Wohnungen geteilt und an Arme vermietet

Luzerner Wohnungsbesitzer zocken mit Sozialzimmern ab

Eine Liegenschaft von Thomas Ottiger direkt neben dem Bahnhof von Emmen.

 

(Bild: giw)

In Luzern ist ein neuer Trend auszumachen: Wohnungen werden aufgeteilt und die Räume einzeln als «Sozialzimmer» angeboten. So lassen sich auch Zimmerpreise von 800 Franken erzielen. Leidtragende sind nicht nur die Sozialhilfeempfänger, sondern auch die Gemeinden, die das finanzieren müssen.

Sozialhilfebezüger tun sich schwer, eine neue Bleibe zu finden. Nicht nur aufgrund des geringen Budgets, das ihnen zur Verfügung steht. Sondern weil viele Vermieter sich schwer tun, mit Betroffenen einen Vertrag einzugehen. Gross ist die Furcht, dass am Ende des Monats die Rechnungen nicht beglichen werden oder die Leute ihr Leben nicht im Griff haben.

Diese Notlage wird gezielt ausgenutzt, glauben zwei Einwohnerräte aus Emmen. «Offensichtlich besteht seitens von Grundeigentümern die Absicht, Zimmer mit sehr tiefem Standard ohne eigene Wasch- und Kochgelegenheit an Sozialhilfebezüger zu vergeben», vermuten Christian Blunschi und Christian Meister.

Politiker schwärzen Anbieter an

Einer der Übeltäter sei dabei Thomy’s, der solche Zimmer an der Merkurstrasse vermietet. Faktisch seien diese Zimmer oder Wohnungen oft überzahlt. Daraus habe sich in den letzten Jahrzehnten ein Geschäftszweig entwickelt, der durch die wirtschaftliche Sozialhilfe subventioniert wird. Denn die Gemeinden bezahlen bis zu einem Maximalbetrag die Mietzinsen von Sozialhilfeempfängern.

Gleichzeitig führen solche Angebote dazu, dass Sozialhilfeempfänger in Gemeinden mit verhältnismässig tiefen Mietkosten ziehen. Beispiele sind Emmen und Kriens. Die hohen Kosten für die Sozialhilfe sind ein wichtiger Grund für die Finanzmisere der Gemeinde. 

Vorstoss fordert Gemeinderat zum Handeln auf

Auf der Webseite von Thomy’s werden Zimmer tatsächlich gegen Vorauszahlung für 800 Franken im Monat angeboten. Just der Betrag, den Emmen als Maximalbeitrag an die Wohnkosten von Sozialhilfebezüger bezahlt. Auf Anfrage ist ein Bezug schnell und einfach möglich, auch wenn Betreibungen vorliegen, erklärt der Eigentümer Thomas Ottiger auf Nachfrage. Den Bewohnern stehen kostenlos Aufenthaltsraum mit Küche sowie TV zur Verfügung. Doppelzimmer gibt es für 1’100 Franken im Monat, Dreibettzimmer schlagen mit 1350 Franken zu Buche.

«Wir gehen davon aus, dass in der Stadt Luzern 300 bis 400 Einzelzimmer für längerfristigen Verbleib angeboten werden.»

Marcel Huber, Bereichsleiter Soziale Dienste Stadt Luzern

Der Emmer Gemeinderat wird nun in einem Vorstoss der CVP-Politiker dazu aufgefordert, Mietzinsrichtlinien zu prüfen. Beispielsweise dahingehend, dass für Sozialzimmer ein tieferer Ansatz als die besagten 800 Franken eingeführt wird. Die Absicht ist klar: Die Einwohnerräte wollen die Spielregeln verschärfen und damit den Zuzug armer Menschen stoppen.

300 bis 400 Einzelzimmer in Luzern

Auch in der Stadt Luzern ist man mit sogenannten Sozialzimmern konfrontiert. «Eine neue Tendenz zeigt, dass in Familienwohnungen Zimmer einzeln vermietet werden, wobei Bad und Küche als gemeinschaftlich genutzte Räume dienen», sagt Marcel Huber, Bereichsleiter Begleitung und Unterstützung der Dienstabteilung Soziale Dienste. «Wir gehen davon aus, dass in der Stadt Luzern 300 bis 400 Einzelzimmer für längerfristigen Verbleib angeboten werden», sagt Huber. Man könne jedoch nicht beobachten, dass in der Stadt Luzern Mietzinsrichtlinien systematisch ausgenutzt werden.

 

«Die Vermietung von Einzelzimmern verspricht auf den ersten Blick eine hohe Rendite», sagt Huber. Längerfristig sei jedoch oftmals festzustellen, dass die Mieter eine überdurchschnittliche Fluktuation aufwiesen und oftmals über mangelnde Sorgfaltspflicht und Hygiene verfügen. Der kurzfristige Renditenachweis könne daher insbesondere zum Zwecke einer lukrativen Liegenschaftsveräusserung genutzt werden. Längerfristig seien die Kosten für die Bewirtschaftung jedoch überdurchschnittlich hoch, sagt Huber zur Praxis. Man gehe davon aus, dass der Markt an Einzelzimmer-Angeboten in der Zwischenzeit gesättigt ist.

«Das Vorgehen ist aber in mehrfacher Hinsicht stossend.»

Lothar Sidler, Sozialvorsteher Kriens

Weil die Mietkosten für solche Zimmer unterschiedlichste Nebenkosten wie Möbelierung, Fernsehen oder Reinigungsarbeiten beinhalten, seien die Preise schwierig vergleichbar. «Es gibt aber nur vereinzelte Anbieter, bei welchen das Preis-Leistungs-Verhältnis aus Sicht der Sozialen Dienste kritisch ist», sagt Huber. Ausserdem seien in praktisch keinem Fall Zimmer in einem heruntergekommenen Zustand.

Gemeinde Kriens prüft Richtlinien bei der Sozialhilfe

Wie in Emmen beobachtet der Krienser Sozialvorsteher Lothar Sidler eine steigenden Tendenz beim Sozialzimmer-Angebot. Es handle sich dabei noch um Einzelfälle. Er sei in den vergangenen 12 Monaten jedoch vermehrt mit dem Thema konfrontiert worden. Die Gemeinde bezahlt bisher maximal 900 Franken an die Wohnkosten für eine Einzelperson, die Sozialhilfe bezieht.

Aufgrund der Entwicklung kläre man aktuell ab, ob die maximalen Mietzinsen für solche Mietverhältnisse reduziert werden können, sagt Sidler.

Grundsätzlich liege für die Gemeinde kein Schaden vor, so lange die Mietzinsen für die Einzelzimmer den oben beschriebenen Mietzinsrichtlinien entsprechen – was regelmässig der Fall ist. «Das Vorgehen ist aber in mehrfacher Hinsicht stossend», sagt Sidler.

Günstiger Wohnraum werde «vernichtet»

Die Summe der Mietzinse, die mit einer einzelzimmerweisen Vermietung erzielt werden, seien deutlich höher als derjenige Mietzins, welcher mit der Vermietung der ganzen Wohnung verlangt werden könnte. Oder mit anderen Worten: Der Mietzins für das Einzelzimmer ist, im Vergleich zum Mietzins für die ganze Wohnung, zu hoch, sagt Sidler.

Ausserdem würde mit Sozialzimmern günstiger Wohnraum «vernichtet», indem nicht mehr die ganze Wohnung zu einem günstigen Mietzins vermietet wird. Und Sidler weiter: «Es wird die Situation von Menschen, die sich keine teure Wohnung leisten können und auf günstige Einzelzimmer angewiesen sind, ausgenützt. Das sei stossend, weil damit die Gemeinde über die Sozialhilfe Wohnraum finanzieren muss, der zu einem überhöhten Mietzins vermietet wird.

Im nächsten Beitrag erklärt Thomas Ottiger seine Sicht der Dinge. Er sagt: «Die Politiker greifen den Falschen an.»

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