Kommerz übernimmt den öffentlichen Raum

Luzern: Machtlos gegen die Dominanz der Events?

Der öffentliche Raum wird stark von Veranstaltungen in Anspruch genommen. Nicht unumstritten sind dabei die kleinen Zelte des Blue Balls Festival.

(Bild: Emanuel Ammon)

In der Stadt Luzern fehle das planerische Denken, sagt Architekt Otti Gmür. Im öffentlichen Raum dominiert immer mehr der Kommerz. Im Rahmen einer Projektarbeit für die Stadt will die Hochschule Luzern versuchen, auf diese «hochbrisante Thematik» aufmerksam zu machen.

«Die Diskussion um die Beanspruchung der öffentlichen Räume in den Städten hat Konjunktur», sagt Monika Litscher von der Hochschule Soziale Arbeit in  Luzern. Sie ist Dozentin am Institut für Soziokulturelle Entwicklung und Verantwortliche für das Kompetenzzentrum Public Space. Die Stadt Luzern ist mit der Hochschule im Gespräch für ein Projekt zu diesem Thema.
Der Luzerner Architekt und Publizist Otti Gmür sagte in diesem Frühjahr an einem öffentlichen Forum zur städtischen Gesamtplanung, in Luzern fehle ein Konzept für die Entwicklung des öffentlichen Raumes.

Schwäche der Stadt im strategischen Denken

In der September-Nummer der Architektur-Zeitschrift «Karton» stellen die Architekten Frieder Hiss und Markus Heggli ihre Studie zu «Luzern – Städtebauliche Ideen für eine attraktive Stadt am Wasser» vor. Im Bericht dazu heisst es, man habe von der städtischen Baudirektion «anerkennenden Dank» erhalten. Otti Gmür: «Die Stadt ist also dankbar für solche Ideen. Das zeigt aber auch ihre Schwäche im planerischen Denken über den Alltag hinaus.»

Gmür erklärt: «Das ist doch das Faszinierende an der Architektur. Sie geht über die Sprache, über das Lineare hinaus. Der Architekt plant mit Modellen. Er sieht das Werk dreidimensional. Viele Menschen sind nicht mehr in der Lage, diese Form von Planung und Entwicklung zu sehen. Um hier anzusetzen, fehlen der Stadt die Ressourcen. Der Stadtarchitekt steht alleine; er hat kein Team, das Stadtentwicklung weiterdenken könnte.»

Kleine Wege für die Fussgänger verschwinden

In der Stadt Luzern verschwinden öffentliche Räume sozusagen im Stillen. «Wenn ich in der Stadt zu Fuss unterwegs bin, bin ich Beobachter. Ich stelle fest, dass die Passage zum Stein vom Grendel in die Hertensteinstrasse enger geworden ist. Das Schaufenster der Gübelin-Erweiterung schmälert den Fussgängerbereich.»

Ganz in der Nähe ist die Seehofpassage vom Gübelin-Hauptgeschäft in die Hertensteinstrasse geschlossen worden. Auch hier hat Gübelin die Geschäftsräume erweitert. Otti Gmür: «Der Fussgänger kann eines Tages einen gewohnten Weg nicht mehr benutzen. Er weiss nicht warum. Etwa in der Hälfte der Seehofpassage war ein kleiner Platz, auf dem hin und wieder Breakdancer übten. Ich frage mich, wo sie heute sind.» Für Stadtarchitekt Jürg Rehsteiner ist die Schliessung «dieser unattraktiven Passage kein Schaden». Die Idee der Passagen in den Städten stamme aus den 1960er-Jahren. «Heute weiss man, dass sie nicht richtig funktionieren. Und am Abend sind es oft auch Angsträume.»

Machtlos vor Ständen und Zelten

Der öffentliche Raum in Luzern wird auch stark von Veranstaltungen in Anspruch genommen. Beispiele dafür: Die kleinen Zelte auf dem Europaplatz beim Lucerne Festival, am Blue Balls-Festival ist der Schweizerhofquai bis weit hinaus mit Ständen «besetzt». Ähnliches geschieht am Stadtlauf, am Luzerner Fest, beim Lucerne Marathon.
Monika Litscher von der Hochschule sieht die Zelte auf dem Europaplatz auf ihrem Arbeitsweg. «Die Stadt entscheidet, wo und wann sie solche Eingriffe bewilligt. Im Standort-Marketing haben zentrale Orte einen grösseren Stellenwert. Und die Stadt, das sind wir alle.»  

Einwand: Es gibt Stadtbewohner, welche gerne auf die Zelte und die Stände und die Immissionen während des Blue Balls am Schweizerhofquai verzichten würden. Aber sie sind machtlos. Monika Litscher: «Es ist auch Aufgabe der Hochschule, mit ihrer Projektarbeit auf solche Entwicklungen hinzuweisen und genau jenen Leuten eine Stimme zu geben, die sich nicht Gehör verschaffen können.»

Und die Fussgänger-Passagen, die einfach verschwinden? «Das ist Ausdruck der Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes. Es geht dort ums Einkaufen, nicht ums Verweilen und Nichtstun.»

Bahnhofstrasse: Verkehrsfrei verlangt Aufwertung

Ein anderes Thema ist das Projekt einer verkehrsfreien Bahnhofstrasse. Das habe nur dann eine Zukunft, wenn die Strasse aufgewertet werde, sagt Otti Gmür. «Das wird nicht so einfach sein. Es gibt dort die Hauptpost, dann den Swisscom-Laden und anschliessend die Migros-Bank. Keine dieser Institutionen hat irgendeine Ausstrahlung auf die Strasse. Also frage ich mich, was auf der Bahnhofstrasse möglich wäre. Die SP spricht von einer Flaniermeile – flanieren heisst, ich werde gesehen und ich sehe. Aber was denn?»

Eine verkehrsfreie Bahnhofstrasse könnte zum Beispiel Ausweichplatz werden für das Blue Balls-Festival. Dann müsste nicht die Quaipromenade für zehn Tage verstellt werden, einer der schönsten Orte von Luzern. Auch die Zelte auf dem Europaplatz fänden an der Bahnhofstrasse Raum. Der KKL-Vorplatz ist aus architektonischer Sicht ohnehin nicht für diese Zeltgastronomie geschaffen. Wer in der Stadt nicht zu Fuss unterwegs ist, sieht diese Belastungen gar nicht.

Die extreme Ausnützung des öffentlichen Raumes verhindert genau das, was viele Menschen wollen: absichtsloses Schlendern, spazieren. «Die Sorge um den öffentlichen Raum in der Stadt müsste alle Beteiligten und Betroffenen in der Stadt beschäftigen, bis zum Stadtpräsidenten», sagt Otti Gmür.

Ein Übungsfeld für die Demokratie

Wie schaffen wir dieses Bewusstsein? Braucht es eine neue städtische Kommission dafür? Für Monika Litscher ist die Thematik hochbrisant. «Die Nutzung des öffentlichen Raumes wird heute verstärkt ökonomisch gelenkt. Wir plädieren dafür, dass das Verhalten in diesem Raum zu einem Lernprozess wird. Das ist ein Übungsfeld für die Demokratie.»  

Vielleicht kann das «Projekt Stadtraum Luzern», das aktuell von der Hochschule zusammen mit dem Ressort Stadtgestaltung in der Baudirektion aufgegleist worden ist, das Bewusstsein schärfen. «Es geht darum, dass Kriterien für die Nutzung des öffentlichen Raumes erarbeitet werden», sagt Stadtarchitekt Rehsteiner. Doch der Trend sei eindeutig. «Wir erleben eine Mediterranisierung des öffentlichen Raumes. Das ist die positive Seite. Negativ ist dabei, dass Teile dieses Raumes dem Einzelnen entzogen werden.»

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