Alkoholkonsum und Corona

Luzerner Suchtberater: «Vielen geht die Krise erst jetzt an die Substanz»

Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Angst um die Gesundheit: Die psychischen Auswirkungen der Corona-Krise fördern den Alkoholmissbrauch. (Bild: zvg)

Die Sucht-Fachstelle Klick beobachtete im Lockdown keinen Anstieg, sondern eher einen Rückgang der Beratungsanfragen. Im aktuellen Winter und mit der zweiten Welle wird das Trinkverhalten vieler aber erneut auf die Probe gestellt.

Manche mag es überrascht haben. Im Lockdown und während des Sommers beobachteten die Fachstellen keine markante Zunahme von Alkoholmissbrauch (zentralplus berichtete). Im Gegenteil: Die Gesuche nach Beratungen gingen sogar zurück.

Doch gegen Ende des Jahres dreht der Wind allmählich. «Das war auch meine Vermutung», sagt Ruedi Studer, Sozialarbeiter und Geschäftsführer der Luzerner Fachstelle für Suchtfragen Klick. «Vielen geht die Krise erst jetzt an die Substanz.» Insofern spiegle sich bei der Beratungsarbeit das Bild, das derzeit die Gesellschaft präge: Schwierigkeiten im Umgang mit Kurzarbeit, drohende Arbeitslosigkeit und damit verbundene Zukunftsängste zeigten sich oft erst, wenn die Auswirkungen lang anhaltend oder absehbar werden.

Homeoffice fordert hohe Selbstdisziplin – auch beim Trinken

Es sei im Homeoffice zudem schwieriger, die Disziplin aufrechtzuhalten, als im Betrieb. «Wenn der Chef und die Arbeitskolleginnen und -kollegen nicht im Raum sind, sinkt die Schwelle, öfters zur Flasche zu greifen.» Gerade für Personen nach dem Alkoholentzug oder bei längerer Abstinenz ist es eine schwierige, weil verlockende Situation.

Studer stützt seine Beobachtungen vor allem auf Erfahrungen aus der Beratungsarbeit. Klick suche in der Regel auf, wer schon länger trinke und bei dem Ärzte, Fachstellen, Partner oder andere Familienmitglieder problematisches Trinkverhalten festgestellt hätten, in selteneren Fällen auch die Betroffenen selbst. Der grösste Anteil der Klientinnen ist zwischen 45 und 55 Jahre alt. Viele kommen zu Klick, wenn das Trinkverhalten phasenweise oder chronisch hoch ist und sie sich Chancen auf einen kontrollierteren Umgang mit dem Alkohol erhoffen, was sehr häufig auch zu realisieren sei.

Gefahr in krisenbetroffenen Branchen am grössten

Studer geht davon aus, dass dort, wo sich die Krise am meisten zuspitzt, auch die Gefahr von Alkoholmissbrauch am stärksten steigen könnte: «Für Personen aus Branchen, in welchen viele Firmen von einer Schliessung oder von Kurzarbeit betroffen sind, kann Alkoholmissbrauch aus Angst oder Langeweile entstehen. In Berufen mit viel Überzeit und hohem Arbeitsdruck, um Stress abzubauen.»

Bei der Suchtberatung Schweiz geht man von 250'000 Personen aus, die an Alkoholabhängigkeit leiden. Das verursacht soziale Kosten von geschätzten 2,8 Milliarden Franken.

Unter dem Strich: weniger Arbeit für die Beratungsstelle

Für Ruedi Studer bleibt 2020 unter dem Strich aber ein Jahr, in dem weniger Personen die Fachstelle aufsuchten. Der Rückgang – über das ganze Jahr gesehen – kommt für den Geschäftsleiter nicht überraschend und hat mehrere Gründe:

  • Die meisten Neuanmeldungen bei Klick gebe es, weil Ärztinnen und Fachstellen betroffene Personen überwiesen. «Oft braucht es einen Schupf, dass man sich bei uns meldet», so Studer. «Da viele Ärzte ihre Patienten aber seltener gesehen haben, gibt es auch weniger Neuanmeldungen.»
  • Eine weitere Erklärung ist für Studer der Wegfall von öffentlichen «Trinkgelegenheiten»: «Durch den Ausfall von Events und die Einschränkungen bei Restaurant- und Barbesuchen hat der öffentliche Konsum und auch das Rauschtrinken abgenommen.»
  • In der Folge habe sich der Konsum ins Private verschoben. «Während des Lockdowns und der ersten Welle waren viele mit sich selbst beschäftigt – die Pandemiesituation, der Umzug ins Homeoffice und alle damit verbundenen Umstellungen.» Dabei sei der Alkoholkonsum nicht zwangsläufig angestiegen – was Studer auch aus Gesprächen mit Klienten schliesst, die bereits vor Ausbruch der Pandemie bei Klick gemeldet waren. «Viele unserer Klienten sind krisenerprobt. Das mag ein weiterer Grund sein, weshalb sie nicht unbedingt mehr getrunken haben, zumindest zu Beginn der Pandemie.»

Wie sich der Alkoholkonsum während der Krise genau verändere, ob die Zahlen insgesamt sinken oder steigen würden, dazu gebe es noch keine verlässlichen Indizien, so Studer. «Das wird sich vermutlich erst in den kommenden ein, zwei Jahren zeigen.» Angaben dazu liefern allenfalls die Verkaufszahlen der Detailhändler. Studers Vermutung: «Während wegen ausfallender Events und eingeschränkter Gastronomie insgesamt weniger Alkohol konsumiert wurde, hat der Konsum im Privaten wohl zugenommen.»

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