Mutter hat das Sorgerecht missachtet

Luzerner hat seine Tochter seit über einem Jahr nicht gesehen – Staatsanwaltschaft muss ermitteln

Screenshot aus dem Dok-Film «Ein Funken Hoffnung», bei dem es um zwei Kinder geht, die von ihrem Vater ins Ausland gebracht wurden – gegen den Willen der Mutter. (Bild: SRF, Vanessa Nikisch)

Die Ex-Frau eines Luzerners verhindert seit März 2018, dass er seine Tochter treffen kann. Dies, obwohl sich das geschiedene Paar das Sorgerecht teilt. Die Staatsanwaltschaft wollte von einer Anzeige zunächst nichts wissen. Doch nun muss sie über die Bücher.

Wenn Eltern sich trennen, gehen die Emotionen meist hoch. Die Enttäuschung über das Scheitern der Beziehung wird nicht selten über die Kinder ausgetragen: Um den Anderen zu verletzen, werden Besuchsrechte nicht eingehalten oder gar verweigert.

So ergeht es auch einem Luzerner, der sich von seiner Frau getrennt hat. Die Mutter verhindert seit März 2018, dass er seine Tochter sehen kann und unterbindet jeden Kontakt. Und dies, obwohl das Gericht bei der Scheidung nicht nur das gemeinsame Sorgerecht verfügt hat, sondern auch die sogenannte «alternierende Obhut.»

Gemeint ist damit, dass das Kind abwechselnd bei Mutter und Vater lebt. Es gibt unterschiedlichste Formen, wie dies umgesetzt wird. Klar ist nur: Beide Elternteile leisten einen aktiven Beitrag zur Kinderbetreuung – doch genau das wird vorliegend systematisch verhindert.

Der Mann wusste sich nicht mehr anders zu helfen als seine Ex-Frau mittels einer Strafanzeige dazu zu bringen, den Kontakt zur Tochter wieder zuzulassen. Tatsächlich gibt es im Strafgesetzbuch einen Artikel, der das «Entziehen von Minderjährigen» unter Strafe stellt.

Kesb verzichtet auf Bussen

Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) sind weitgehend machtlos, wenn Besuchsrechte nicht eingehalten werden. Es gäbe zwar die Möglichkeit, den Elternteil zu büssen, der das Besuchsrecht torpediert.  Doch weil dies keinen Erfolg verspricht, verzichten die Kesb in Luzern und Zug darauf (zentralplus berichtete).

Gemeint ist damit aber, dass ein Elternteil das Kind ohne das Einverständnis des anderen ins Ausland bringt. Und nicht, dass er das Besuchsrecht nicht einhält. Entsprechend blieben Strafanzeigen daher in der Vergangenheit wirkungslos.

Staatsanwaltschaft ermittelte gar nicht erst

Auch in diesem Fall weigerte sich die Staatsanwaltschaft Luzern, den Vorwürfen nachzugehen. Sie verfügte eine sogenannte «Nichtanhandnahme». Das heisst: Sie entschied, die Ermittlungen gar nicht erst aufzunehmen.

Die Staatsanwaltschaft schiebt der Politik die Verantwortung dafür zu. Bei der letzten Revision des Zivilgesetzbuches habe der Bundesrat nämlich explizit vorgeschlagen, dass neu Elternteile bestraft werden können, die das Besuchsrecht nicht einhalten. Die eidgenössischen Räte haben aber darauf verzichtet, diese Möglichkeit zu schaffen.

Begründet wurde der parlamentarische Entscheid damit, dass Strafen nicht zur Vermeidung und Vorbeugung von Konflikten beitragen. Ausserdem befürchten die Parlamentarier, dass unter der Bestrafung eines Elternteils zumindest indirekt auch das Kind leiden würde.

Besuchsrecht und Sorgerecht in einen Topf geworfen

Da die Vereitelung des Besuchsrecht nicht unter Strafe gestellt ist, schloss die Staatsanwaltschaft Luzern, dass vorliegend kein Gesetz gebrochen worden sei.  

Damit schoss die Staatsanwaltschaft aber übers Ziel hinaus, wie das Kantonsgericht Luzern jetzt feststellt. Der Fall ist aus Sicht des dreiköpfigen Richtergremiums weitaus kniffliger.

Das Sorgerecht ist 2014 letztmals angepasst worden. Es sieht vor, dass Eltern bei der Trennung – unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht – in der Regel das gemeinsame Sorgerecht zugesprochen wird. Teil davon ist, dass beide das Recht haben, den Aufenthaltsort ihres Kindes zu bestimmen.  

Das Sorgerecht geht also einiges weiter als das blosse Besuchsrecht eines Elternteils. Das Gesetz wurde erst vor einigen Jahren angepasst, es gibt daher noch keine gefestigte Gerichtspraxis. Es ist aus Sicht des Kantonsgerichts durchaus denkbar, dass zwar die Vereitelung des Besuchsrechts straffrei ist, nicht aber die Missachtung des Sorgerechts.

Selbst in der Wissenschaft gebe es zu diesem Thema noch keine Lehrmeinung. Die Einschätzung der Rechtslage durch die Staatsanwaltschaft sei daher rein «spekulativer Natur», so das Kantonsgericht.

Wenn Zweifel bestehen, dann muss die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eröffnen und ein Gericht über den Fall befinden lassen. Sie wird demnach nun gegen die Ex-Frau ermitteln müssen. Wenn dieses zum Schluss kommt, dass die Missachtung des Sorgerechts eine Straftat ist, wäre dies allenfalls künftig ein Druckmittel, um uneinsichtige Eltern zur Räson zu bringen.  

Rechtsprofessorin verweist auf neueste Entscheide des Bundesgerichts

Die Luzerner Rechtsprofessorin Regina Aebi-Müller geht davon aus, dass sich die Gerichtspraxis in diese Richtung entwickeln wird. «Aufgrund der neuesten Entscheidungen des Bundesgerichts scheint mir persönlich klar zu sein, dass eine komplette Kontaktvereitelung nach gerichtlich angeordneter alternierender Obhut und gemeinsamer elterlicher Sorge den Straftatbestand der Entziehung Minderjähriger erfüllt», sagt sie. Sie stützt sich dabei unter anderem auf einen neuen Entscheid des Bundesgerichts von August 2019 (6B_1073/2018).

«Der Mitinhaber der Sorge darf über den Aufenthaltsort des Kindes nicht alleine bestimmen», erklärt Aebi-Müller. Doch wenn die alternierende Betreuung vereitelt werde, dann bedeute das letztlich, dass der Aufenthalt des Kindes nun nur noch bei einem Elternteil ist.

Sollte sich die Mutter der Entziehung von Minderjährigen schuldig gemacht haben, droht ihr eine Geldstrafe. Nur in schweren Fällen, in denen Kinder beispielweise ins Ausland entführt werden, können Beschuldigte zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verurteilt werden.

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7 Kommentare
  • Profilfoto von Peter Schneider
    Peter Schneider, 05.10.2019, 00:04 Uhr

    Im schlimmsten Fall Geldstrafe für den Entzug der Kinder vom sorgerechtbereichtigten Vater…Ohne das gemeinsame Sorgerecht zählt das Besuchsrecht der Väter nach wie vor nichts bzw. dessen Entzug wird weiterhin nicht geahndet. Die Chance für das väterliche Besuchsrecht, falls die Mütter das nicht wollen, liegt somit bei 0. Die kampfeswilligen Scheidungsmütter bekommen somit von den Behörden immer noch den Persilschein. Falls dann nötig, dürfen sie notfalls die gemeinsamen Kinder sogar ungestraft gegen den Vater manipulieren. Von der höchst fälligen Augenhöhe zwischen Mütter und Väter existiert somit weiterhin keine Spur. Das ist dleider ie Realität im Herbst 2019 – immer noch. Aufwachen!

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    Tufano Sandro, 04.10.2019, 22:16 Uhr

    Kinder brauchen Mutter und Vater. Sie haben ein Recht auf Umgang. Auch die Eltern haben dieses Recht, es ist sogar ein Menschenrecht und eine elterliche Pflicht.
    Nun gerät das Kind nach einer Trennung in einen Loyalitätskonflikt. Die Kontakte werden schwierig und schliesslich folgt die Verweigerung.
    Nach einer Meldung an die KESB wird der «Fall» dann verwaltet und auf eine sinnlose Massnahme folgt die nächste. Alles im Sinne des Kindswohles…
    So erlebe ich das, seit Jahren. Der Staat versagt. Das Kindswohl wird durch die Entfremdung gefährdet.
    Nur durch rasches und konsequentes Eingreifen, kann das Kindswohl ernsthaft geschützt werden.
    Griffige Massnahmen gäbe es genügend, aber man opfert lieber die Beziehung zwischen Vater und Kind, denn so hat unsere Sozialindustrie gleich zwei neue Langzeitkunden, einen verzweifelten entsorgten Vater und ein Kind mit Persönlichkeitsstörungen.
    Ich zahle Unterhalt und Steuern, finanziere ein System, das mich verrät und das Unrecht zulässt.

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  • Profilfoto von Brunner
    Brunner, 04.10.2019, 20:19 Uhr

    Im Strassenverkehr ist jedes Mittel recht die Automobilisten zu büssen. Es muss auch im Familienrecht scharf gebüsst werden, wer sich gegen amtliche Verfügungen wie Besuchsrecht usw. widersetzt. Wenn ich als Vater das Kind nicht zurück bringen würde, was würde alles veranlasst werden?

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  • Profilfoto von H. Meier
    H. Meier, 04.10.2019, 15:47 Uhr

    Wenn Sie «von der Hilfesuchenden zum Opferlamm» googlen, werden Sie sehen, dass manchmal auch Mütter von den Behörden drangsaliert werden. Und dass einige Leute schlichtweg nicht wissen, dass so etwas möglich ist. Ob die ‹Familienbegleiterin› eine Art vom Psychologen empfohlene Massnahme sei, ob die Krankenkasse das zahle…..
    An der Kesb kritisiere ich, dass sie, (gerade weil es offensichtlich zur Genüge keifende Ex-Paare gibt!), ungefragt auch in kleine Familien eindringen, die nun wirklich weit entfernt von jedem Gezerre ums Kind sind.
    Im Kanton Zug sind die Kesb wahrscheinlich so weise und gehen nicht hin, um noch besserwisserisch das Verhalten einer Teenager-Mutter zu bekritteln. Das darf die Kesb. Das darf sie anordnen. Es ist haargenau so. Die Verfasserin des Textes «von der Hilfesuchenden zum Opferlamm» kenne ich nicht persönlich. Die hilflose Masche von Behörden, im Zweifelsfall einfach die Eltern für unfähig zu erklären, leider schon.

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  • Profilfoto von Johann
    Johann, 04.10.2019, 13:58 Uhr

    Vielen Dank für ihren Beitrag. Leider ist es oft so – dies auch meine eigene Erfahrung – dass Kindsmütter das Besuchsrecht mit Füssen treten. Das ist umso bedauerlicher, da wiederum die Kinder darunter leiden und das Kindswohl einmal mehr mit Füssen getreten wird.

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  • Profilfoto von H. Meier
    H. Meier, 04.10.2019, 13:25 Uhr

    Wir haben als Erwachsene eine riesige Verantwortung. Aus Fairness sollten wir von gewissen Verhaltensweisen (dem Partner/ der Partnerin gegenüber) Abstand nehmen. Nur schon weil wir ja Vorbild fürs eigene Kind sind.
    Obwohl auch ich eine Scheidung hinter mir habe, kann ich mir nicht vorstellen, aus Eigennutz mir irgendwelche Lügen auszudenken, und schon gar nicht, das Kind in den Konflikt hineinzuziehen.
    Unsere aufgeklärte Zeit hat viel Gutes mit sich gebracht, aber auch Gerichte und Behörden, die vermutlich oft verzweifeln am fast unmöglichen Ziel, zwei Erwachsene vernünftig für ein Kind sorgen zu lassen, wenn das miteinander reden ja eben nicht mehr möglich ist.
    An alle, die mit Kindern zu tun haben, möchte ich aber appellieren: Das eine Kind steckt eine Scheidung leichter weg als das andere. Und die ganzen verhaltensoriginellen Kinder – zu leise, zu laut, zu angepasst, zu mutig – die hättet ihr auch, wenn 100% von ihnen eine intakte Familie hätten!
    Darum sprecht bei Schwierigkeiten bitte direkt mit dem Kind. Mit seiner Familie. Bleibt ruhig hart in der Sache – aber meldet die Leute nicht an die Kesb. Straftat ist Straftat, und hat der Papa sich einer Drohung oder eines Übergriffs schuldig gemacht, dann ab vor den Richter mit ihm. Ist das Kind einfach eigenwillig, dann hetzt seiner Familie bitte nicht die Kesb auf den Hals. Im Kanton Zug scheinen mir Kesb und andere Behörden mit vernünftigem Personal ausgestattet zu sein. Schweizweit haben aber schon zahlreiche Kesb unnötig Mütter, Väter und sogar Kinder/Jugendliche/Alte furchtbar erniedrigt.

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  • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
    Kasimir Pfyffer, 04.10.2019, 11:59 Uhr

    Verantwortungslose Elternteile können durch genau solches Verhalten das Kind dem anderen Elternteil entfremden. Das ist eine ebenso hinterhältige wie – leider – oft erfolgreiche Strategie. Gut, dass der Sachverhalt nun juristisch geprüft wird. Es ist höchste Zeit, dass beide Eltern vom Familiengericht bzw. der KESB gleich behandelt werden und ihr Recht auf Umgang mit ihren Kindern auch durchsetzen können.

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