Ist die Fifa Mittäter oder Weltverbesserer?

Menschenrechte im Abseits: WM-kritische Debatte im Neubad Luzern

Die Diskussionsrunde zum Thema Menschenrechte im Neubad Luzern.

(Bild: giw)

Bald ist es wieder soweit, die ganze Welt verfolgt vor den Bildschirmen den Mega-Event Fussball-WM. Doch in Russland ist nicht alles Gold, was glänzt. Gerade punkto Menschenrechte. Im Neubad debattierten Experten und Betroffene, ob die Weltmeisterschaft die Situation vor Ort verbessert – oder gar verschlimmert.

Die Fussball-WM 2018 lässt nicht mehr lange auf sich warten: In einer Woche startet das Sportspektakel in Russland mit dem Spiel zwischen den Gastgebern und Saudi-Arabien im Olympiastadion Luschniki. Die Partie ist aus sportlicher Sicht nicht besonders reizvoll.

Die beiden Nationen stehen jedoch auch stellvertrend für die Kontroverse um die Austragung der WM in einem Land, das mit Menschenrechten seine Mühe hat. Bevor die Party losgeht, gab es deshalb im Neubad Luzern eine Podiumsdiskussion zum Thema.

Zweifach gefolterter Journalist kritisiert Fifa

Man möchte bei aller Freude über die Weltmeisterschaft dennoch auch den Blick auf die Schattenseite richten, sagen die Podiumsveranstalter Neubad und Terre des Hommes Schweiz. Die Zwischennutzung überträgt notabene dennoch alle Spiele live.

Und das frische Bier schmeckte an diesem Abend tatsächlich rasch sehr bitter – dafür sorgte unter anderem Ali Feruz, usbekisch-russischer Journalist. Er wurde nach eigenen Angaben gleich zweimal gefoltert, erst in Usbekistan und dann in russischen Gefägnissen. Einmal, weil er sich weigerte für den usbekischen Geheimdienst zu arbeiten. Und ein zweites Mal nach seiner Verhaftung in Russland 2017, als man in zurück in seine Heimat deportieren wollte. Das konnte der europäische Menschrechtsrat verhindern, heute lebt er in Deutschland. Da er kaum Deutsch spricht, hatte er eine russischsprachige Übersetzerin an seiner Seite.

Er betont, die Menschenrechtslage im Land sei katastrophal. Und er nahm die Fifa in die Verantwortung, diese schaue weg. «Angesprochen auf den Tod von 24 Arbeiter während den Stadionarbeiten, hat die Fifa sich einfach nicht geäussert.» Die Organisation betone gerne ihr Commitment zu Ethik und Rechten, doch im Detail gehe sie Hinweisen über Missstände nicht nach.

Ali Feruz, usbekisch-russischer Journalist (Bildmitte), neben ihm sitzt rechts Marianne Meier von Terre des Hommes Schweiz.

Ali Feruz, usbekisch-russischer Journalist (Bildmitte), neben ihm sitzt rechts Marianne Meier von Terre des Hommes Schweiz.

(Bild: giw)

«Situation hat sich verbessert»

Auch der Doku-Film der ARD aus dem vergangenen Jahr zeigte eindrücklich auf, wie Sport und Politik Hand in Hand gehen. Dieser wurde vor dem Gespräch vorgeführt. Er zeigt: Putin kann sich ins richtige Licht rücken, während seine verbündeten Oligarchen sich mit beiden Händen bereichern. Korruption, Ausbeutung der Arbeiter, die zuweilen aus Nordkorea kommen, und Bereicherung sind das Resultat der Vergabe der WM nach Russland.

«Die Situation rund um die Austragung der WM hat sich deutlich verbessert gegenüber 2017», entgegnet die deutsche Sylvia Schenk, von Transparency International. Die Faktenlage sei heute eine andere. So würden unter anderem Hotlines für Menschenrechtler und Journalisten eingerichtet, ein Pride-Zentrum in Moskau erstellt und auch die Situation auf den Baustellen habe sich verbessert.

Fifa mangelt es an Transparenz

Sie ist Expertin im unabhängigen Beratungsausschusses für Menschenrechte in der Fifa. Im Hintergrund würde sich der Veranstalter sehr einsetzen, um kritische Organisationen zu schützen. «Aber es fehlt der Fifa an Transparenz, das ist klar», gesteht Schenk ein.

Man könne die Weltfussballorganisation aber nicht für alle Menschenrechtsprobleme verantwortlich machen im Rahmen einer solch komplexen Veranstaltung. Ausserdem werde die Fifa auch im Hinblick auf die nächste Vergabe erstmals verbindliche Regeln zu Menschenrechten in den Vertragsvereinbarungen festlegen.

Diesen Ball nimmt UEFA-Funktionär Patrick Gasser, Leiter der Abteilung Fussball und Soziale Verantwortung, auf. Die Öffentlichkeit verlange zu viel – letztlich gehe es auch um den Sport. Ma müsse der Fifa einen Kranz winden, sie habe auch in der Hoffnung auf eine Besserung Russland als Austragungsort bestimmt.

Hinten kicken Gianni Infantino und Vladimir Putin, vorne diskutieren die Podiumsteilnehmer im Neubad.

Hinten kicken Gianni Infantino und Vladimir Putin, vorne diskutieren die Podiumsteilnehmer im Neubad.

(Bild: giw)

Darf die WM überhaupt in Russland stattfinden?

«Es gibt die Tendenz, politische Forderungen auf dem Buckel von Grossveranstaltungen durchzudrücken», sagte der Obwaldner in der Debatte. Wie Schenk erachtet Gasser die Austragung einer Sportveranstaltung als Chance, um auf Probleme aufmerksam zu machen und eine Öffnung des Landes zu erreichen.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Für Marianne Meier vom Kinderhilfswerk Terre des Hommes Schweiz ist klar: «Würde die Fifa ihre eigenen Richtlinien konsequent umsetzen, dürfte keine WM in Katar oder Russland stattfinden.» Sie hinterfragt auch die Nachhaltigkeit der Spielregeln, die man während der WM mit Regierungen aus undemokratischen Staaten festlegt. «Wie kann sichergestellt werden, dass die geduldeten Aktivisten später nicht dreifach so hart bestraft werden?», fragte sich Meier.

Erst nach über 90 Minuten Debatte konnte Seraina Degen, Frauenfussballexpertin und Journalistin des SRF die spannende Runde gegenüber dem Publikum öffnen. Und das fragte sich, weshalb überhaupt eine WM in Russland stattfindet. Letztlich würde damit die Situation verschlimmert, weil Politiker wie Putin ihre Macht noch festigen können, warf ein Zuhörer in die Runde. Und ein anderer fragte: Wachsen diese gigantischen Veranstaltungen der Fifa oder Uefa nicht einfach über den Kopf?

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