michaela sagt das leise, aber fest. «Aber nichts, was sich zu haben lohnt, kriegt man umsonst.» Ihre Stimme wird weich, als sie wieder ihre Tochter ansieht, die auf ihrem Schoss sitzt. Sie hat gelernt, dass das Leben zerbrechlich ist. Und dass es manchmal genau die dunkelsten Keller sind, die dir zeigen, wie sehr du das Licht brauchst. Heute lebt sie in diesem Licht – und lässt es in ihren Farben weiterleuchten.
Doktorandin an der Universität Luzern mit besonderem Interesse für Themen der Ungleichheits- und Geschlechterforschung. Schreibt seit 2018 als freie Journalistin für zentralplus und begeistert sich vor allem für gesellschaftliche und sportliche Themen. Liebt Fussball, seit sie denken kann. Ist Mutter von zwei Mädchen.