Ohne es zu wissen, vertilgen Luzerner Gemüse aus dem Gen-Labor – auch wenn die Knospe drauf ist. Ein umstrittenes Verfahren macht Broccoli und Co. steril und damit für den Verzehr tauglich. Der Streitpunkt: Zulassen, zumindest deklarieren oder gleich abschaffen?
Bio, regional, fair: Der Anspruch der Konsumenten stellt die Landwirtschaft vor Herausforderungen. Doch nicht in allen Fällen kann sich der Konsument auch wirklich sicher sein, dass nur das drin ist, was auf der Verpackung deklariert ist. Wie ein Bericht vom «Kassensturz» aufzeigte, essen wir tagtäglich Gemüse, dessen Saatgut einem äusserst umstrittenen Verfahren unterzogen wurde. Es liegt in einer Grauzone und gilt als gentechniknah.
Gentechnisch verändertes Gemüse in der Schweiz und Luzern? Sowas gibt es doch nicht – oder? Die Antwort ist: Jein. Denn: Mittels einer Methode, die den kryptischen Namen «CMS» (siehe Box) trägt, wird Kohlgemüse wie beispielsweise Broccoli und Blumenkohl steril gemacht. Der Clou: Sowohl die Konsumenten als auch viele Bauern und Gemüseproduzenten wissen nichts von dem veränderten Saatgut. Bei fast allen heisst es auf Anfrage: «CMS? Noch nie gehört.»
Keine Deklaration – keine Kenntnis
Denn: Jegliche Deklaration von Saatgut und dem daraus gewachsenen Gemüse, das künstlich dem CMS-Verfahren unterzogen wurde, fehlt. Und so kommt es, dass selbst die hiesigen Detaillisten nicht mit Sicherheit wissen, ob sie nun ein solches Produkt verkaufen oder nicht. Ob am Gemüsemarkt, beim Grosshändler, im Bio-Laden oder beim Landwirt seines Vertrauens – der Konsument muss damit rechnen, dass er solches Gemüse kauft. Migros und Coop sind mit einem Anteil von 80 Prozent des Schweizer Marktes die grössten Gemüse-Händler.
«Wir wissen nicht bei jedem Lieferanten, welches Saatgut verwendet wird.»
Nadja Ruch, Coop-Mediensprecherin
Coop sei diese Thematik bekannt. «Wir beobachten das Ganze aufmerksam», sagt Mediensprecherin Nadja Ruch auf Anfrage. «Da es weltweit nur noch sehr wenige Saatgutproduzenten gibt, sind die Ausweichmöglichkeiten der Gemüseproduzenten – besonders bei Kohlarten – auf Nicht-CMS-Sorten gering.» Somit müssten Luzerner damit rechnen, dass selbst das Bio-Gemüse in den hiesigen Regalen künstliche CMS enthält. Aufgrund der Konzentration auf dem Markt der Saatgutproduzenten sei die Wahlfreiheit nicht immer gegeben, so Ruch und sie fügt an: «Und wir wissen nicht bei jedem Lieferanten, welches Saatgut verwendet wird.»
Kreuzung wäre nicht lebensfähig
Offiziell gilt das Verfahren nicht als Gentechnik, weil die Eigenschaften auch mittels herkömmlicher Kreuzung zu erreichen seien – allerdings viel zeitintensiver, als dies derzeit gemacht wird. Ausserdem kommt bei gewissen Pflanzen die Cytoplasmatische Männliche Sterilität (CMS) in der Natur vor. Allerdings kritisieren mehrere Bio-Züchter, dass eine Kreuzung aus den beiden Pflanzen – Rettich und Broccoli – unter natürlichen Bedingungen nicht lebensfähig wäre.
Unter anderem deshalb ist für Bio Suisse klar, künftig auf Saatgut, das diesem Verfahren unterzogen wurde, zu verzichten: «Sorten, die auf CMS basieren, sind nicht naturnah», sagt Lukas Inderfurth, Mediensprecher von Bio Suisse, auf Anfrage. Das Ziel sei es, langfristig ganz auf ökologisch gezüchtete Pflanzen zurückgreifen zu können.
Anders sieht es der Verband der Gemüseproduzenten. Die Mediensprecherin Moana Werschler erklärt: «CMS gilt nicht als Gentechnik und ist deshalb nicht problematisch. Ehrlich gesagt bin ich mir sowieso nicht ganz sicher, ob die Konsumenten überhaupt alles wissen wollen.» Äusserst komplex sei das Thema, fügt Werschler an, was ein einfaches Urteil erschwere.
«CMS? Das sagt mir nichts»
Beim Sprecher der Gemüseproduzenten-Vereinigung Luzern und Zug, Oswald Isenegger, stösst das Thema auf Unkenntnis. «CMS? Das sagt mir nichts», sagt er auf Anfrage. Und eine gewisse Skepsis von Seiten des Bauers ist unüberhörbar. «Es geht wahrscheinlich wieder einmal darum, Gemüse schlecht zu machen», sagt Isenegger leicht genervt.
«Die Konsumenten sollten transparent auf den Verpackungen darüber informiert werden.»
Lukas Inderfurth, Mediensprecher Bio Suisse
Bio Suisse hingegen spricht Klartext: «Wir finden, dass die Konsumenten transparent auf den Verpackungen darüber informiert werden müssten, ob es sich um CMS-Gemüse handelt – oder nicht», so Lukas Inderfurth. Bis jetzt hätte Bio Suisse dies nicht konkret gefordert, da die Branche sagt, dass die Deklaration nur mit einem sehr grossen Aufwand möglich sei. «Wir setzen deshalb auf den Ausstieg und nicht auf eine Deklaration.» Bio Suisse hat sich bereits im August letzten Jahres in einem Communiqué öffentlich dafür entschieden, auf Saatgut zu verzichten, das diesem Verfahren unterzogen wurde.
Entsprechende Projekte finanziell unterstützt
Diese Haltung entspreche auch jener von Coop, sagt Nadja Ruch. In den vergangenen zehn Jahren habe sich der Detailhändler stark für die Förderung von Bio-Saatgut und -Setzlingen engagiert und entsprechende Projekte finanziell unterstützt. Zur Deklaration sagt die Mediensprecherin: «Aus Kundensicht wäre es vermutlich schwer nachvollziehbar, weshalb CMS deklariert würde, während dies bei anderen Züchtungsverfahren nicht der Fall ist.»
Die Cytoplasmatische Männliche Sterilität, kurz CMS, steht für eine Eigenschaft, die die Fortpflanzung beeinflusst. Bei vielen Gemüse-Sorten ist CMS durch Mutation natürlich entstanden. So etwa bei Karotten, Zwiebeln oder Sonnenblumen. Bei Kohlgemüse allerdings fehlt diese Mutation. Aus diesem Grund greifen Saatgut-Firmen bei Kohl in die Zellen ein. Konkret werden kernlose Rettich-Zellen mit Broccoli-Zellen verschmolzen. Die im Labor erzeugte CMS bewirkt, dass die Broccoli-Pflanzen keine Pollen ausbilden. So wird verhindert, dass sich die Pflanzen selbst bestäuben.
Auch die Bauern werden im Dunkeln gelassen. Der Altwiser Landwirt Fredi Elmiger sagt auf Anfrage: «Was genau CMS ist, kann ich nicht sagen. Aber ich habe von dem Verfahren schon gehört.» Elmiger müsse ehrlich gestehen, dass er als Konsument Mühe damit hätte, wenn er einfach nicht darüber informiert wird. «Schlussendlich weiss man ja auch nicht, welche Auswirkungen dieses Verfahren auf die Gesundheit des Menschen hat.» Der Altwiser könne jedoch mit gutem Gewissen sagen, dass sein Broccoli auch schon zu blühen begonnen hätte.
Bio Suisse arbeitet an Alternativen
Bis zu gänzlich CMS-freiem biologischem Kohl-Gemüse ist es aber noch ein weiter Weg. «Es wird derzeit an Alternativen gearbeitet», sagt Lukas Inderfurth. Im konkreten Fall der Kohlarten unterstütze Bio Suisse unter anderem ein Projekt der «Sativa Rheinau AG». «Diese sammelt verschiedene nicht-CMS-Sorten von Kohlarten, um mit diesen eine eigene Züchtung zu starten.» Sobald Alternativen zur Verfügung stünden, werde Bio Suisse ganz auf Sorten mit künstlich erzeugter CMS verzichten. Bis dahin müssen die Luzerner jedoch beim Kauf von Kohl-Gemüse damit rechnen, dass dieses künstliche CMS enthält. Und Katja Jud, Fachstellenleiterin für Biolandbau von «Bio Luzern» fügt an: «Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird.»
«Dass ich als Konsument darüber nichts weiss, finde ich schon sehr bedenklich.»
Franz Huser, Konsument
Dies sehen auch Konsumenten so. «Ich habe noch nie von CMS gehört. Es ist schon eine Frechheit, dass die Konsumenten einfach nicht darüber informiert werden», sagt die 56-jährige Bernadette Hausheer, die einen Broccoli in ihrer Einkaufstasche hat. Für sie sei eine Deklaration von CMS-Gemüse ebenso wichtig wie ein möglichst baldiger Ausstieg.
«Wenigstens ein Vermerk»
Franz Huser, der soeben einkaufen gehen will, werde künftig Kohl-Gemüse mit einer Prise Skepsis betrachten. «Dass ich als Konsument darüber nichts weiss, finde ich schon sehr bedenklich», sagt er und fügt an: «Wenigstens auf die Verpackungen könnte man schon einen Vermerk machen.»
Die Kernfrage bezüglich CMS ist derzeit nicht gesundheitlicher Natur, sondern jener des Konsumentenschutzes. Die Nicht-Deklaration lässt sowohl die Konsumenten, die Gemüse-Produzenten sowie auch die Detailhändler selbst im Dunkel darüber, was sie denn nun genau konsumieren, produzieren oder verkaufen.
Was halten Sie von dem CMS-Verfahren und davon, dass dieses den Verbrauchern kaum bekannt ist? Wären Sie dafür, dass entsprechende Produkte deklariert oder gar verboten werden müssten?
Woher stammen die Bio-Setzlinge? |
«Biogemüse-Setzlinge stammen zu rund 50 Prozent aus der Schweiz», erklärt Lukas Inderfurth. Im Biobereich sei damit der Anteil an Inlandsetzlingen besonders hoch. «Von den übrigen 50 Prozent werden 97 Prozent aus dem Bodenseeraum eingeführt. Die restlichen drei Prozent der Importe kommen aus den Niederlanden und Italien», weiss der Mediensprecher von Bio Suisse. Ein minimer Teil stamme zudem aus Marokko. Bio-Betriebe im Kanton LuzernIm Kanton Luzern gibt es insgesamt 319 Bio-Betriebe. Dies macht 7,1 Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe des Kantons aus. Zum Vergleich: Der Schweizweite Anteil liegt bei 12,3 Prozent. Hinter Bern ist Luzern jener Kanton, mit den zweitmeisten Landwirtschaftsbetrieben – gesamthaft sind es 4’493. |