Wir nehmen die Statistik genauer unter die Lupe

Kurioses über Isländer und Zypriotinnen in Zug

Im Kanton Zug wird nicht nur russisch gesprochen, wie die Statistik zeigt. (Bild: Emmanuel Ammon/AURA)

Dass in Zug häufig Russisch und noch viel häufiger Englisch geredet wird, dürfte allen Einheimischen bekannt sein. Betrachtet man die Statistik zu den Nationalitäten im Kanton genauer, tauchen einige Fragen auf. zentralplus hat Antworten gesucht – und ist bei feindlichen Atomprogrammen gelandet.

Fast 29 Prozent der knapp 130'000 in Zug lebenden Menschen haben keinen Schweizer Pass. Damit weist der Kanton den vierthöchsten Ausländeranteil der Schweiz auf.

Altbekannt ist, dass deutsche Staatsbürgerinnen (6670 im Jahr 2019) die grösste ausländische Bevölkerungsgruppe bilden, dass in Zug mit etwa 2390 Vertretern verhältnismässig viele Briten leben und auch hier und dort in der Kolinstadt Russisch gesprochen wird (von 858 Menschen). Im Kanton Zug macht die russische Bevölkerung 0,68 Prozent aller Einwohner ein – gesamtschweizerisch betrachtet liegt ihr Bevölkerungsanteil bei 0,19 Prozent.

Ebenfalls wenig erstaunlich ist der starke Anstieg der eritreischen Bevölkerung in Zug. Lebten 2006 noch 3 Eritreerinnen im Kanton, waren es 2019 bereits 565.

Knapp 29 Prozent der Zuger Bevölkerung hat keinen Schweizer Pass. (Bild: Bundesamt für Statistik)

Schaut man sich die Zuger Nationalitätenstatistik genauer an, offenbaren sich weitere kuriose Entwicklungen und überraschende Erkenntnisse.

Pharmakonzern holt Leute aus dem Norden nach Zug

Im Jahr 2009 beispielsweise war in Zug kein einziger Isländer gemeldet. Das sollte sich relativ bald jedoch ändern. Im bisherigen Spitzenjahr 2013 lebten in Zug 103 Isländer. Klingt nicht beeindruckend? Immerhin beherbergte der Kanton Zug damals 0,04 Prozent der gesamten damaligen isländischen Bevölkerung. Zum Vergleich: Würde Zug den gleichen Prozentsatz an Deutschen beherbergen, würde der Kanton um 33'200 Personen anwachsen.

Wie kommt das? Hat die isländische Finanzkrise 2008 einen Exodus verursacht? Zwar zeigt die Statistik für die Jahre nach 2008 tatsächlich ein überdurchschnittliches Wachstum der isländischen Wohnbevölkerung, doch dürfte die Entwicklung in Zug andere Gründe haben. Und die liegen vermutlich in der Pharmabranche.

So verlegte der ehemalige Generikakonzern Actavis 2011 seine Zweigniederlassung von Hafnarfjörður nach Steinhausen im Kanton Zug. Die Vermutung, dass dies der Grund für die erhöhte Wikingerdichte in Zug sein könnte, hegt man auch beim Zuger Amt für Statistik. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Johannes Besch erklärt: «Gegeben den Fall, der Zuzug der isländischen Personen wäre darauf zurückzuführen, wäre es möglich, dass die Übernahme von Actavis 2012 durch Watson Pharmaceuticals und 2015 durch Allergan mit einem Stellenabbau einhergegangen ist, der den Rückgang erklären könnte.» 2018 wurde der Sitz von Steinhausen nach Rapperswil-Jona verlegt, wie ein Blick ins Handelsregister zeigt. Die aktuellste Statistik weist 57 Isländer in Zug auf.

Die Folgen des EU-Beitritts

Scrollt man weiter durch die Statistik, fallen zudem Staaten wie Litauen, Polen, Ungarn, aber auch Zypern auf. Während 2006 nur ein Zypriote oder eine Zypriotin in Zug wohnhaft war, waren es 2019 bereits 64.

Johannes Besch hat eine mögliche Erklärung parat: «Auffallend ist, dass Litauen, Polen, Ungarn und Zypern alle 2004 in die Europäische Union aufgenommen worden sind. Möglicherweise ist der Anstieg im Kanton seit 2006 darauf zurückzuführen, dass es für Bürger und Bürgerinnen dieser Länder nach EU-Beitritt leichter war, eine Arbeitsstelle in der Schweiz anzutreten.» Jedoch fehle eine Datengrundlage, um diese Vermutung zu überprüfen, so Besch.

Von 17 Nordkoreanern auf 0 in neun Jahren

Weiter auffallend: 2009 war kein einziger Nordkoreaner in Zug gemeldet, 2010 waren es 17. Von da an ging’s wieder bergab, bis die Zahl 2019 erneut bei 0 lag. Während die Zuger Behörden zu diesem Phänomen keine detaillierten Informationen haben, hilft das Staatssekretariat für Migration (SEM) weiter. Mediensprecher Lukas Rieder weist auf eine UNO-Resolution hin, welche im Jahr 2006 in Kraft trat und ab 2013 mehrmals verschärft wurde. Dies aufgrund des voranschreitenden nordkoreanischen Nuklear- und Raketenprogramms. So wurden in den letzten Jahren neben umfassenden Import- und Exportverboten auch Verbote zur Erteilung von Arbeitsbewilligungen sowie Reisesanktionen umgesetzt.

Palästinenser sind Menschen «ohne Nationalität»

Sowohl bei der gesamtschweizerischen wie auch der Zuger Statistik fallen die Begriffe «staatenlos» sowie «ohne Angaben» auf.

Lukas Rieder vom Staatssekretariat für Migration erklärt: «Staatenlos ist eine Person, die kein Staat aufgrund seiner Gesetze als seinen Staatsangehörigen anerkennt.» Eine Definition, die so im UNO-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen aufgeführt ist.

«Das Übereinkommen wurde im Jahr 1954 von der UNO erlassen, um die rechtliche Situation und den Aufenthalt der im Zweiten Weltkrieg aus ihren ursprünglichen Ländern vertriebenen Menschen zu regeln, die nicht als Flüchtlinge im Sinne der Uno-Flüchtlingskonvention von 1951 galten», erklärt Rieder weiter. «Die Schweiz ratifizierte das Übereinkommen im Jahr 1972. Das Bundesgericht fügt an, dass eine Person dann als staatenlos zu bezeichnen ist, wenn sie ohne eigenes Zutun die Staatsangehörigkeit verloren und keine Möglichkeit hat, diese wieder zu erlangen.»

«Nach 2011 stiegen die Anträge auf Anerkennung der Staatenlosigkeit vor allem aufgrund des allgemeinen Anstiegs der Migrationsströme und der Krise des Arabischen Frühlings.» 

Lukas Rieder, SEM

Neben «staatenlos» führt das SEM in seiner Statistik zwei weitere Kategorien zu unbekannter Herkunft. «Es sind dies ‹ohne Nationalität›, die Personen subsumiert, deren Staat von der Schweiz nicht anerkannt wird, wie etwa Palästina, und ‹Staat unbekannt›, die Personen erfasst, die Herkunft verheimlichen oder unwahr darstellen», erklärt der SEM-Mediensprecher. In diesen Fällen nehme das SEM Identitätsabklärungen vor.

Im Kanton Zug nahm die Zahl der Menschen «ohne Angabe»  von 0 (2009) auf 21 (2014/2015) zu und lag 2019 bei 11. Die Zahl der «Staatenlosen» erreichte 2019 mit 7 Personen ihren Höchststand. Auch auf nationaler Ebene lässt sich eine klare Zunahme beider Kategorien ausmachen. Wie kommt das?

Arabischer Frühling sorgte für mehr Staatenlose

Lukas Rieder erklärt: «Die Zahl der Anträge auf Anerkennung der Staatenlosigkeit blieb bis 2011 relativ stabil. Danach stiegen die Anträge vor allem aufgrund des allgemeinen Anstiegs der Migrationsströme und der Krise des Arabischen Frühlings.» Anträge auf Anerkennung des Status der Staatenlosigkeit würden vor allem von Menschen aus Syrien gestellt, konkret von kurdischen Minderheiten, aber auch aus den Staaten der ehemaligen UdSSR und den Staaten des ehemaligen Jugoslawien, genauer gesagt von Roma, wie der SEM-Sprecher erklärt.

Wie sich die Situation in Zukunft entwickelt, ist natürlich zu einem Teil ungewiss. Doch muss man kein Nostradamus sein, um die Vermutung zu äussern, dass die Zahl der Afghanen in der Schweiz in den kommenden Jahren wohl ansteigen dürfte.  

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