Chamerinnen verteilen Essen in Luzern

Irene Uhlmann: «Ich sage immer, ich bin als Hobby Streetworkerin»

Am Bahnhof Luzern verteilen Irene Uhlmann (l.) und Dunja Egli sowie andere Freiwillige fast täglich Essen. (Bild: wia)

Dunja Egli und Irene Uhlmann leisten seit einem Jahr neben ihren regulären Jobs einen Freiwilligeneinsatz, der bewundernswert ist. Mehrmals in der Woche fahren die Chamerinnen nach Luzern, um Randständigen Lebensmittel zu verteilen. Es ist ein Projekt, dass die beiden im ersten Lockdown ins Leben riefen.

«Ich sage immer, ich bin als Hobby Streetworkerin», sagt Irene Uhlmann (42), während wir im Auto sitzen und in Richtung Emmenbrücke fahren. Ihre Partnerin Dunja Egli (53) blickt aus dem Fenster, nickt, ergänzt: «Und ich spreche jeweils von unserem ‹Abendausflug›». Mehrmals pro Woche versorgen die beiden Frauen Bedürftige am Bahnhof Luzern mit Esswaren.

Jeweils nach Feierabend fahren sie erst von ihrem Zuhause in Cham nach Emmenbrücke, holen dort in der Bäckerei übriggebliebene Menüs, Sandwiches, Süssgebäck und Brote, um sie später weiterzugeben. «Alles, was man direkt essen kann, verteilen wir in Luzern. Die Obdachlosen haben ja meist keine Möglichkeit, etwas aufzuwärmen.» Die übriggebliebenen Menüs und Brote werden später von einer dritten Helferin abgeholt und an bedürftige Familien in Zug und im Säuliamt verteilt. «Darunter sind häufig Alleinerziehende.»

«Während des ersten Lockdowns war die Situation auf der Strasse gut, wir hatten immer freie Fahrt», erklärt Egli. Heute sieht es anders aus. Eine Menge Blech schleicht von Zug in Richtung Luzern. Der Stau, den die beiden Engagierten häufig erdulden müssen, bleibt heute jedoch aus. Um 17.40 stehen wir vor der Emma’s Bäckerei in Emmenbrücke. Weil die Chamerinnen die übriggebliebenen Backwaren erst ab 18 Uhr holen können, ist nun erst einmal Pause angesagt. In dieser erzählt Egli, wie es überhaupt zu diesem Projekt gekommen ist.

Doch was ist mit den Obdachlosen im Lockdown?

«Während des ersten Lockdowns im letzten Frühling sprachen alle davon, dass man auf die Alten achten solle. Ich fragte mich, was mit den Leuten auf der Strasse passiere. Denn durch die vermehrten Kartenzahlungen haben die Menschen immer weniger Bargeld dabei. Auch gab es weniger Passanten.»

Jemand gab dem Paar den Tipp, dass Emma’s Bäckerei wohl einverstanden wäre, Lebensmittel, die am nächsten Tag nicht mehr verkaufbar sind, zu verschenken. So entstand vor rund einem Jahr eine Zusammenarbeit, die sich über die Monate verstärkt hat.

Um 18 Uhr betreten die Frauen den Laden, wechseln ein paar freundliche Worte mit der Verkäuferin. Man kennt sich bereits gut. «Ihr könnt alle Brote nehmen, die noch da sind», sagt die Angestellte und zeigt auf die Wand, an der noch einige Gebäcke stehen. «Auch die Sandwiches könnt ihr haben. Hier sind ausserdem noch Landjäger, die ihr verteilen könnt.» Eglis Gesicht hellt sich auf. «Oh, super, Landjäger, da freuen sich die Leute sicher drüber», sagt sie, während sie grosse Tüten mit Lebensmitteln füllt.

Irene Uhlmann (l.) und ihre Partnerin Dunja Egli vor der Emma's Bäckerei, mit denen sie zusammenarbeiten. (Bild: wia)

Eine Win-win-Situation

Sowohl für das Verteilprojekt als auch für die Bäckerei ist das Arrangement eine Win-win-Situation, handelt es sich doch um Produkte, welche der Betrieb sonst wegwerfen müsste. Was passiert, wenn in den Filialen kaum mehr etwas übrig ist, um weiterzugeben?

«Das ist dann blöd», sagt Uhlmann. Sie blickt zu Egli und ergänzt belustigt: «Dunja hat in einem solchen Fall schon mal alle Pizzen der Bachmann-Filiale am Bahnhof Luzern aufgekauft, damit wir etwas zu verteilen hatten.»

«Der grösste Teil dieser Aktionen findet im Auto statt.»

Irene Uhlmann

Auch hat Dunja Egli schon ihren eigenen Vater zum Pizzabacken engagiert. «Er stand den ganzen Tag in der Küche, währenddessen organisierte ich bei einem Restaurant einen Berg von Pizzakartons.» Bei den Bedürftigen kam die hausgemachte Speise äusserst gut an. «Innert Minuten hatten wir alle Pizzas verteilt, die Leute stürzten sich mit Heisshunger darauf und genossen es richtig.» Auch weitere Mitglieder der Gruppe haben bereits für die Obdachlosen gekocht. «Jemand hat im Winter beispielsweise Röstitaschen gemacht, die nicht nur praktisch in der Handhabung waren, sondern auch gleich die Hände wärmten», sagt Uhlmann begeistert.

Vergangenen Herbst waren sie am Limit

Bevor wir uns von Emmenbrücke in Richtung Luzern begeben, geht’s zu einer zweiten Bäckereifiliale, wo die Chamerinnen weitere Lebensmittel holen dürfen. «Der grösste Teil dieser Aktionen findet im Auto statt, wie du siehst», sagt Irene Uhlmann lachend. Zum Lachen ist den Beiden nicht immer zumute. Auch schon dachten sie daran, das Projekt abzubrechen, da sie den Aufwand schlichtweg nicht mehr stemmen konnten.

«Bis im Herbst waren wir sechsmal die Woche unterwegs», erklärt Egli. «Als wir in der Bäckerei einmal davon sprachen, aufhören zu wollen, hat das Personal beinah geheult und uns angefleht, doch weiterzumachen.» Uhlmann sagt: «Ausserdem begegnen uns die Obdachlosen mit sehr viel Dankbarkeit. Das ist unser Lohn.»

«Jemand hat uns ausserdem einmal eine wunderschöne Zeichnung von Luzern geschenkt.»

Irene Uhlmann

Auch gebe es immer wieder schöne Gesten. Menschen, die ihr ganzes Münz zusammenkramten und darauf bestanden, es den beiden Frauen zu übergeben. «Jemand hat uns ausserdem einmal eine wunderschöne Zeichnung von Luzern geschenkt.»

Über ihre Facebookgruppe «ZHO Zuger helfen Obdachlosen» haben sich mittlerweile einige Freiwillige gemeldet, welche das Projekt nun mittragen. Am Montag, Donnerstag und Freitag übernehmen nun andere die Verteilaktionen. Für die zwei Initiantinnen ist das eine grosse Entlastung.

Im Parkhaus wird erst mal sortiert: Was geht an die Randständigen, was an die Familien? (Bild: wia)

Ab auf Busperron B

Mittlerweile sind wir im Bahnhofsparkhaus angekommen. Die Chamerinnen sortieren das Gebäck und machen sich auf den Weg zum Busperron B. «Dort verbringen nämlich viele Randständige ihre Zeit.»

An diesem Tag ist die Gruppe überschaubar. Auch ist es für Aussenstehende nicht immer einfach zu erkennen, wer tatsächlich bedürftig ist. Viele von ihnen fallen kaum auf. Ein Mann mit Baseballmütze kommt auf Uhlmann zu. Ob er ein Sandwich möchte, fragt sie. «Sehr gerne», sagt er und erhält gleich noch etwas Süsses zum Dessert. Weitere Leute kommen dazu. Alles geht sehr geordnet zu und her. Die Taschen leeren sich nach und nach. Egli geht auf eine grosse, ungesund dünne Frau zu, spricht mit ihr und händigt ihr ein grosses Sandwich aus. Während ihre Kollegen genussvoll in ihr Znacht beissen, fällt es der Obdachlosen schwer, überhaupt einen Happen herunterzubringen. Zu gross sei das Loch in ihrem Bauch, sagt sie. Es scheint ihr aufrichtig leidzutun.

Später setzt sich Egli zu einem Mann hin, hört ein paar Minuten zu. Er beklagt sich über einige seiner Freunde. «Ich verstehe nicht, dass sie hier kiffen müssen. Dabei wäre es doch einfach, zwei Busstationen weiter zu fahren. Da hast du deine Ruhe und kannst gemütlich rauchen.» Das lohne sich nicht zuletzt, um nicht ins Visier der Polizei zu geraten und andauernd kontrolliert zu werden.

Meist bleibt noch Zeit für einen kurzen Schwatz. (Bild: wia)

Irgendwann sind die Taschen leer. Es bleiben nur wenige Sandwiches, Landjäger und Brötchen übrig. Diese wollen Egli und Uhlmann später noch beim Podium 41 in Zug vorbeibringen. «Heute waren nicht viele Randständige hier», stellt Egli fest. Jeder Tag sei unterschiedlich. «Es gibt Tage, da verteilen wir 30 Bedürftigen Lebensmittel. An anderen Tagen sind es nur drei oder vier. Dann weiss man, dass gerade die Polizei hier war und sie weggeschickt hat», sagt Uhlmann. Auch an eisigen Tagen treffe man auf weniger Menschen.

«Die Randständigen schauen gut zueinander.»

Dunja Egli

«Die Randständigen schauen gut zueinander», sagt Egli. «Es kam schon vor, dass wir nicht genügend Lebensmittel für alle dabei hatten. Die Leute begannen, ihr Sandwich mit anderen zu teilen oder gaben anderen den Vorrang, von denen sie fanden, die hätten es eher nötig. Solche Szenen sind sehr berührend», erzählt Egli.

Irene Uhlmann händigt einem Mann ein Sandwich aus. (Bild: wia)

Wieder sitzen wir im Auto, dieses Mal in Richtung Zug. Uhlmann gibt zu bedenken: «Man merkt, es wird wieder wärmer. Heute haben mehrere Leute nach Getränken gefragt. Vielleicht wäre es Zeit, welche zu organisieren.» Eine Anlaufstelle dafür ist der Getränkehandel Bösch in Sihlbrugg, wo die beiden Freiwilligen Getränke günstig kaufen können, die nahe am Ablaufdatum sind. Egli stimmt ihrer Freundin zu und gibt zu bedenken: «Auch trugen heute die wenigsten eine Maske. Es wäre wohl gut, ihnen welche zu bringen. Wir haben noch genügend Spenden.»

Tatsächlich konnten die Initiantinnen über ihre Facebookgruppe etwas Spendengeld sammeln. Neben genannten Artikeln ist es mit dem Geld möglich, den Randständigen ab und zu eine Freude zu machen. Wie etwa an Weihnachten, als man die Bedürftigen mit einem gefüllten Samichlaussack überraschte.

Mindestens zwei Stunden Aufwand pro Einsatz

Bald sind wir in Zug angelangt. Die nächste Station: Das «Podium 41». Eine Beiz, neben der sich unter anderem Randständige aus Zug treffen. Dort will das Paar die restlichen Esswaren verteilen, bevor es endgültig Feierabend macht.

Über zwei Stunden dauert die ganze Aktion. Das Engagement, das Egli und Uhlmann an den Tag legen, ist äusserst zeitintensiv. «Schon mehrmals hat man uns gesagt, wir seien Engel», sagt Egli. Sie ergänzt kühl: «Aber ehrlich gesagt habe ich gar kein Bedürfnis, neben Mutter Teresa aufzuwachen.»

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