Luzern wird von Büsis überrannt – Tierschützer alarmiert
Das Katzenelend wächst. Gemäss einer Tierschutzorganisation gehört der Kanton Luzern zu den Spitzenreitern. Gerade auf Bauernhöfen würden viele Katzenbabys getötet.
1,9 Millionen Katzen leben in der Schweiz. Hunderttausende von ihnen sind verwildert und verwahrlost, die meisten vegetieren auf Bauernhöfen oder Fabrikarealen vor sich hin. Niemand will sie haben, die Tierheime sind voll. Tausende von ihnen werden getötet: Schätzungsweise sind es jährlich 200'000 Katzen. Die Kätzchen werden ertränkt, erstickt, totgeschlagen, vergast und erschossen.
Bereits vor einem Jahr warnte die Schweizer Tierschutzorganisation «Network for Animal Protection» (kurz Netap) vor einem neuen Höhepunkt des Katzenelends in der Schweiz (zentralplus berichtete). Eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. «Das Katzenelend wächst in unserem Land weiter an», sagt Esther Geisser, Gründerin und Präsidentin von Netap. «Schaue ich die uns gemeldeten Fälle an, zählt der Kanton Luzern auch in diesem Jahr zu den Spitzenreitern in Sachen Katzenelend.»
200 Einsätze in Luzern
Netap wird gerufen, wenn an einem Ort die Katzenpopulation zu gross wird. Oder wenn es Katzen hat, die niemand will. Die Tierschützerinnen rücken aus, fangen die Tiere ein, päppeln sie auf, kastrieren sie und suchen ein neues Zuhause. Schweizweit und auch im Ausland führt die Tierschutzorganisation Kastrationsprogramme durch.
In diesem Jahr sind die Tierschützerinnen von Netap über 200-mal ausgerückt. Gemäss Geisser fällt ein Viertel aller Einsätze auf den Kanton Luzern. «Hier haben wir 170 Katzen eingefangen, die unser Kastrationsprogramm durchliefen und wieder in ihre Reviere zurückkonnten. Hinzu kamen in Luzern 15 Katzenmütter mit insgesamt 50 Kitten, die wir unterbringen mussten und 15 erwachsene Tiere, die nicht mehr in ihr Revier durften.»
Für sie alle musste Netap neue Plätze suchen. Viele dieser Katzen seien in einem elenden Gesundheitszustand gewesen. «Einige waren am Verhungern, eine hatte einen Kieferbruch, eine andere hatte eine schwere Schussverletzung.»
Das Problem: Die Tierheime sind voll, Netap findet kaum mehr Plätze für Katzenfamilien. Gemäss Geisser würden dieses Jahr noch mehr Plätze fehlen. «Die Wartelisten sind lang. Wir mussten zum ersten Mal Aufträge ablehnen, weil wir einfach nicht mehr wussten, wohin mit den Tieren.» Mangels Plätzen mussten viele Luzerner Katzen in anderen Kantonen untergebracht werden.
Wo das Büsi-Elend in Luzern besonders gross ist
Geisser und ihr Team rücken in den ganzen Kanton aus. In Roggliswil mussten sie in den letzten drei Jahren schon weit mehr als 100 Katzen einfangen, erzählt die studierte Juristin. Immer wieder würden sie auch nach Malters gerufen. Schongau, Hohenrain, Rain, Grosswangen, Eich, Kaltbach – «alles Orte mit viel Leid», so Geisser.
Sie sagt: «Ich lernte Luzern in den letzten Jahren vor allem durch solche Einsätze kennen. Fahre ich heute durch den Kanton, kann ich mich bei jeder zweiten Ortstafel an traurige Katzenschicksale erinnern.» Die veterinärmedizinischen Kosten werden durch Spendengelder gedeckt, der Kanton unterstützt die Organisation nicht.
Ein grosses Problem: Bauernhofkatzen
Mit ein Grund für das Elend: Viele verwilderte Katzen finden Zuflucht auf einem Bauernhof. Und einige Bauern lassen die Tiere nicht kastrieren.
Geisser schätzt die Bereitschaft von Bäuerinnen und Bauern sehr unterschiedlich ein. Jene, die überfordert waren, seien dankbar für ihre Hilfe und froh darüber, eine Lösung zu finden, sodass die Katzen nicht weiter leiden oder gar sterben müssten. «Leider sind aber auch Drohungen und üblen Beschimpfungen an der Tagesordnung. Oft auch nur, weil wir bloss unsere Hilfe anbieten.»
Schwierig sei es vor allem dann, wenn mehrere Generationen auf einem Hof leben und die sich uneinig darüber sind, ob die Katzen kastriert werden sollen. «Beauftragt uns dann die eine Generation, kann es passieren, dass die andere unsere Einfangversuche absichtlich sabotiert.» Das sei frustrierend und koste viel Zeit. Geisser sagt weiter: «Leider ist für viele Bauern Töten immer noch das Mittel der Wahl, um die Population kurzfristig zu steuern.»
Tierschützerinnen kämpfen weiter für Kastrationspflicht
Die Lösung in den Augen der Tierschützerinnen, um die Büsiplage einzudämmen: eine Kastrationspflicht. Auch Netap setzt sich seit Jahren dafür ein.
Neben Tierschützern greifen immer wieder Politikerinnen die Forderung auf. Bundesbern hält davon jedoch nur wenig: Der Nationalrat lehnte sowohl eine Motion einer früheren Zürcher FDP-Nationalrätin als auch die Petition, welche Netap 2016 gestartet und 2018 eingereicht hat, ab. Die Kastrationspflicht sei «unverhältnismässig», hielt der Bundesrat 2019 fest. Und auch eine Kastrationskampagne läge in der Kompetenz der Kantone.
Für Tierschützerin Geisser ein Schlag ins Gesicht. «Leider foutiert sich Bundesbern und schiebt den Ball den Kantonen zu. Diese wiederum behaupten regelmässig, eine kantonale Regelung sei nicht möglich und zielführend und müsse zentral durch den Bund erfolgen.» Kantone und Bund schieben sich den Ball also hin und her.
Auch die Luzerner Stadtregierung musste sich vor drei Jahren mit dem Thema Hauskatze befassen – im Rahmen der Beantwortung eines Vorstosses. Am Rande ging sie auf eine mögliche Registrations- oder Kastrationspflicht ein. Diese wäre, aus Sicht des Luzerner Stadtrates, «sinnvollerweise auf Bundesebene anzusiedeln».
Kantone könnten aktiv werden
Gemäss Schweizer Tierschutzverordnung müssen Tierhalter «zumutbare Massnahmen» treffen, um zu verhindern, dass sich Tiere übermässig vermehren. Für den Vollzug sind die Kantone zuständig.
Gemäss Geisser könnten diese «sehr wohl» kantonale Bestimmungen einführen und den besagten Artikel des Tierschutzgesetzes selbst konkretisieren. Dies, indem Kantone den Zusatz ergänzen, dass «Hauskatzen mit unkontrolliertem Freigang» von einem Tierarzt kastrieren zu lassen seien. «Es wäre lediglich eine Konkretisierung der heutigen Pflicht und würde viel Unsicherheit beseitigen.» In die Pflicht würden Katzenhalterinnen genommen werden. «Der Bund müsste diese Kastrationen also nicht bezahlen. Was daran unverhältnismässig ist, ist mir ein Rätsel.»
Eine bundesweite Regelung wäre zwar am nachhaltigsten und effizientesten, wie sie anfügt. «Doch einer muss den Anfang machen. Solange gar nichts geregelt wird, bleiben die Leidtragenden weiterhin die Tiere, die sich gegen diese politische Gleichgültigkeit nicht schützen können.»
Das tut der Kanton Luzern
Obwohl im Kanton Luzern gemäss der Tierschützerin und der Juristin das Katzenelend mit am grössten sei, scheint dieser das Problem nicht wirklich anzupacken.
«Leider sehen wir seitens des Kantons Luzern keine Bemühungen, das unbestrittene Katzenelend nachhaltig und tiergerecht bekämpfen zu wollen», sagt Geisser. Die Tierschutzorganisation habe sich darum bemüht, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, «bisher leider vergeblich».
Lese in Teil 2 demnächst, wie Bauern, Gemeinden und Kanton das Katzenelend einschätzen und was sie dagegen tun.
Isabelle Dahinden schreibt über Menschen, Beziehungen und das Leben. Nach ihrem Studium in Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften schreibt sie seit Dezember 2017 als Gesellschaftsredaktorin für zentralplus. 2021 hat sie die MAZ-Diplomausbildung absolviert, seit August 2023 ist sie stellvertretende Redaktionsleiterin.