Zeitgut Luzern gewinnt Preis

Kanton Luzern ehrt Pioniere der Nachbarschaftshilfe

Durch Zeitgut Luzern wird Nachbarschaftshilfe mit Zeitguthaben abgerechnet. (Bild: zvg)

Die Genossenschaft Zeitgut Luzern ist eine Pionierin der Schweizer Nachbarschaftshilfe. Mit ihrem Know-how leistete sie vor allem während der Pandemie einen gewichtigen Beitrag zum sozialen Wohlergehen. Dafür zeichnet sie der Kanton Luzern mit dem Anerkennungs- und Förderpreis 2022 aus.

«Keep it small and simple» – so hiess das Motto und die Genossenschaft KISS, die ab 2013 als erste in der Schweiz Nachbarschaftshilfe mittels Zeitgutschriften anbot. Nachdem das Modell anfangs mit einiger Skepsis konfrontiert war, hat das Luzerner Pilotprojekt mittlerweile im ganzen Land Nachahmende gefunden. Seit 2015 heisst die Genossenschaft offiziell Zeitgut Luzern und wird nach bald 10 Jahren Arbeit diesen September mit dem Anerkennungs- und Förderpreis des Kantons Luzern belohnt. 

Mit dem Anerkennungspreis 2022 zeichnet der Regierungsrat «Zeitgut Luzern» dafür aus, dass sich die Genossenschaft «für das Zusammenleben und den Zusammenhalt zwischen den Generationen in den Luzerner Gemeinden und Quartieren einsetzt». Dabei werden Menschen für Freiwilligenarbeit vermittelt und die geleistete Arbeit wird mit Zeit anstatt Geld abgerechnet.

Die Idee: Wer körperlich und geistig fit genug ist und sich bei Zeitgut durch Nachbarschaftshilfe aktiv beteiligt, kann dadurch ein Zeitguthaben aufbauen, mit dem die Person später im Alter, wenn die Fitness nachlässt, selbst Hilfe in Anspruch nehmen kann und diese mit ihrem Zeitguthaben ausgleichen.

Boom durch Pandemie

Die Nachbarschaftshilfe hat durch die Pandemie einen regelrechten Boom erfahren (zentralplus berichtete). Das hat auch Zeitgut zu spüren bekommen, die Bekanntheit und Nachfrage stieg markant. «Unser Kerngeschäft, die Tandembildung, war äusserst hilfreich», erklärt Zeitgut-Geschäftsleiter Laslo Niffeler. Dank vieler Überstunden konnte gemeinsam mit Vicino Luzern innerhalb eines Wochenendes eine funktionierende Nachbarschaftshilfe aufgegleist werden.

«Viele dieser Mitglieder sind geblieben», erzählt Niffeler, «dies führte zu einer besseren Altersdurchmischung.» Diese Dynamik wolle man künftig unabhängig von Krisen im Auge behalten. «Wir wollen Freiwilligenarbeit auch für jüngere Personen attraktiv gestalten.» 

«Zeitgut ist ein neuer Farbton auf der grossen Angebotspalette der Freiwilligenarbeit, die zusätzlich Menschen motiviert, sich zu engagieren.»

Heidi Stöckli, Mediensprecherin Pro Senectute

Zeitgut baut in Stadtteilen und Gemeinden Gruppen von Leuten auf, die sich gegenseitig Nachbarschaftshilfe leisten. Im Gründungsjahr 2013 hatte Zeitgut 36 Mitglieder, in der Zwischenzeit ist die Mitgliederzahl auf 640 Personen angewachsen. Die Zahl der Tandems wuchs seit 2018 von 64 auf heute 275 Tandems – das ist mehr als das Vierfache. Zusammen leisteten sie über 31’370 Stunden Freiwilligenarbeit.

Zeitgut Luzern möchte Personen dort unterstützen, wo bestehende Dienstleistungen nicht greifen. Durch ihr Angebot erhalten Bedürftige Hilfe bei vielfältigen Tätigkeiten durch Menschen in ihrer Nähe. In der Regel sind es simple Angelegenheiten wie Einkaufen, Wäsche machen, Glühbirne wechseln – oder auch einfach nur zuhören oder mit jemandem reden.

Dankbar für das Angebot

«Wir seien unkompliziert und flexibel bei der Vermittlung von Tandems», freut sich Niffeler über Rückmeldungen, welche die Genossenschaft für ihre Arbeit erhält. Bei der Vermittlung von Hilfeleistungen arbeitet Zeitgut auch mit lokalen Institutionen zusammen. «Wir sind sehr dankbar für das Angebot von Zeitgut», sagt Spitex-Geschäftsleitungsmitglied Nicole Zeller.

«Neben dem pflegerischen Bedarf brauchen viele Menschen Begleitung bei alltäglichen Aufgaben und den sozialen Austausch mit anderen Menschen.» Die Spitex ist eine von mehreren Partnerorganisationen von Zeitgut, wie beispielsweise auch die drei grossen Hilfswerke Pro Senectute, Caritas und das Schweizerische Rote Kreuz (SRK).

Zusammen mit der Spitex Stadt Luzern und dem SRK unterstützt Zeitgut Spitex-Klientel, das für den Notfall einen Alarmknopf hat, wenn Hilfe gebraucht wird. Daraufhin werden über eine Zentrale Hilfsleistungen vermittelt. Das Notfallknopf-Projekt bringe den Menschen «ein höheres Sicherheitsgefühl, wenn sie sturzgefährdet oder vulnerabel und alleine sind», erklärt Zeller. Gerade das Thema Einsamkeit stelle «für viele Menschen ein Problem dar, welches sich vielfältig und schwerwiegend auswirken kann, wenn es längerfristig bestehen bleibt».

Wandel der klassischen Freiwilligenarbeit

Nicht überall wurde Zeitgut mit offenen Armen empfangen. So waren gewisse Organisationen lange sehr skeptisch gegenüber der Genossenschaft und weigerten sich teilweise, Partnerschaften einzugehen. Das Argument: Zeitgutschriften würden die klassische Freiwilligenarbeit abwerten.

Die damalige Rothenburger Gemeinderätin Gisela Doenni sagte 2015 gegenüber der Lokalzeitung «Die Heimat» beispielsweise: «Freiwilliges Engagement soll im Hier und Jetzt persönlichen Gewinn bringen und nicht als ‹Sparpotenzial› angesehen werden.» Angebote wie das von Zeitgut könnten unter Umständen entsprechend «eine bedenkliche Grundhaltung fördern».

Von Zeitgut Luzern profitieren bisher vor allem ältere Generationen.
Von Zeitgut Luzern profitieren bisher vor allem ältere Generationen. (Bild: zvg)

Die Befürchtungen wegen einer möglichen «Kommerzialisierung der Freiwilligenarbeit» wichen Wohlwollen. So plant Pro Senectute beispielsweise nach jahrelang erfolgreicher Zusammenarbeit, eine Mitgliedschaft bei Zeitgut zu beantragen. «Zeitgut ist ein neuer Farbton auf der grossen Angebotspalette der Freiwilligenarbeit, welche zusätzlich Menschen motiviert, sich zu engagieren», sagt Pro-Senectute-Mediensprecherin Heidi Stöckli. «Wir hoffen, dass das Angebot auf das ganze Kantonsgebiet ausgeweitet werden kann und sich auch in ländlicheren Gegenden etabliert.»

Hilfe für die Hemmschwelle

Nebst den aktiven Mitgliedern hat Zeitgut Luzern heute rund 148 Fördermitglieder, welche die Initiative ideell unterstützen. «Eine funktionierende Nachbarschaftshilfe spart Kosten», erklärt Laslo Niffeler, «davon profitieren die betroffenen Menschen sowie die öffentliche Hand.» Mitglieder von Zeitgut zahlen einmalig 100 Franken für den Anteilsschein an der Genossenschaft und erhalten damit auch ein Stimmrecht. Als Hilfe-Gebende melden sie maximal sechs Stunden pro Woche. Dies entspräche den Benevol-Standards, erklärt Niffeler.

«Wir achten nicht speziell auf statistische Werte, da die Stundenguthaben und Meldungen von Fall zu Fall variieren und auch situationsabhängig sind.» Vielmehr setze man «auf einen impliziten Generationenvertrag und nicht auf eine Bürgschaft». Insofern seien «Minus-Stunden» kein Hindernis, um Hilfe zu erhalten.

«Wir schauen weniger auf Zahlen als auf den Menschen und seine Bedürfnisse», sagt Niffeler. Für viele Menschen sei es nach wie vor eine Hemmschwelle, überhaupt nach Hilfe zu fragen. Bei Zeitgut hofft man, dass durch den wachsenden Bekanntheitsgrad der Genossenschaft und ihres Konzeptes der Zeitgutschriften die Hemmschwelle sinkt und Personen mit Bedarf an Unterstützung sich eher melden.

Trotz des grossen Mitgliederwachstums der vergangenen Jahre, der breiten Vernetzung, der tiefen Fixkosten und der vielen im Vorstand ehrenamtlich geleisteten Arbeit, erhebt Zeitgut Luzern seit einiger Zeit einen jährlichen Mitgliederbeitrag von 50 Franken, um die Kosten zu decken. Derzeit unterhält die Genossenschaft insgesamt 100 Stellenprozent – eine Stelle für die Geschäftsleitung (40 Prozent) und zwei für die Koordination (60 Prozent). «Trotz der sehr geschätzten Leistungsvereinbarung mit der Stadt Luzern sind wir weiterhin auf Spenden und Fördergelder angewiesen», erklärt Niffeler. 

Frage nach der Zukunftsfähigkeit

Mancherorts wurde in der Vergangenheit bezweifelt, inwiefern das Zeitgut-Modell zukunftsfähig sei. Die Geschichte zeigt, dass es eine mehr als zeitgemässe Idee war. Mittlerweile führt die Genossenschaft auch vermehrt Zeitgutkonti für Freiwilligeneinsätze in anderen Organisationen wie beispielsweise Spitex, Viva Luzern AG, HelloWelcome oder das LUKS. «Zeitgut ist der Schlüssel zur sozialen Teilhabe», heisst heute das Motto der Genossenschaft. Sie stehe «für Lebensqualität, Innovation und Zusammenhalt», sagt der Luzerner Regierungspräsident Marcel Schwerzmann.

Am kommenden Dienstag, 6. September, übergibt er der Organisation den Anerkennungs- und Förderpreis 2022 des Kantons Luzern. Dieser ist mit 10’000 Franken dotiert und wird jedes Jahr an Personen oder Organisationen vergeben, «die sich in besonderer Weise um das allgemeine Wohl oder um das Ansehen des Kantons Luzern verdient gemacht haben». Ein Preis, der wie gemacht scheint für die Genossenschaft Zeitgut Luzern.

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