Stoff für mehrere Dok-Filme

Luzerner Mutter kämpft um Schulgeld für ihren ADHS-Sohn

Verhaltensauffällig: Kilian Chirici kam zweimal in Dok-Filmen über hyperaktive Kinder am Schweizer Fernsehen. (Bild: zvg)

Vor zwei Monaten schlug das Schicksal eines 13-jährigen autistischen Schülers Wellen. Die Eltern bekamen aufmunternde Zuschriften, dass ihr Sohn mit seinen Sorgen nicht allein sei. Es meldete sich auch Daniela Chirici, deren Geschichte schon vom Schweizer Fernsehen in einer Dok-Sendung gezeigt wurde.

Der 13-jährige Schüler wurde in eine Sonderschule in Schachen eingeteilt, weil er autistisch und deshalb verhaltensauffällig sowie schwer zu integrieren ist. Dort litt der Hochsensible dermassen unter chaotischen Zuständen, dass er weit über einen Monat zu Hause lernte (zentralplus berichtete). Ähnliches berichtet auch die 39-jährige Daniela Chirici aus Gisikon, die im Kanton Zürich in der Primarschule arbeitet und in Zug eine Beratungsstelle leitet.

2011 und 2017 wurde in einer zweiteiligen Dok-Sendung über hyperaktive Kinder Mutter Chirici mit ihrem Sohn Kilian porträtiert. Die Frage dahinter: «Sind unsere Kinder krank oder spinnt unsere Gesellschaft?»

zentralplus: Daniela Chirici, Sie haben sich nach der Lektüre des zentralplus-Artikels gemeldet. Ist das Schicksal des 13-jährigen Schülers kein Sonderfall?

Daniela Chirici: Nein, es handelt sich nicht um einen Sonderfall, mir sind einige solcher Fälle bekannt.

zentralplus: Was raten Sie der betroffenen Familie?

Chirici: Ich kann nur raten, dran zu bleiben, denn es gibt immer eine Lösung.

«Kilian wurde im Februar 2013 von der Schule ‹geschmissen›, ohne Perspektive.»

zentralplus: Sie kennen die Problematik aus nächster Nähe und sind seit Jahren selber betroffen: Ihr Sohn Kilian erlebte Ähnliches. Was genau?

Chirici: Ich bin Mutter von zwei Jungs, und mein älterer Sohn Kilian ist von der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betroffen. Wir haben mit ihm in der Schule Mariazell in Sursee Ähnliches wie die bei Ihnen porträtierte Familie erlebt. Nachdem eine integrative Sonderbeschulung damals in Ballwil nicht erfolgreich gewesen ist, ging mein Sohn ins Mariazell bei Sursee. Nach eineinhalb Jahren, aufgrund eines Lehrpersonenwechsels, wurde Kilian im Februar 2013 von der Schule «geschmissen», ohne Perspektive und respektive oder Anschlussmöglichkeit. Ich fragte mich, wo haben Kinder wie Kilian Platz, wenn nicht in einer Sonderschule? 

Der Dok-Film mit Kilian Chirici:

zentralplus: Wie lange war er ohne Schule?

Chirici: Kilian war drei Wochen ohne Beschulung. Danach vier Monate im sogenannten Homeschooling zu Hause und ab August 2013 wieder in einer privaten Regelschule. Finanziell bedeutete das einen grossen Einschnitt in unser Budget. Eine Privatregelschule kostet die Hälfte einer Sonderschule. 

zentralplus: Waren Sie ganz auf sich allein gestellt?

Chirici: Ja, wir waren völlig allein auf uns gestellt, seitens der Dienststelle Volksschulbildung DVS war keine Unterstützung zu erwarten. Ich hätte mir gewünscht, dass mit uns zusammengearbeitet worden wäre, um eine Anschlussmöglichkeit zu suchen. Und um dann gemeinsam eine geeignete Schule zu finden. Eine Schule, in der mein Sohn gefördert werden würde. Stattdessen habe ich das Ganze als ein «Gegen-mich-Arbeiten» erlebt. 

zentralplus: Was taten Sie dann? 

Chirici: Ich habe mir nächtelang die Schulgesetze und Schulkonzepte durchgelesen, Schulen gesucht und eine Homeschool-Lehrerin organisiert. Als Eltern wurden wir selbst aktiv, organisierten ein Homeschooling. Und wir suchten acht Wochen lang nach einer geeigneten Schule in den Kantonen Luzern, Zug und Zürich. Nachdem wir dann im Kanton Luzern eine geeignete Schule gefunden hatten, verweigerte das Luzerner DVS aber die Finanzierung, obschon das DVS keine Anschlussmöglichkeit ab August 2013 hatte. Wir hatten die Schule das erste Jahr selbst bezahlt, was wir rechtlich nicht hätten machen müssen, da unser Sohn eine Sonderschulmassnahme zugesprochen erhalten hatte und das DVS für die Beschulung verantwortlich ist.

«Es war ein Kampf wie David gegen Goliath.»

zentralplus: Das ist ja auch eine Kostenfrage: Verhaltensauffällige Schüler kosten den Kanton im Jahr gegen zusätzliche 100’000 Franken pro Kind – das bezahlen wir mit den Steuern. Suchten Sie keine rechtliche Unterstützung?

Chirici: Doch, mit einer Anwältin haben wir es geschafft, dass das DVS nach einem Jahr der Selbstfinanzierung die Kosten für die private Regelschule übernommen hatte. Bis heute haben wir das Geld – wir sprechen hier von 30’000 Franken – nicht zurückerstattet bekommen. Es war ein Kampf wie David gegen Goliath. 

Kämpferisch: Lehrerin und betroffene Mutter Daniela Chirici betreibt eine Beratungsstelle in Zug. (Bild: zvg)

zentralplus: Dieser Kampf hatte ja auch etwas Gutes: Jetzt leisten Sie mit einer Beratung selber Hilfe.

Chirici: Genau. Da es damals keine Anlaufstelle gab, die uns hätte unterstützen können. Aus diesem Grund habe ich später eine Ausbildung zur Elternberatung gemacht und führe unterdessen eine Praxis in Zug. Es ist eine Anlaufstelle für Eltern mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Ich begleite Eltern zu Behördengängen, Schulgesprächen und biete individuelle Unterstützung. 

«Es ist ein Problem des Systems im Kanton Luzern, das nur auf der politischen Ebene gelöst werden kann.»

zentralplus: Schulen sind kantonal organisiert. Inwiefern funktioniert in Zug das System anders als in Luzern?

Chirici: In Luzern ist das System so: Auffällige Kinder werden in die Sonderschule verwiesen, danach ist weder der schulpsychologische Dienst noch die Schulpflege an den Standortgesprächen dabei, da diese keinen Auftrag dafür haben. Aber ich möchte nicht das DVS anklagen – es ist ein Problem des Systems im Kanton Luzern, das nur auf der politischen Ebene gelöst werden kann. Ich hätte mir gewünscht, dass die Fachpsychologin, die sehr nahe an den Eltern und Kindern ist, nicht nur eine Empfehlung für eine Sonderschulmassnahme geben darf, sondern Eltern in dem Prozess der Schulfindung respektive Anschlussmöglichkeit begleiten und unterstützen dürfte. Vor allem dann, wenn es in der Sonderschule nicht geht und sehr schnell eine andere Anschlussmöglichkeit für das Kind gefunden werden sollte. Die Leidtragenden sind die Kinder und ihre Eltern.

zentralplus: Weshalb läuft es in Zug besser?

Chirici: Wenn ein Kind im Kanton Zug oder auch in Zürich, wo ich arbeite, in einer Sonderschule ist, wird jeweils die Schulpflege und die Schulpsychologin zum Standortgespräch eingeladen. Es geht um Fragen wie: Wird das Kind gefördert? Ist es noch am richtigen Platz? Oder braucht es etwas anderes? Und wie geht es weiter, wenn das Kind eine andere Unterstützung braucht?

zentralplus: Und der Unterschied?

Chirici: In Luzern hat die Fachpsychologin einen anderen Auftrag, sie darf nur empfehlen, ob eine Sonderschulmassnahme angebracht ist oder nicht. In welche Schule ein Kind gehen soll, darf die Fachpsychologin der DVS jedoch nicht entscheiden, das wird von den Beauftragten Sonderschulung entschieden. In Zug können sich Eltern mehrere Schulen anschauen und gemeinsam mit einer Fachstelle eruieren, welche Schule geeignet ist. Es wird gemeinsam nach einer Anschlussmöglichkeit gesucht, damit eine Beschulung weiter stattfinden kann.  

zentralplus: Derzeit dreht das Schweizer Fernsehen wieder bei Ihnen. Was läuft aktuell in Kilians Fall?

Chirici: Endlich habe ich die Zuweisung für sein 10. Schuljahr erhalten. Es wäre wichtig, dass Kilian nun in seinem Berufsfindungsprozess vorwärtskommt und sich hier eine gute Tür öffnet.


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