Glosse zum «neuen» Sprachleitfaden des Kantons Luzern

Liebe Regierungsrätlys, das Gendern können wir besser

Wir ziehen den Hut – und verneigen uns vor den in-das-Amt-des-Regierungsrates-gewählten-Menschen. (Bild: ida)

Der Kanton Luzern hat seinen 14-jährigen Sprachleitfaden entstaubt – und nun seine neuen Regeln zur sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter veröffentlicht. Von den «neuen» 12 Regeln sind 11 die alten – und die eine neue Regel ist ein Verbot. Eine Glosse.

Sehr geehrte Herren Regierungsräte,

14 Jahre hat's gedauert, bis Sie den neuen Sprachleitfaden des Kantons zur Hand genommen haben, um ihn aufzumotzen. Schliesslich verändert sich die Welt – und mit ihr unsere Sprache. Aber manchmal bleibt die Welt halt auch stehen.

Wer den neuen Sprachleitfaden, den der Kanton am Freitag publiziert hat, noch nicht gesehen hat: Er gibt uns Tipps und Regeln, wie wir «Menschen verschiedenen Geschlechts gleichermassen sichtbar» machen können. Das wäre jedenfalls das Ziel. Oder eben auch nicht. Denn statt sichtbar zu machen, was da ist, kann man ja auch einfach alles unsichtbar machen.

Schöne Sprache: passiv, abstrakt und krass unpersönlich

Der Sprachleitfaden in Kürze: Schreibt passiv, geschlechtsneutral, möglichst abstrakt und krass unpersönlich oder setzt auf sonstige «kreative Formulierungen». Statt von Ehepartner oder Ehepartnerin zu reden, könnte man dann beispielsweise von einer Ehe-mässigen Sache reden. Hinterlässt null Interpretationsspielraum! Oder anstelle von Regierungsräten und Regierungsrätinnen könnten wir von In-das-Amt-des-Regierungsrates-gewählte-Menschen reden. Äusserst kreativ!

Auch passiv ist besonders hübsch. Das wirkt dann so richtig lebendig und menschlich. Bestenfalls fühlt sich durch das Streichen des An-der-Aktion-beteiligten-Menschen (Pardonnez-moi, wie formuliert man denn nun Akteur, Akteurin in geschlechtsneutral?) gar niemand mehr richtig angesprochen oder verantwortlich. Wir sagen dann also beispielsweise nicht mehr, dass In-das-Amt-des-Regierungsrates-gewählte-Menschen dafür sorgen sollen, alle Menschen in ihrer Sprache sichtbar zu machen. Sondern schlicht: Alle sollten sichtbar gemacht werden. Da kann man sich doch glatt wieder aus der Verantwortung ziehen.

11 von 12 Regeln sind die alten

Eigentlich ist der neue Sprachleitfaden gar nicht soo neu. Denn wer denjenigen aus dem Jahr 2007 zur Hand nimmt, hat einige Déjà-vu-Momente. Dieser Leitfaden stützt sich übrigens auf Empfehlungen, die bis ins Jahr 1994 zurückreichen. Déjà-vu-Momente gibt's in exakt 11 von 12 Punkten. Denn 11 der 12 «neuen» Regeln sind die alten. Und die eine neue Regel verbietet ausgerechnet das Symbol, das auch all das sichtbar machen will, was eben weder Frau noch Mann ist: den Genderstern.

Pragmatisch wird das fiese Gendersternchen vernichtet. Unlesbar, teils grammatikalisch falsch, rechtlich unklar, lautet die Begründung zur Exekution des Sternchens. «Der Gebrauch von Genderzeichen ist deswegen in der kantonalen Verwaltung nicht gestattet», schreibt der Kanton in seinem Sprachleitfaden.

Wirklich innovativ ist der 13-seitige Sprachleitfaden des Kantons also nicht. «Freundlicherweise» hat ja auch die Stadt Winterthur ihren Leitfaden zur «Verwendung und Adaption» durch den Kanton Luzern freigegeben. So als Idee: Fürs nächste Mal würd's auch ein Post-It auf den alten Leitfaden tun. Randnotiz: «Gendersternchen verboten – Rest bleibt gleich». So aus Gründen der Effizienzsteigerung. Aber das Layout ist echt gelungen. Sind doch ein paar ♀ – für den Spiegel der Venus – und ♂ – als Speer und Schild des Mars – auf die Seiten gepappt worden.

Der Kanton hingegen betont, dass die «geschlechtsneutralen Formulierungen stärker gewichtet» worden seien. Und das zentrale Anliegen der sprachlichen Gleichbehandlung, die Sichtbarmachung der Frauen durch die Paarformen, nicht in Frage gestellt würde.

Das Gendern nach Phettberg

Unter «kreativem Formulieren» hätte ich mir ein paar wirklich abgespacte Möglichkeiten gewünscht. Etwa das Entgendern nach Hermes Phettberg, Aktionskünstler aus Österreich. In seiner Kolumne für das Wiener Stadtmagazin «Falter» setzt er seit 1992 auf einen einzigen Buchstaben, um alle Geschlechter gleichermassen anzusprechen. Nämlich das Ypsilon.

Statt beispielsweise von Luzernerinnen und Luzernern zu sprechen, würde Phettberg Luzernys sagen. Der Arzt und die Ärztin würden zum Arzty, im Plural zu den Arztys. Demonstranten zu Demonstrantys, Teilnehmerinnen zu Teilnehmys, Hausbesetzerinnen und Hausbesetzer zu Hausbesetzys, Politiker und Politikerinnen zu Politikys. Auch Beleidigungen klängen fast schon herzig. Dann gäbe es Idiotys und Trottelys.

Wir könnten dann von Regierungsratys sprechen. Oder wir nehmen den weiblichen Stamm Regierungsrät und fügen ein -ly an. Das liesse doch unsere Männerregierung gleich viel sympathischer darstellen. Dann könnten wir mit Regierungsrätly Paul Winiker ein Cüpli trinken, während Gesundheitsdirektory Guido Graf mit Sorgenfalten die Corona-Zahlen studiert. 10 von 10 Sympathiepunkten.

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7 Kommentare
  • Profilfoto von Die Viererbande
    Die Viererbande, 22.03.2022, 13:18 Uhr

    Schönstes Neusprech mit vorgelagertem Doppeldenk!

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  • Profilfoto von Alois Iten
    Alois Iten, 22.03.2022, 11:19 Uhr

    Dass Luzern bei der Sprache nicht progressiv vorgehen wird, kann ja nicht wirklich überraschen. Ist nun mal ein ländlicher, rückständiger Kanton. Eine Bevölkerung, die 5 Männer in die Regierung wählt, wird aber auch nichts anderes wollen. Und ganz davon abgesehen: Auch der Duden oder die Gesellschaft für deutsche Sprache erkennt das Sternchen, andere Genderzeichen oder Gender-Pausen nicht als geeignete Mittel an, um diskriminierungsfreie Sprache umzusetzen. Hier erlebt man halt einmal mehr das Phänomen, dass eine laute Minderheit gegen den Willen der Mehrheit etwas durchdrücken will.

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  • Profilfoto von Der Butler von J.
    Der Butler von J., 22.03.2022, 10:58 Uhr

    Damit die Bedürfnisse und Wünsche der LGBT-Community erfüllt sein können, muss das Normale radikal umgedeutet, umformuliert werden. Eine Umkehr der Ordnung gewissermassen. Normal ist dabei keineswegs ein Kampfbegriff, sondern bezieht sich auf die Mehrheit oder den Durchschnitt der Bevölkerung im Abhängigkeit zu deren Lebenswelten und Lebensbedürfnissen. Persönlich kann ich diese stetige Umetikettierung, pausenlose Umcodierung sowie die Etablierung einer Deutungshoheit keineswegs gutheissen. Die Sprachregulation hat bereits augenscheinlich totalitäre Züge angenommen.

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    Hugo Ball, 22.03.2022, 09:51 Uhr

    Gendermainstreaming ist eine gesellschafts- und sozialpolitische Utopie, eine Gesinnung, ein Paradigma, reine Ideologie. Und nichts weiter. Man kann dies befürworten oder auch ablehnen. Beides ist legitim, da Meinung. Es gibt keinerlei Grundlage dafür, dies in einen politischen Zustand des gesellschaftlichen Müssens zu überführen. Der Kanton tut gut daran, sich umsichtig zurückzuhalten. Sinnvoll erschiene mir zu solch «Schicksalsfragen» ohnehin der Plebiszit. Lasst den Souverän sprechen: Ist diese Sprachregulation gewollt oder nicht gewollt! Dann kann man weitersehen und Aufträge erteilen oder es eben sein lassen.

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    • Profilfoto von Elementa
      Elementa, 22.03.2022, 11:25 Uhr

      Bleiben wir mal beim Fakt, dass das Gendersternchen gestrichen/verboten wurde. Also ein Schritt in die konservative Richtung gemacht wurde.
      Sonst sind doch die rechten Parteien auch eher gegen Verbote?

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    Kasimir Pfyffer, 22.03.2022, 08:37 Uhr

    «Pardonnez-moi, wie formuliert man denn nun Akteur, Akteurin in geschlechtsneutral?» Entweder «Aktanten» (das gibt es) oder «Handelnde».

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  • Profilfoto von Elementa
    Elementa, 22.03.2022, 07:32 Uhr

    Cooler Bericht, Danke.
    Auf köstliche Art wird werden hier „die mit dem Stock“ entlarvt. Genau so ist, macht und arbeitet man in Luzern. Gähn

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