Sexismus im Rap: Das sagt eine Luzerner Rapperin

«Mich stören frauenfeindliche Texte nicht gross»

Gibt auch mal ein «Bitch» von sich: die Luzernerin Ivorrie. (Bild: Youtube Screenshot: Ivorrie - Broken)

Frauenfeindliche und homophobe Texte haben im Rap Tradition. Auch der diesjährige Rap-Battle Cypher zeigte, dass immer noch viele solche Zeilen fallen. Wir haben mit Rapperin Ivorrie darüber gesprochen – und mit einer Rapperin der ersten Stunde.

Sie selbst hat lange damit gestruggelt, sich als Frau in der R'n'B- und Hip-Hop-Szene ernstgenommen zu fühlen: Ivorrie, die mit bürgerlichen Name Michelle Allemann heisst.

Die Luzerner Rapperin bewegt sich seit Jahren in der Szene (zentralplus berichtete). «Mittlerweile fühle ich mich als Frau recht wohl», sagt Ivorrie. «Ich habe das Gefühl, mir wird auch mehr Respekt entgegengebracht.» Vielleicht liegt es daran, dass sie mehr Selbstvertrauen gewonnen hat, sie weiss, was sie will. Und wohl auch daran, dass immer mehr Frauen in der Szene Fuss fassen, so Ivorrie.

Das können von Künstlerinnen wird oft unterschätzt

«Mein Können wurde zu Beginn oft unterschätzt.» Sie nimmt's aber gelassen. «Manchmal mag ich das sogar. Weil wenn du den anderen das Gegenteil beweist, ist es das geilste Gefühl überhaupt.»

Rap und Sexismus gehen Hand in Hand, meinen wir so oft. Viele Texte von Rappern weisen frauenfeindliche Zeilen auf. Es fallen Wörter wie «Bitch» oder «Fotze». Auch am diesjährigen Cypher – einem Rap-Battle, bei dem sich mehr als 86 Rapper aus der ganzen Schweiz gegeneinander gemessen haben – erntete harsche Kritik. Und einen Shitstorm.

Sexistische Zeilen lösten einen Shitstorm aus

Denn am Cypher, der live übertragen wurde, wurden auch folgende Zeilen zum Besten gegeben:

«(...) ich zücke eifach Pumpgun und dänn Abstand chline Gay» (Soldi)

«Mis Side Chick isch vo Adel aber dient nur als Accessoire
dis serviert im Mac und rasiert nie d'Achselhaar
» (Danase)

Das führte zu viel Unverständnis und Wut. Auch Pablo Vögtli, ein Luzerner Rapper, der als Co-Moderator durch den Event führt, zeigte sich emotional angeknackst in einer Instagram-Story, die er Tage nach dem Event postete. «Es tut mir weh und es tut mir leid, wie viele homophobe, sexistische und sonstig diskriminierende Aussagen am Cypher gefallen sind», sagte er (zentralplus berichtete).

Ivorrie flucht selbst – und benutzt das Wort «Bitch»

Ivorrie battelte ebenso am diesjährigen Cypher wieder mit. «Ehrlich gesagt habe ich den ganzen Shitstorm gar nicht so mitgekriegt», sagt die Luzernerin. «Wenn sexistische Sprüche gegenüber Frauen fallen, ist das zwar doof. Aber auch wir Frauen geben den Männern manchmal zurück. Wenn es aber um Homophobie geht, bin ich komplett dagegen. Das kapiere ich wirklich null.»

Auch Ivorrie benutzt in ihren Songtexten das Wort «Bitch». Das sei ihr auch schon vorgeworfen worden. «Es ist ja auch nicht abwertend gemeint.» Ihr geht es eher darum, etwas, was Männer abwertend gegenüber Frauen nehmen, als Frau aufzugreifen, quasi darüber Macht zu haben.

«Vielleicht klingt es jetzt auch ein wenig anti-feministisch. Aber mich stören frauenfeindliche Texte nicht gross. Ich verstehe aber, dass es mega asozial ist, wenn jemand solche Zeilen bringt – aber es gibt eben auch künstlerische Freiheiten.»

Im Allgemeinen spürt sie aber, dass sich Rap- und Hip-Hop-Szene positiv entwickelt. «Es gibt auch immer mehr homo- oder bi-sexuelle, die in der Szene Fuss fassen und respektiert werden. Das konnten sich viele ja lange Zeit nicht vorstellen.» Doch auch Ivorrie sagt: «Auch wenn sich die Szene positiv entwickelt – es geht sehr langsam voran.»

Das sagt die Rapperin der ersten Stunde

Oft sagen Rapper, sie seien müde, dass auch Jahrzehnte später noch immer dieselben Grenzen überschritten werden, Frauenfeindlichkeit und Schwulenfeindlichkeit zum Thema der Szene wird.

Auch Bianca Litscher sieht das ähnlich – findet die Diskussion aber nötig. Denn sie wirft Grundsatzfragen über die Meinungs- und künstlerische Freiheit auf. Litscher gilt als eine der Pionierinnen der Schweizer Rap-Szene. 1989 entdeckte sie für sich Hip-Hop. Als Graffiti-Künstlerin und Rapperin wurde sie unter dem Namen Zora international bekannt.

Sexistische und homophobe Punchlines gab es auch schon zu Litschers Zeiten als Rapperin. Mit dem Unterschied, dass damals bei einem Battle vielleicht ein paar Dutzend Menschen live vor Ort zuhörten – und nicht Tausende wie beim Cypher, das live übertragen wird.

Mit den Konsequenzen muss man leben können

Bei einem grösseren Publikum gibt es auch mehr Reaktionen. Das hat seine Vorteile, wie Litscher findet. Durch Feedbacks eines breiteren Publikums könnten die Rapper aus ihrem Verhalten Rückschlüsse ziehen und bestenfalls daraus lernen. «Aber warum so lange warten?», fragt die Luzernerin.

«Als Rapperin kann ich die Dynamik und den Witz des Freestyle-Reimens verstehen. Es soll auch alles gesagt werden können und dürfen.» Man dürfe da auch nicht alles zu ernst sehen. Als Erwachsene sieht Litscher aber die Verantwortung, mit den Konsequenzen solcher Aussagen leben zu müssen.

«Heftige Sprüche mögen unter Gleichgesinnten noch Applaus bewirken. Aber wer sich selber öffentlich als komplettes Arschloch, gesellschaftsfeindlich oder Ähnliches hinstellt, wird im Leben in unangenehme Situationen kommen und Rechenschaft ablegen müssen. Da kann man sich nicht rausreden.» Und als Zuhörerin sei es einfach auch langweilig, 2022 immer noch dieselben diskriminierenden Aussagen zu hören.

Jemanden dissen – ohne unter die Gürtellinie zu gehen

Die heute 47-Jährige sagt: «Man kann in einem Battle auch jemanden dissen, ohne sexistisch, homophob und rassistisch zu sein. Nämlich pickelhart zu sein – auf eine intellektuelle und eloquente Art. Ohne diskriminierend zu werden. Dreckige Witze, nicht einfach gestrickt, mit Qualität, hart an der Grenze, aber eben nicht niveaulos. Wer das hinkriegt wird auch gefeiert.»

Aber wo ist die Grenze? Der Unterschied macht die Absicht dahinter, findet Litscher. Ist es einfach nur ein Witz des Reims wegen oder ist die Person wirklich so Frauen- ,Schwulen – oder sonstwie gesellschaftsfeindlich? «Und fairerweise muss man sagen: Wenn eine Frau inhaltlich rappen würde, ihr Typ wäre nur ein Accessoire und bringt ihr die Kohle und dein Freund sei ein Looser, der in einem Burgerladen arbeitet mit unrasiertem Achselhaar, dann würden viele schmunzeln. Umgekehrt wird ein Rapper direkt als frauenfeindlich abgestempelt.»

Ihre Zeit als Rapperin möchte sie nicht missen. Aber sie hat bewusst einen Schlussstrich gezogen. Mit ihren Kumpels habe sie sich in der männerdominierten Szene als Frau zwar wohlgefühlt. Anfänglich. Mit der Zeit merkte sie, dass sie sich dadurch veränderte. «Der Rap wurde mir zu grob, zu hart, zu aggressiv. Ich spürte, wie das auf mich abfärbte. Dass auch ich männlicher, harter und aggressiver wurde.»

Mit der Zeit sei das mit ihrer Art, wie sie sich fühlte und wie sie anderen gegenüber treten wollte, nicht mehr vereinbar gewesen. 1992 bis 2001 war sie Mitglied bei Hip-Hop-Gruppen wie Wrecked Mob und AOH Family. 2004 erschienen ihre letzten Tracks.

«Eine Art von Rap, die weniger hart war und mit der ich mich als Frau besser repräsentiert fühlte, gab es nicht.» Für sie sei Rap zwangsläufig immer von einer harten, «männlichen» Energie geprägt. «Und wenn ich aus dem Rap eine weiblichere Form kreiert hätte, hätte es sich nicht mehr wie Rap angehört.» Vielleicht sei sie auch «zu wenig Rampensau» gewesen, um alleine weiterzumachen. «Nach rund 15 Jahren Hardcore-Hiphop musste ich mir selbst auch nichts mehr beweisen».

Basler Rap-Event setzt auf Sexismus-Buzzer

Andere Veranstalter von Rap-Events ziehen aus dem Cypher übrigens bereits ihre Schlüsse. So beispielsweise das Basler Cypher, das letzten Samstag über Radio X live übertragen wurde. Wie «bajour» berichtete, stand im Studio griffbereit ein Buzzer. Wenn ein Rapper eine Zeile mit diskriminierendem Inhalt rappte, hauten die Moderatoren auf diesen Buzzer. «Damit soll klar gemacht werden, dass Radio X nicht hinter diesen Aussagen steht», wird Rapper Fenton, der den Anlass organisierte, zitiert. Es wurde nur einmal gebuzzert.

Litscher findet diesen Buzzer eine gute Idee, um einzugreifen. Sie würde jedoch die Rapper frei performen lassen, dann aber Position durch strenge Massnahmen beziehen. Besser fände sie es, die Performances nicht live zu übertragen, sondern erst aufzuzeichnen und dann zensieren. «Solchen Aussagen darf man nämlich erst gar keine breite Plattform geben.» Dass dies dennoch getan werde, zeige, «wie man sich dies bereits gewohnt ist und es indirekt toleriert, was heutzutage eigentlich nicht mehr geht.» 

Auch Ivorrie findet den Buzzer toll. «Ich finde, ein gewisser Respekt gegenüber anderen sollte einfach da sein.» Dennoch kann sie die Kritik, dass es ein harter Eingriff in die künstlerische Freiheiten sei, Künstlerinnen Vorgaben zu machen, auch nachvollziehen. So auch Litscher. «Natürlich ist eine Zensur ein Einschnitt.» Wer aber die Plattform oder Bühne anbietet, könne auch die Regeln festlegen. «Wer rappt, soll sich dessen bewusst sein, dass es einen Unterschied macht, ob er zuhause rumbrabbelt oder ein grösseres Publikum bespielt mithilfe einer Plattform.»

Wenn der Druck und die Reaktion des Publikums stark genug sei, werde es mehr Einschränkungen geben. «Ich finde, da ist jeder Person angehalten, nach seinen Werten zu handeln», so Litscher. «Und wenn man für ein Wohl der Menschen ist, hört die Freiheit da auf, wo sie beschränkt und bekämpft wird von anderen.»

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