Konklave in Rom

Luzerner Kurt Koch könnte wirklich Papst werden

Kardinal Kurt Koch – hier 2009 als Basler Bischof – beweist viel kommunikatives Talent. (Bild: Wikimedia commons / Ch-info.ch)

Der 75-jährige Kardinal Kurt Koch aus Emmenbrücke wählt in der Sixtinischen Kapelle in Rom den neuen Papst – und gehört bei Pattsituationen selbst zur Gruppe der Wählbaren.

«Jeder der denkt, er könne das Ergebnis eines Konklave vorhersagen, ist ein Dummkopf. Meistens sind es die Favoriten, die verlieren, weil man mit einem Ziel auf dem Rücken hineingeht. Es ist besser, ganz unbekannt zu sein, als sichtbar zu werden.»

Diese Aussage des Schriftstellers Robert Harris, Verfasser des fachkundig recherchierten Romans «Konklave», der jüngst verfilmt worden ist, dürfte von vielen mit der katholischen Kirche vertrauten Analysten geteilt werden. Was in den nächsten Tagen im Vatikan passiert, ist unvorhersehbar.

Auch zwei Schweizer sind wahlberechtigt und sind – weil sie das 80. Altersjahr unterschreiten – auch selbst wählbar. Eher ausgeschlossen wird von Beobachtern die Wahl des Wallisers Emil Paul Tscherrig (78), die Wahl des Luzerners Kurt Koch ist aber durchaus möglich – sofern die Bedingungen stimmen. Beide Schweizer Kardinäle gelten aufgrund ihrer diplomatischen Verbindungen als wichtige Strippenzieher im Vatikan.

Schweizer Kardinäle mit gewichtigen Sonderaufgaben

Der Walliser Paul Tscherrig war Vatikan-Diplomat und lernte den verstorbenen Papst Jorge Bergoglio in Argentinien kennen, als dieser noch Erzbischof von Buenos Aires war. Kaum als Papst im Amt, ernannte Franziskus Tscherrig zum wichtigsten Botschafter der Vatikan-Diplomatie, zum Nuntius von Italien. In diesem Amt baute Tscherrig ein grosses Kontaktnetz in alle Welt auf.

Koch, 1950 geboren in Emmenbrücke und früherer Bischof des Bistums Basel, war bereits von Papst Benedikt XVI. zum Ökumene-Minister ernannt worden und lebt seit 2010 in Rom. Papst Franziskus behielt ihn nach seiner Ernennung im Amt. Doch mehr noch: Als Koch dem Papst von Alters wegen jüngst seinen Rücktritt anbot, bat Franziskus ihn, weiter im Amt zu verbleiben.

Der seit vielen Jahren verdiente Luzerner wird sowohl von den konservativ-dogmatischen intellektuell orientierten Anhängern der Linie Benedikt anerkannt wie auch von den weltoffenen, volksnahen dem Beispiel des soeben verstorbenen Papstes Franziskus Nachfolgenden akzeptiert. Von beiden Seiten wohlgelitten, ist Koch automatisch ein Brückenbauer. Sein Wort dürfte auch im Konklave Gewicht haben.

Koch hat seine integrierenden Fähigkeiten unter Beweis gestellt

Koch ist für sein diplomatisches Geschick bekannt. Und es ist dies, was ihn zu seiner Aufgabe als Botschafter zur Stärkung der Ökumene besonders befähigt. Der Begriff Ökumene kommt aus dem Griechischen und meint ursprünglich «die bewohnte Erde». Als sich das Christentum in den ersten Jahrhunderten und darüber hinaus immer mehr ausbreitete, bekam Ökumene die Bedeutung «zur Kirche als Ganzer gehörig». In der ökumenischen Bewegung bemüht sich die Christenheit um die Einheit der Menschheit, die weltweite Einheit der Christen sowie den universalen Dienst der Christen an der Welt.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) nannte es eine seiner Hauptaufgaben, «die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen», und gab dies den katholischen Gläubigen als bleibende Aufgabe mit auf den Weg. Benedikt und in der Folge auch Franziskus haben Kardinal Kurt Koch explizit den Auftrag gegeben, die Beziehung zu den verschiedenenen christlichen Institutionen zu pflegen und ein einheitliches Verständnis zu schaffen.

Damit ist Kurt Koch über den katholischen Glauben hinaus ein Botschafter des Vatikans und Brückenbauer zwischen allen christlichen Strömungen auf dieser Welt.

Mit zunehmender Dauer des Konklaves steigen Kardinal Kochs Chancen

Wenn ein Patt zwischen verschiedenen Strömungen droht, dürfte Kurt Koch automatisch nicht nur als Kompromisslösung ins Licht rücken, sondern auch als einer, der einen Kompromiss schliessen kann, und zwar weit über den katholischen Glauben hinaus.

Infolgedessen muss sich zeigen, ob beim Seilziehen zwischen konservativen und fortschrittlichen Kardinälen um die Papstnachfolge nicht auf einmal diese Option stark in den Vordergrund rückt. Naheliegend, dass mit zunehmender Dauer des Konklaves Figuren wie Koch zusätzlich Aufwind bekommen dürften.

Kurt Koch selbst hat sich im Nachgang zum Tod von Papst Franziskus ganz im Sinne der Ökumene und der Einheit der Kirche geäussert. Er hat dabei immer stets erklärt, wie wichtig gerade dieser Aspekt für die Kirche sei und dass er hoffe, dass der neue Papst diesen Gedanken stark unterstütze.

Kardinal Koch hat eine Vision von der Zukunft der Kirche

Wer seine Äusserungen in den Interviews für die katholischen Medien liest, erfährt, wohin sich nach seinem Verständnis die katholische Kirche entwickeln sollte. Doch Kardinal Kurt Koch schweigt eisern zum Konklave. Das ist auch seine Pflicht.

Zugleich hält er sich mit seinem Schweigen geschickt im Hintergrund. Was in der Meinung von zahlreichen Kommentatoren der Papstwahl aus Kandidatensicht sowieso angezeigt ist. Wer sich zuerst nach vorn drängt, wird in der Regel nicht gewählt.

Sind die meistgenannten Favoriten am Ende bloss Kanonenfutter?

Damit sind die Chancen der meistgenannten Favoriten nicht so hoch zu veranschlagen. Gut möglich also, dass die Chancen von Leuten wie Matteo Zuppi, Pierbattista Pizzaballa, Peter Erdő, Mario Grech, Víctor Manuel Fernández, Luis Antonio Tagle, Fridolin Ambongo Besungu, Jean-Claude Hollerich oder Jean-Marc Aveline gar nicht so hoch stehen. Und diese schon im ersten Wahlgang ausgeschaltet werden.

Man erinnere sich an die zwölf Stimmen, die der letzte Papst, der Argentinier Jorge Bergoglio, im ersten Wahlgang auf sich vereinen konnte und dann schliesslich doch noch im vierten Wahlgang des zweiten Tages die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhielt. Der spätere Papst Franziskus war vor der Wahl nicht als Favorit gehandelt worden.

Progressive Entwicklung der katholischen Kirche dürfte anhalten

Franziskus wird als eher progressiv gesehen. Rechnet man hinzu, dass er 80 Prozent der amtierenden Kardinäle, die auch seinen Nachfolger wählen, selbst bestimmt hat, darf man davon ausgehen, dass der eher progressive Kurs auch unter dem neuen Papst beibehalten wird.

Die beiden Schweizer Kardinäle Kurt Koch und Emil Paul Tscherrig dürften wichtige Rollen spielen im Konklave und im Hintergrund diplomatische Aufgaben wahrnehmen. Dass Kurt Koch plötzlich als mögliche Option ins Blickfeld rückt, ist keine aus der Luft gegriffene Möglichkeit. Er erfüllt die Funktion einer ökumenisch integrierenden Figur, die bestehende Gräben innerhalb der katholischen Kirche schliessen kann.

Gegen Koch spricht fast nichts

Selbstredend verfügt er nicht nur über diplomatisches Geschick. Als Hochschulprofessor an der theologischen Fakultät der Universität Luzern hat er sich zudem als intellektuelles Schwergewicht bewiesen. Auch über gesundheitliche Defizite des 75-jährigen Luzerners ist nichts bekannt.

Gegen ihn spricht gar nichts, ausser, dass er ein Europäer ist und der europäische Teil der katholischen Kirche derzeit einen starken Mitgliederschwund erleidet. Dies ist mit ein Grund, weshalb die Finanzen der katholischen Kirche trotz sehr viel Grundbesitz, aber auch wegen sehr hoher laufender Kosten, dringend sanierungsbedürftig sind.

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil

Alles andere ist Kaffeesatzlesen. Wir hätten dazu gern einen Spezialisten befragt. Doch auch die mit dem Vatikan gut vertrauten Fachleute äussern sich derzeit nur sehr vorsichtig. Vor allem über einen wichtigen Mann im Hintergrund wie Kurt Koch.

Auf der Decke der Sixtinischen Kapelle hat der Maler Michelangelo Buonarroti Gottvater dargestellt, wie er mit ausgestrecktem Zeigefinger Adam zeugt. «Ecce Homo» – siehe da, der Mensch. Die Antwort darauf, wer Papst wird, weiss wohl allein der Herrgott respektive der Heilige Geist.

So funktioniert die Papstwahl

Zum Konklave, der streng von der Öffentlichkeit abgeschirmten Papstwahl in der Sixtinischen Kapelle in Rom, sind lediglich Kardinäle im Alter von unter 80 Jahren zugelassen. Diese Anforderungen erfüllen derzeit 133 Purpurträger, die während des Konklaves nicht mit der Aussenwelt kommunizieren dürfen. Nichts soll sie ablenken, der Heilige Geist soll wirken können.

Wer Papst werden will, darf nicht auf Eigeninitiative kandidieren, sondern muss von anderen vorgeschlagen werden. Damit ein Papst gewählt ist, genügt eine einfache Mehrheit nicht, er braucht mindestens eine Zweidrittelmehrheit, also 89 der 133 Stimmen. Der verstorbene Papst Franziskus soll im ersten Wahlgang sogar nur zwölf Stimmen erhalten haben. Geht es ähnlich zu wie bei den vergangenen Papsternennungen, dürfte die Papstwahl innerhalb weniger Tage abgeschlossen sein.

Man kann die Lager bei einer Papstwahl nach verschiedenen Kriterien einteilen. Gängig ist die Unterschiedung zwischen einer konservativen, einer reformerischen und einer neutralen Gruppe. Je mehr die Auseinandersetzung zwischen den Konservativen und den Reformern auf ein Patt zuläuft, desto eher dürften die Chancen für einen Neutralen steigen, mit dem beide Seiten leben können.

Eine zusätzliche Rolle betrifft die Herkunft der zur Wahl stehenden Kardinäle. Ist die Zeit bereits reif für einen schwarzen Papst oder einen Asiaten als Kirchenvater? Das wird rundwegs in Abrede gestellt, obwohl die katholische Kirche gerade auf dem afrikanischen Kontinent im Gegensatz zu Europa besonders stark zulegt. Ein nicht zu unterschätzendes Kriterium dürfte aber auch sein, ob es sich eher um einen Mann der Kirche – so wie den intellektuellen Dogmatiker Benedikt – oder einen Mann des Volkes – so wie den volksnahen Franziskaner Franziskus – handelt.

Am Mitwoch, dem ersten Tag des Konklaves, findet lediglich ein Wahlgang statt, am Donnerstag, Freitag und Samstag deren vier, je zwei am Vormittag und am Nachmittag. Die Kardinäle wählen anonym mit verstellter Schrift. Während der Entscheidfindung entweicht über der Sixtinischen Kapelle eine schwarze Rauchsäule. Traditionell wurde Pech oder Kohle zur Farbgebung beigemischt. Ist ein Entscheid gefallen, steigt aus dem Schornstein eine weisse Rauchsäule auf. Dann heisst es: «Habemus Papam» – «Wir haben einen Papst».

Verwendete Quellen
  • Verschiedene Artikel aus Publikumszeitungen mit Einschätzungen von Vatikanspezialisten sowie kirchliche Fachblätter und Onlineportale
  • Interview mit Kurt Koch zu seiner Haltung zu Fragen der Ökumene wie auch zum Tode des Papstes Franziskus
  • «Konklave», Roman von Robert Harris
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