Rund 20'000 Franken im Online-Casino verzockt

«Jetzt isch fertig»: Wie eine Zugerin ihre Spielsucht überwindet

Online-Casinos verlocken so manchen im Netz zum Spiel mit dem Risiko.

(Bild: flickr.com)

Es braucht wenig – und schon befindet man sich auf dem Smartphone online im Casino. Eine Zugerin zockte so anderthalb Jahre lang und verlor rund 20’000 Franken. Aus lauter Verzweiflung über ihre Spielsucht wollte sie schon vor den Zug springen. Doch dann nahm sie eines Tages all ihren Mut zusammen und outete sich …

Den 5. Dezember 2017 wird Anne M. (Name von der Redaktion geändert) wohl nie wieder in ihrem Leben vergessen. Da stand ihr das Wasser bis zum Hals. Sie war am Boden zerstört. «Ich merkte, dass ich gerade meinen ganzen Lohn im Online-Casino verspielt hatte – da sagte ich mir: Jetzt isch fertig. So kann es nicht weitergehen.» 

Als sie von der Arbeit nach Hause kam, outete sich die 52-jährige Zugerin gegenüber ihrem Partner, der gerade das Abendessen machte. «Ich bin spielsüchtig», sagte sie zu ihm. Kurz darauf begab sie sich in psychiatrische Behandlung und nimmt seither Medikamente gegen Depressionen.

Partner fällt aus allen Wolken

Ihr Freund sei zuerst aus allen Wolken gefallen. «Er war mir dann aber eine echte Stütze, weil er einfach für mich da war – und nicht gesagt hat, ich soll gehen.» Auch ihrer Mutter berichtete sie am selben Tag noch von ihrer Sucht. «Sie war schwer enttäuscht – weil sie Angst hatte, dass ich einen Rückfall bekommen würde.» Anne M. habe ihr aber versichert, sie sei in guten Händen.

Sie hatte nämlich bereits die Schuldenberatung kontaktiert. Und am selben Abend auch noch in Zug die Kontaktstelle Selbsthilfe angerufen.

Am Telefon geweint

«Sie hat geweint am Telefon und um sofortige Hilfe gebeten», erzählt Ester Bättig, Erwachsenenbildnerin und Koordinatorin der Kontaktstelle Selbsthilfe. Für sie birgt die Zahl der Spielsüchtigen in Zug eine hohe Dunkelziffer. «Bis jetzt waren es zumeist jüngere Männer, die uns wegen Spielsucht kontaktiert haben. Nun kommen auch Frauen zu uns – wie etwa jene, die entdeckte, dass die Konten ihres Mannes plötzlich alle leer sind.»

Ester Bättig, Erwachsenenbildnerin und Koordinatorin der Kontaktstelle Selbsthilfe.

Ester Bättig, Erwachsenenbildnerin und Koordinatorin der Kontaktstelle Selbsthilfe.

(Bild: zvg)

Aus diesem Grund schafft die Kontaktstelle Selbsthilfe das neue Angebot einer Selbsthilfegruppe für Betroffene von Glücksspielsucht. Ende April soll diese sich erstmals treffen (siehe Box).

«Vor Jahren waren wir einmal bei einem Betriebsausflug in einem Casino.»

Anne M.

Doch zurück zu Anne M. Wie ist die 52-Jährige überhaupt auf die schiefe Bahn geraten und in die Sucht geschlittert? Schliesslich steht die Zugerin voll im Berufsleben und ist Filialleiterin.

Zittern und Kribbeln

«Vor Jahren waren wir einmal bei einem Betriebsausflug in einem Casino», erzählt die sympathische Frau. Da habe sie ein bisschen gespielt – und auch etwas gewonnen, aber auch gleich wieder viel verspielt. «Am Abend im Bett habe ich dann richtig gezittert», berichtet sie.

Ein Zittern und ein Kribbeln, das sie dann nicht mehr loslassen sollte. Nachdem sie ihren Vater als wichtige Bezugsperson verloren hatte – «wir haben uns immer gut verstanden» – und nach einem anschliessenden Burn-out suchte sie nach einem Ersatz für ihren Kummer. Zuvor hatte ihr Chef ihr auch noch den Lohn gekürzt. Da griff sie zum Smartphone und loggte sich im Online-Casino ein.

«Mir war die Werbung der Online-Casinos auf Facebook aufgefallen. Dort wird man ja mit 30 Franken Gratis-Guthaben plus Freispielen angelockt» , sagt sie. Wenig später habe sie angefangen, Paysafe-Karten am Kiosk für 25, 75 oder 150 Franken zu kaufen – «immer an verschiedenen Kiosken, damit es nicht so auffällt.»

«Oft habe ich den Gewinn gleich wieder verspielt.»

Anne M.

Und dann sei es losgegangen mit dem Online-Zocken an den «einarmigen Banditen» im Netz. Sie habe gleich morgens beim Pendeln zur Arbeit ihr Smartphone gezückt. In der Mittagspause. Sofort nach der Arbeit zuhause. Manchmal bis in die Nacht hinein.

Niemand habe Verdacht geschöpft. Wenn ihr Partner mal nachgefragt habe, was sie da ständig auf ihrem Smartphone treibe, habe sie geantwortet: «Nur noch ein bisschen in Facebook surfen.»

Einmal hat sie 5000 Franken gewonnen

Problematisch sei es dann aber sehr schnell mit dem Geld geworden. Denn sie habe natürlich viel, viel öfter verloren als gewonnen. «Da war ich dann natürlich immer frustriert.» Manchmal habe sie 200 Franken, manchmal mehr gewonnen. Damit bezahlte sie Rechnungen. «Oder ich habe den Gewinn oft gleich wieder verspielt.»

Ein einziges Mal hat Anne M. 5000 Franken gewonnen. «Da habe ich mich sehr, sehr gut gefühlt – aber am Ende gleich wieder 2100 Franken verspielt.» Die Online-Casinos würden die Gewinne ja stets erst 48 Stunden später auszahlen, so die 52-Jährige. «Weil viele eben mit dem Gewinn gleich weiter spielen, und da wird dann erst mal abgewartet, was vom Gewinn noch übrigbleibt.»

«Mein Bankkonto war immer öfter leer, ich musste meine Mutter und meinen Partner um Geld anpumpen.»

Anne M.

Insgesamt hat Anne M. rund 20’000 Franken beim Zocken in den Online-Casinos verloren. Eine gewaltige Summe. «Mein Bankkonto war immer öfter leer, ich musste meine Mutter und meinen Partner um Geld anpumpen», berichtet sie.

Dabei sei sie gar nicht so sehr hinter dem Geld hergewesen beim Spielen in den Online-Casinos. «Ich wollte einfach auch einmal den grossen Coup landen und den Jackpot knacken», beschreibt sie ihren Kick beim Spielen. So, wie es andere offenbar auch in den Online-Casinos täglich schafften – wie im Internet stets mitgeteilt worden sei.

Faites vos jeux! Meistens gewinnt die Bank.

Faites vos jeux! Meistens gewinnt die Bank.

(Bild: zvg)

Gesundheitlich sei es ihr während der Zockerei gar nicht gut gegangen. «Ich hatte ständig Atemprobleme, konnte oft nicht schlafen nachts, war aggressiv und depressiv – und ich hegte immer öfter Selbstmordgedanken.» Bis zum nächsten Gewinn.

Dann ging es wieder von vorne los. Ein Teufelskreis. Ganz zu schweigen von den Schuldgefühlen und Schamgefühlen gegenüber ihrem Partner, die sie wegen ihrer Sucht immer häufiger plagten.

«Es macht mich richtig stolz, seit vier Monaten nicht mehr zu spielen.»

Anne M.

Doch dann kam eben, wie gesagt, jener 5. Dezember 2017. Der Tag, an dem sie ihrer Sucht den Kampf ansagte. Sich mit aller Kraft wehrte und versuchte, endlich ihre Selbstbeherrschung und ihre Achtung vor sich selbst wieder zu gewinnen. Dabei sei es so schwer gewesen, ihren Liebsten zu sagen: «Ich bin spielsüchtig.» Sie hat es geschafft und aufgehört. Bis jetzt.

Jetzt liest sie Bücher

«Es macht mich richtig stolz, seit vier Monaten nicht mehr zu spielen», sagt sie. Und man sieht es in ihren Augen blitzen. Sie lege nun das Handy einfach weg und schalte es ganz aus, wenn sie zu Hause sei. Im Zug, beim Pendeln zur Arbeit, schaue sie auf dem Smartphone nur noch Filme. Oder sie lese Bücher. «Endlich habe ich auch wieder Zeit, mich mit Freunden zu treffen und zu reden.»

Eigentlich bereut sie es, dass sie nicht schon viel früher die Konsequenzen wegen ihrer Glücksspielsucht gezogen hat. «Denn man ist ja nicht allein, man bekommt Unterstützung von aussen», weiss sie nun. Sagt’s und will damit auch anderen Spielsüchtigen Mut machen.

Nicht zuletzt möchte sie sich selbst der neuen Selbsthilfegruppe gegen Spielsucht anschliessen. «Ich bin auf einem guten Weg», sagt sie selbstkritisch. «Und ich werde es schaffen – auch dank meinem privaten Umfeld, das mich trägt.»

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